HolgerXX
Fluglehrer
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1.
Wenn man sich beim Versuch der Beurteilung der Luftkriegsvorstellungen des Dritten Reichs die Frage stellt, wo sie eigentlich falsch abgebogen sind, wird man keine eindeutige Antwort finden. Aber eine ganze Reihe Versatzstücke. So auch beim Schlachtflugzeugproblem. Das Schlachtflugzeugproblem dreht sich um die Frage, welche Art Maschinen zum Eingriff in Bodenkämpfe geeignet sind. Die deutsche Antwort hierauf lautete: jede!
Ein spezialisiertes Schlachtflugzeug war also nicht notwendig. Die Folgen waren dementsprechend: sowohl die Kampf- als auch die Jagdflieger erlitten durch die Verwendung zum Erdkampfeinsatz schwere Verluste, die die Luftwaffe bereits lange vor ihrer Niederlage gegen die angelsächsische Luftübermacht entscheidend schwächten (so zu lesen bei Horst Boog, Die deutsche Luftwaffenführung 1935 - 1945, DVA, Stuttgart 1982, S. 198 zu den Bombern, S. 136 zu den Jagdbombereinsätzen, zu denen die Jagdflieger regelmäßig gezwungen wurden).
2.
Zu den o.a. Versatzstücken gehört, dass aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs (häufig oder generell) keine Lehren gezogen wurden. Deutscherseits war mit der Junkers J.I das Panzerschlachtflugzeug erfunden worden, und es bewährte sich gut (Junkers J.I – Wikipedia). In den Zweiten Weltkrieg ging man aber ohne einen passenden Entwurf (von einer entsprechenden privaten Initiative der Firma Junkers, zum Aufbau der Luftwaffe etwa eine gepanzerte Version der K 53 bereitzustellen, die die Firmentradition fortgesetzt hätte, kann ich keine Spur finden, die ersten Versuchsflugzeuge der Fw 189 und der Hs 129 waren aufgrund zu schwacher Triebwerke nicht frontverwendungsfähig).
3.
Als "Schlachtflugzeug" entschied man sich stattdessen für die Henschel Hs 123. Obwohl keine Panzerung vorhanden war, die Ausstattung mit 2 gewöhnlichen MG schwach und der gelegentliche bis häufige Erfolg, gegnerische Truppen durch "Propellerklappern" in die Flucht zu schlagen, für beide Seiten keine allzu heldenhafte Schau darstellt, bekam sie beste Beurteilungen (Henschel Hs 123 – Wikipedia).
4.
Als Panzerschlachtflugzeug kam dann schließlich der Henschel-"Firmenkollege" Hs 129 mit beschlagnahmten französischen Motoren doch noch an die Front. Trotz wesentlich besserer Ausstattung, sowohl was den Panzerschutz als auch die schwerere aktive Bewaffnung betrifft, fällt die Beurteilung wesentlich negativer aus als die der Hs 123 (Henschel Hs 129 – Wikipedia).
5.
Schon aus diesem Widerspruch heraus kann die Hs 129 nicht so schlecht gewesen sein, wie sie hingestellt wird. Insbesondere wurden und werden die störanfälligen Motoren kritisiert. Der Autor Martin Pegg lässt im Vorspann zu seinem Buch "Henschel Hs 129 Panzerjäger" (Ian Allan Publishing Ltd (1997), aus Pegg stammt auch das "jede!" s.o. 1., leider stelle ich fest, dass ich das genaue Zitat nicht festgehalten habe) die Hs-129-Piloten Franz Oswald und Gebhard Weber zu Wort kommen, die kein böses Wort über ihre Maschine verlieren. Oswald widerspricht der o.a. Motor-These offen. Die Hs 129 wurde häufig zur Abriegelung von Feindeinbrüchen verwendet. Ohne sie hätte es manchmal noch schlechter ausgesehen als sowieso schon. Martin Pegg ist leider ein typisch angelsächsischer Krachbumms-Autor, der am liebsten jeden einzelnen Einsatz dokumentiert hätte. Für eine eingehende Beurteilung der Hs 129 gibt das Buch daher zu wenig her.
6.
Bei Betrachtung des Hs 129 fällt sofort das sowjetische Gegenstück ein, die Iljuschin Il-2. Auch sie wird laut Wikipedia wesentlich schlechter dargestellt, als der Ruf, der ihr seit dem Krieg nachhallt (Iljuschin Il-2 – Wikipedia, "als Angriffsflugzeug war die Il-2 nur eingeschränkt effektiv", "die Il-2 war wenig effektiv in der Bekämpfung von Panzern und anderen Bodenzielen").
Unwidersprochen bleibt, dass sie als besser als die Hs 129 hingestellt wird, und wenn schon die Hs 129 zu schlecht beurteilt wird, gilt das für die Il-2 erst recht.
7.
Auch bei einer weiteren Maschine ist die schlechte Beurteilung zu korrigieren: der italienischen Breda Ba 65. Konfiguriert, wie ein Schlachtflugzeug zur Aufstellung der deutschen Luftwaffe hätte aussehen können, leistete sie aufgrund ihrer für italienische Verhältnisse schweren Bewaffung mit u.a. 2 × 12,7-mm-MGs gute Dienste (Breda Ba.65 – Wikipedia). Und noch etwas ist ungewöhnlich: die Sowjets haben die Il-2 nicht nur aufgrund eigener Kreativität entworfen. Nein, Pate stand: die Ba 65!
8.
Als der Nachfolger der Ba 65, die Ba 88, scheiterte, wäre es logisch gewesen, die Produktion der Ba 65 wenigstens zeitweise wieder aufzunehmen, bis ein modernerer Nachfolger zur Verfügung stehen würde. Auch die Hs 123 hätte nach den Wünschen der Truppe weiter produziert werden sollen, aber die nötigen Vorrichtungen waren bereits zerstört worden (die gleichlautende Begründung des endgültigen Aus für die Ba 65 meine ich gelesen zu haben, kann aber kein Zitat finden). Zum Nachbau der Il-2 konnte man sich in Deutschland nicht entschließen, "weil es keinen technischen Normen entsprach" (kein Originalzitat in Wikipedia). Wahrscheinlich war das wieder nur eine Ausflucht von GL GFM Milch und Konsorten, um ein bestimmtes Flugzeug nicht bauen zu müssen. Dabei wurde die Maschine auch luftwaffenseitig über den grünen Klee gelobt: "Der russische Schlachtflieger ist eine viel eingesetzte Waffe, die bei Angriff und Verteidigung die Erdtruppe aufs wirksamste zu unterstützen imstande ist", letzte Seite von Russisch-deutsches Projekt zur Digitalisierung deutscher Dokumente in den Archiven der Russischen Föderation | Akte 184. Orientierungsheft des Führungsstabes der Luftwaffe über die Fliegertruppe der UdSSR mit Skizzen. Schlachtflieger..
9.
Man hätte deutscherseits konzeptuell auch gleich zu etwas wie der Il-10 übergehen können. Die ursprünglich als Einsitzer konstruierte Il-2 besaß keinen Panzerschutz für den Bordschützen (es fielen 7-mal soviel Bordschützen wie Piloten). Stalin wollte keine Produktionsverzögerungen, die das Problem gelöst hätten. Daher kam die Il-10 zu spät, um noch entscheidenden Einfluss auf den Kriegsverlauf nehmen zu können. Trotz Panzerung war die Il-10 schneller als die ähnlich konfigurierte Vultee A-31/35 oder gleich schnell wie die Aichi B7A. Eine bessere Figur als die Ju 87 hätte sie in jedem Fall abgegeben und sicher eine geringere Verlustrate aufgewiesen als die Jagdbomber Focke-Wulf Fw 190 F und G, die man in Deutschland am Ende für die Lösung des Schlachtflugzeugproblems hielt.
Grüße, Holger
Wenn man sich beim Versuch der Beurteilung der Luftkriegsvorstellungen des Dritten Reichs die Frage stellt, wo sie eigentlich falsch abgebogen sind, wird man keine eindeutige Antwort finden. Aber eine ganze Reihe Versatzstücke. So auch beim Schlachtflugzeugproblem. Das Schlachtflugzeugproblem dreht sich um die Frage, welche Art Maschinen zum Eingriff in Bodenkämpfe geeignet sind. Die deutsche Antwort hierauf lautete: jede!
Ein spezialisiertes Schlachtflugzeug war also nicht notwendig. Die Folgen waren dementsprechend: sowohl die Kampf- als auch die Jagdflieger erlitten durch die Verwendung zum Erdkampfeinsatz schwere Verluste, die die Luftwaffe bereits lange vor ihrer Niederlage gegen die angelsächsische Luftübermacht entscheidend schwächten (so zu lesen bei Horst Boog, Die deutsche Luftwaffenführung 1935 - 1945, DVA, Stuttgart 1982, S. 198 zu den Bombern, S. 136 zu den Jagdbombereinsätzen, zu denen die Jagdflieger regelmäßig gezwungen wurden).
2.
Zu den o.a. Versatzstücken gehört, dass aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs (häufig oder generell) keine Lehren gezogen wurden. Deutscherseits war mit der Junkers J.I das Panzerschlachtflugzeug erfunden worden, und es bewährte sich gut (Junkers J.I – Wikipedia). In den Zweiten Weltkrieg ging man aber ohne einen passenden Entwurf (von einer entsprechenden privaten Initiative der Firma Junkers, zum Aufbau der Luftwaffe etwa eine gepanzerte Version der K 53 bereitzustellen, die die Firmentradition fortgesetzt hätte, kann ich keine Spur finden, die ersten Versuchsflugzeuge der Fw 189 und der Hs 129 waren aufgrund zu schwacher Triebwerke nicht frontverwendungsfähig).
3.
Als "Schlachtflugzeug" entschied man sich stattdessen für die Henschel Hs 123. Obwohl keine Panzerung vorhanden war, die Ausstattung mit 2 gewöhnlichen MG schwach und der gelegentliche bis häufige Erfolg, gegnerische Truppen durch "Propellerklappern" in die Flucht zu schlagen, für beide Seiten keine allzu heldenhafte Schau darstellt, bekam sie beste Beurteilungen (Henschel Hs 123 – Wikipedia).
4.
Als Panzerschlachtflugzeug kam dann schließlich der Henschel-"Firmenkollege" Hs 129 mit beschlagnahmten französischen Motoren doch noch an die Front. Trotz wesentlich besserer Ausstattung, sowohl was den Panzerschutz als auch die schwerere aktive Bewaffnung betrifft, fällt die Beurteilung wesentlich negativer aus als die der Hs 123 (Henschel Hs 129 – Wikipedia).
5.
Schon aus diesem Widerspruch heraus kann die Hs 129 nicht so schlecht gewesen sein, wie sie hingestellt wird. Insbesondere wurden und werden die störanfälligen Motoren kritisiert. Der Autor Martin Pegg lässt im Vorspann zu seinem Buch "Henschel Hs 129 Panzerjäger" (Ian Allan Publishing Ltd (1997), aus Pegg stammt auch das "jede!" s.o. 1., leider stelle ich fest, dass ich das genaue Zitat nicht festgehalten habe) die Hs-129-Piloten Franz Oswald und Gebhard Weber zu Wort kommen, die kein böses Wort über ihre Maschine verlieren. Oswald widerspricht der o.a. Motor-These offen. Die Hs 129 wurde häufig zur Abriegelung von Feindeinbrüchen verwendet. Ohne sie hätte es manchmal noch schlechter ausgesehen als sowieso schon. Martin Pegg ist leider ein typisch angelsächsischer Krachbumms-Autor, der am liebsten jeden einzelnen Einsatz dokumentiert hätte. Für eine eingehende Beurteilung der Hs 129 gibt das Buch daher zu wenig her.
6.
Bei Betrachtung des Hs 129 fällt sofort das sowjetische Gegenstück ein, die Iljuschin Il-2. Auch sie wird laut Wikipedia wesentlich schlechter dargestellt, als der Ruf, der ihr seit dem Krieg nachhallt (Iljuschin Il-2 – Wikipedia, "als Angriffsflugzeug war die Il-2 nur eingeschränkt effektiv", "die Il-2 war wenig effektiv in der Bekämpfung von Panzern und anderen Bodenzielen").
Unwidersprochen bleibt, dass sie als besser als die Hs 129 hingestellt wird, und wenn schon die Hs 129 zu schlecht beurteilt wird, gilt das für die Il-2 erst recht.
7.
Auch bei einer weiteren Maschine ist die schlechte Beurteilung zu korrigieren: der italienischen Breda Ba 65. Konfiguriert, wie ein Schlachtflugzeug zur Aufstellung der deutschen Luftwaffe hätte aussehen können, leistete sie aufgrund ihrer für italienische Verhältnisse schweren Bewaffung mit u.a. 2 × 12,7-mm-MGs gute Dienste (Breda Ba.65 – Wikipedia). Und noch etwas ist ungewöhnlich: die Sowjets haben die Il-2 nicht nur aufgrund eigener Kreativität entworfen. Nein, Pate stand: die Ba 65!
8.
Als der Nachfolger der Ba 65, die Ba 88, scheiterte, wäre es logisch gewesen, die Produktion der Ba 65 wenigstens zeitweise wieder aufzunehmen, bis ein modernerer Nachfolger zur Verfügung stehen würde. Auch die Hs 123 hätte nach den Wünschen der Truppe weiter produziert werden sollen, aber die nötigen Vorrichtungen waren bereits zerstört worden (die gleichlautende Begründung des endgültigen Aus für die Ba 65 meine ich gelesen zu haben, kann aber kein Zitat finden). Zum Nachbau der Il-2 konnte man sich in Deutschland nicht entschließen, "weil es keinen technischen Normen entsprach" (kein Originalzitat in Wikipedia). Wahrscheinlich war das wieder nur eine Ausflucht von GL GFM Milch und Konsorten, um ein bestimmtes Flugzeug nicht bauen zu müssen. Dabei wurde die Maschine auch luftwaffenseitig über den grünen Klee gelobt: "Der russische Schlachtflieger ist eine viel eingesetzte Waffe, die bei Angriff und Verteidigung die Erdtruppe aufs wirksamste zu unterstützen imstande ist", letzte Seite von Russisch-deutsches Projekt zur Digitalisierung deutscher Dokumente in den Archiven der Russischen Föderation | Akte 184. Orientierungsheft des Führungsstabes der Luftwaffe über die Fliegertruppe der UdSSR mit Skizzen. Schlachtflieger..
9.
Man hätte deutscherseits konzeptuell auch gleich zu etwas wie der Il-10 übergehen können. Die ursprünglich als Einsitzer konstruierte Il-2 besaß keinen Panzerschutz für den Bordschützen (es fielen 7-mal soviel Bordschützen wie Piloten). Stalin wollte keine Produktionsverzögerungen, die das Problem gelöst hätten. Daher kam die Il-10 zu spät, um noch entscheidenden Einfluss auf den Kriegsverlauf nehmen zu können. Trotz Panzerung war die Il-10 schneller als die ähnlich konfigurierte Vultee A-31/35 oder gleich schnell wie die Aichi B7A. Eine bessere Figur als die Ju 87 hätte sie in jedem Fall abgegeben und sicher eine geringere Verlustrate aufgewiesen als die Jagdbomber Focke-Wulf Fw 190 F und G, die man in Deutschland am Ende für die Lösung des Schlachtflugzeugproblems hielt.
Grüße, Holger