Frisch ins neue Semester gestartet, bleibt natürlich auch das Hobby von einer studiengerechten Betrachtung nicht verschont. Da lässt schon die Überschrift erahnen, dass es diesmal etwas theoretischer wird…
Kit-Reviews – geschicktes Kommunikations-Management oder ehrliche Verbraucherinformation?
Es gibt sie auf allen Modellbauseiten im Internet. Und manchmal macht ihr Anteil an den täglichen Updates mehr als 50% aus. Bausatzbesprechungen – zu Neudeutsch „inbox reviews“ - sind bei den großen nationalen und internationalen Webzines zunehmend beliebter geworden. So beliebt, dass manche Modellbauseite schon mit dem Slogan „We don’t do inbox reviews, wie build.“, für sich wirbt.
Eine Entwicklung, die niemanden überraschen sollte. Denn Bausatzbesprechungen zu posten bedeutet relativ einfach zu füllenden Webspace. Man öffnet die Packung, fotografiert die Spritzlinge und gibt einen kurzen Kommentar. Fertig ist der Artikel. Und wenn die Industrie die Besprechungsmuster dann auch noch frei Haus liefert, umso besser. Ein Baubericht gleicher Länge ist da vergleichsweise arbeitsintensiver. Ganz zu schweigen von dem Aufwand, den der Bau selbst bedeutet.
Natürlich ist es kein erstrebenswerter Zustand, wenn reine Bausatzvorstellungen die absolute Oberhand gewinnen würden. Doch noch sind wir nicht soweit, und obwohl es eine redaktionell sehr einfach zu realisierende Vision wäre, wird es dazu wohl auch zum Glück nie kommen, solange sich einzelne Modellbauer etwas „trauen“ und ihre Modelle öffentlich präsentieren, um ihnen die wohlverdiente Aufmerksamkeit zu gönnen.
Doch ganz ohne Inbox Reviews? Das wäre natürlich genauso unausgewogen. Der große Vorteil des Internets, die Aktualität, würde nicht genutzt, und der Beitragspool würde sich um die Hälfte leeren.
Aber wie sind solche Reviews ohne alle Schönfärberei zu bewerten? Können sie überhaupt objektiv sein? Und wenn nicht, welchen Nutzen kann ich als Endverbraucher trotzdem aus ihnen ziehen?
Wie oben schon angedeutet, ist die Zuarbeit der Industrie in diesem Bereich ein offenes Geheimnis. Eigentlich alle namhaften Online-Magazine bekommen zumindest einen Teil ihrer im Internet vorgestellten Muster quasi als „Gratisproben“ nach Hause geschickt – sei es Hyperscale, Aircraftresourcecenter, Modeling Madness oder auch Modellversium. Wie wichtig den Herstellern diese für sie recht kostengünstige Form der Werbung ist, kann man daran erkennen, dass sogar Vorabspritzlinge teilweise unaufgefordert an diverse Onlinemagazine geschickt werden. Natürlich mit dem Ziel, dass diese dort möglichst positiv besprochen werden und so das Interesse an dem neuen Produkt kurz vor der Auslieferung noch einmal gesteigert wird. Eine Rechnung, die aufzugehen scheint. Ansonsten wäre die Kontinuität, mit der diese Politik seitens der Hersteller verfolgt wird, kaum zu erklären.
Sind Bausatzbesprechungen also reine Werbung, der man sowieso nicht trauen kann? Wohl kaum! Dass Bilder zwar sehr wohl lügen können, wissen wir auch im Flugzeug Forum spätestens seit der Diskussion um den vermeintlich baden gegangenen Easy.Jet. Dass man den Sinn für die Realität bewahren sollte, und kaum davon ausgehen kann, dass sich irgendwer die Mühe macht, Fotos von Platsikmodellbauspritzlingen großartig zu retuschieren, dürfte jedoch genau so klar sein. Schaut man sich also nur die Bilder einer Kitbesprechung an, kann man nicht viel falsch machen: Je nach Qualität der Bilder ist der Detaillierungsstandart und die Spritzqualität zu erkennen, und man kann sich sein „eigenes Bild“ machen. Die Frage nach der Passgenauigkeit kann so allerdings genauso wenig beantwortet werden, wie die nach der Maßhaltigkeit und der Formtreue.
Bleibt noch der Textteil. Meist wird hier ein kurzer Abriss zum Original sowie eine verbale Zusammenfassung des Bausatzinhaltes geliefert. Ein paar zusätzliche Infos über Besonderheiten bei der Spritzlingsaufteilung, getreu der Frage nach sich bereits abzeichnenden späteren Bausatzversionen, ein paar Worte zur Bauanleitung und den Abziehbildern, und schon ist die Besprechung druckreif. Ok, ganz so einfach ist es dann doch wieder nicht, will man vermeiden, dass man mitten in der zehnten Besprechung plötzlich vergisst, über was man hier überhaupt ein Review liest. Denn wer einmal genauer hinschaut wird bemerken, dass ungefähr die Hälfte der Texte aus fast beliebig austauschbaren Floskeln besteht. Da mache auch ich keine Ausnahme, aber irgendwie will das ganze ja auch schön verpackt sein.
Nachdem nun geklärt ist, warum Bausatzbesprechungen kein Quell expressionistischer Prosa sein können und wollen, liegt es nahe, einmal den letztendlichen Informationsgehalt eingehender zu betrachten. Dazu habe ich ein paar aktuelle Fazit-Zitate aus verschiedensten Online-Quellen in rein zufälliger Zusammenstellung bemüht (hey – ungelogen!):
• “If you like Luftwaffe, Dora’s or big models then this is for you. Recommended.”
• “A very nice decal sheet and sure to please the lucky 300 people that manage to buy one of these limited edition sheets.“
• „Die letzten Schiffsbausätze in 1:350 von Trumpeter waren ziemlich gut. Dieser Bausatz reiht sich nahtlos in diese Liste ein. Trotz der erwähnten Schwächen ist der Kit absolut empfehlenswert!“
• “This is a nice little kit of the Gloster Pioneer and its easy assembly will make it a great one-week project.”
• “It isn't difficult to find and if you do so, pick it up. A toss-together kit it isn't, but it does make in to a large and impressive model when done.”
Mmh…was soll ich sagen!? Fünf unterschiedliche Webseiten, fünf unterschiedliche Besprechungen, ein Fazit: Empfehlenswert, kaufen!
Kann das sein? Ich meine, wo sind all die Plastikkrücken? Wo ist eine Besprechung beispielsweise von Revells uralt Ju-88 in 1:72, die noch in 2004 trotz ihrer für heutige Verhältnisse miserablen Qualität einer der Top-Seller überhaupt ist (Sorry Bünde, das musste jetzt mal sein ;))?! Oh, da ist ja eine:
„This kit met my needs exactly- inexpensive, reasonably detailed, has aircrew, can be built wheels-up, and has good decals. A winner in my book.“
Wie bitte? “A winner in my book?” Ich geb’s auf. Es gibt einfach keine schlechten Bausätze mehr!
Oder woran kann es liegen, dass mir scheinbar jeder Bausatz empfohlen wird?
Nun, ein Grund wurde schon weiter oben erwähnt: Manche Bausätze werden von der Industrie zur Verfügung gestellt. In diesen Fällen bietet es sich trotz aller Pressefreiheit nicht gerade an, jeden zweiten Bausatz zu verreißen, was zum Glück auch gar nicht nötig wäre. Vielmehr wird Kritik zwischen den Zeilen platziert und im Fazit nicht pauschal vom Kauf abgeraten. Der Spagat zwischen „Aufklärung“ einerseits und den offensichtlichen Wünschen der Industrie andererseits ist oft nicht leicht, muss aber sein, um auch für die Zukunft aktuell bleiben zu können.
Ein Blick in jedes Printmedium genügt, um solche Zusammenhänge zu entdecken. Solange ein Modellbahnhersteller einen Dauerwerbeauftrag für die letzte Seite laufen hat, wird es sich kein Redaktionsleiter leisten können, eine Lok dieser Firma selbst bei begründeten Mängeln „in den Boden zu schreiben“.
Aber es stammen ja nicht alle Bausatzvorstellungen von den netten Gaben der Produzenten. Was ist mit den Privatkäufen, die im Internet vorgestellt werden? Zum Glück (oder leider) sind die meisten „Netzreporter“ schon länger mit ihrem Hobby vertraut, so dass sie bereits aus anderen Quellen wie Foren, Clubs oder der eigenen Erinnerung wissen, welche Neuheit wirklich kaufenswert ist. Denn, im Ernst, wer würde sich freiwillig einen Bausatz kaufen, von dem er weiß, dass er nicht viel taugt, nur um ihn dann online zu besprechen!?
Und wenn es dann doch einmal so eine Antiquität wie die revellsche Ju-88 in die reguläre Kit-Ecke schafft, und dabei auch noch gut abschneidet, liegt das wohl eher an der rein persönlichen Sichtweise (man kann ja nicht immer alle Alternativen kennen) des Besprechers, wie in diesem Fall auch der ModelingMadness-Webmaster selbst dezent anmerkt, ohne dabei jemandem zu nahe treten zu wollen.
Was bleibt also? Bausatzbesprechungen sind Werbung, egal ob die Industrie im Hintergrund steht, oder ob der Besprecher wirklich persönlich so begeistert ist, dass er ein Produkt der breiten Öffentlichkeit präsentieren will. Wer sich aber auf seine Augen verlässt und den Text richtig interpretiert, wird unter’m Strich profitieren.
Und um nochmals auf den Anfang zurück zu kommen: Solange wir genug BAUberichte auf Lager haben, posten wir die natürlich doppelt so gern wie eine zwei Jahre alte Decal-Besprechung. Ein bisschen liegt es auch an euch, was ihr selbst zu sehen bekommt. Die E-Mail Adressen im Modellversium-Impressum stehen jedenfalls jedem offen!
So, und wer jetzt denkt, das war doch schon vorher alles klar – stimmt!
Bernd Korte
Ach ja, und ratet mal, zu welcher Vorlesung ich gleich noch hin muss;)...