Kolumne Teil IV - Tooltime
Kaum zu glauben, wir haben es wieder einmal bis zum ersten Montag im Monat geschafft. Zeit also für Kolumne Teil IV, für die ich mich mal wieder ordentlich an die eigene Nase packen musste...
Tooltime
- oder warum ein Modellbauer alles gebrauchen kann
Vor einiger Zeit war ich bei Verwandten zu Besuch. Als wir abends gemütlich durch die Innenstadt zogen, bemerkte ich zufällig, dass meine Cousine lackierte Fingernägel hatte. Zufällig deshalb, weil es ein farbloser Glanzlack war. Sofort erinnerte ich mich an einen Tipps & Tricks Artikel, den ich einmal im Internet gesehen hatte, und in dem Nagellackentferner zum Erzeugen glatter Spachtelnähte benutzt wurde. Ohne mir im Klaren darüber zu sein, wie komisch es für Außenstehende klingen musste, fragte ich sie daher ganz selbstverständlich, ob sie auch Nagellackentferner zu Hause habe (richtig, eine rein rhetorische Frage), und wie teuer dieser sei. Als Antwort gab es erst einmal einen ungläubigen Blick, so dass ich mich plötzlich sehr beeilte den Zusammenhang zu erklären.
Bei solchen Gelegenheiten wird mir immer wieder deutlich, wie stark sich meine Bautechniken und Ansprüche im Laufe der Zeit verändert haben. Schon lange reicht es nicht mehr aus, auf "im Bausatz nicht enthaltene" Farben und Kleber zu vertrauen, um das Modell "entsprechend den Abbildungen" fertig zu stellen. Mit den Techniken haben sich auch die Arbeitsmaterialien geändert, so dass sie heute aus fast allen Bereichen des täglichen Lebens stammen. Und da besonders die Küche ein Bereich des täglichen Lebens ist findet man dort auch viele Beispiele.
Alles fing damit an, dass normales Leitungswasser zum Ablösen der Decals nicht mehr gut genug war. Essig war angesagt. Und da es leider gerade keinen normalen Essig in der Speisekammer gab, rochen meine Modelle bald nach dem Aufbringen der Abziehbilder nach einer delikaten Kräutermischung.
Bei Dioramenfreunden ist auch das Gewürzregal sehr beliebt, und was eigentlich auf die Pizza gehört spendet bald als Miniaturlaub in der selbstgebastelten Flora Schatten.
Zahnstocher sind genauso Mangelware wie Mineralwasserflaschendeckel, in denen man Farbe mit Zahnstochern anrührt.
Ein ganz anderes Kapitel ist das vielzitierte Future. Während der Laie ungläubig zweimal hingucken muss, wenn er bei ebay eine Flasche amerikanischen Fußbodenpflegemittels in einer Modell-Kategorie entdeckt, hat der Modellbauer diesen Artikel schon längst unter Beobachtung genommen. Ob sich die Erfinder dieses Fußbodenwaches je erträumt hätten, dass ihr Reinigungsmittel einmal zu der Geheimwaffe jedes Modellbauers werden würde? Dass "Future" in Deutschland schwer zu finden ist, ist kein Geheimnis. Aber zum Glück gibt es ja die einheimischen Pendants wie Erdal Glänzer oder Sofix, so dass es auch in deutschen Vitrinen fein nach Zitrone duften kann.
Und ich schaue mich weiter auf meinem Basteltisch um, auf der Suche nach Modellbauhilfsmitteln, die laut ihrer Anwendungsbeschreibung ursprünglich zu allem anderen als der Herstellung irgendwelcher Plastik-Miniaturen gedacht waren.
Wattestäbchen als Rundprofile und zum Heißziehen von Pitotrohren...und DYMO-Band! Noch so ein klassischer Fall. Ich weiß noch nicht einmal mehr, wo der Prägeaufsatz für dieses "Beschriftungsmedium" geblieben ist, aber bei jeder Neugravur leisten die selbstklebenden Plastikstreifen wertvolle Dienste als flexible Gravurnadelführung. Bei nächster Gelegenheit werde ich mir wohl einen DYMO-Band Vorrat anlegen müssen, denn im Supermarkt findet man es immer seltener.
Da ist es schon viel leichter, an billige weiße Plastiksheets zu kommen. Wenn man nur genug Eis zum Nachtisch isst und die bald leeren 1,5 l Familienbecher vor dem gelben Sack in den Modellbaukeller rettet.
Ich glaube, ich muss noch einmal zurück in die Küche: Gibt es in einem modellbaubelasteten Haushalt auffällig viele Eierspeisen zum Frühstück, Mittag- und Abendessen, ist meist auch die Haushaltsrolle Alufolie geplündert. Dafür findet sich bald ein in den verschiedensten Schattierungen schimmerndes Naturmetallflugzeug in der Vitrine.
Hat man am Wochenende Lust auf ein paar getoastete Brötchen muss im Gegenzug so mancher zurück in den Hobbyraum um dort den als Wärmequelle zum Tiefziehen von Cockpithauben missbrauchten Toaster einzusammeln. Kein Wunder also, dass der Bastelkeller immer zuerst unter Verdacht gerät, wenn irgendwo im Haus etwas fehlt.
Jeder Modellbauer hat so seine eigenen Geheimmittelchen, die auf den ersten Blick nichts im Hobbyraum zu suchen haben; und mit der Zeit kommen immer mehr hinzu (besonders, wenn man sie großzügig untereinander teilt ;-). Und wer weiß, vielleicht denkt in 20 Jahren niemand mehr an Fußböden, wenn er "Future" oder "Erdal Glänzer" hört, sondern höchstens an ein schon längst Standart gewordenes Produkt der Modellbauindustrie. Coca Cola wurde damals auch nur als Medizin erfunden...
Naja, man darf ja noch mal träumen dürfen...
Bernd Korte