Fliegen auf Nummer Sicher
Seit der Serie von Flugzeugunglücken im August haben einzelne Länder schwarze Listen mit unsicheren Airlines erstellt. Weltweite Sicherheitsstandards wären allerdings die bessere Alternative, meint Giovanni Bisignani, Generaldirektor der Weltluftfahrtorganisation IATA
Eine funktionierende und effiziente Luftfahrt ist ein entscheidender Faktor für eine moderne Weltwirtschaft und einen globalen Tourismus. Für die International Air Transport Association (IATA) als Interessenverband von weltweit 265 Luftverkehrsgesellschaften hat die Sicherheit dabei allerhöchste Priorität.
Die Öffentlichkeit vertraut in unsere Fähigkeit, diese Sicherheit zu gewährleisten - 1,9 Milliarden Fluggäste haben sich im letzten Jahr darauf verlassen. 2005 werden es voraussichtlich zwei Milliarden Reisende sein.
Vor dem Hintergrund der Unfallserie im August - vier Abstürze in 17 Tagen mit 337 Toten - und der daraus entstandenen Debatte sollten wir allerdings nicht vergessen, welche Erfolge im Sicherheitsbereich bereits erzielt wurden. Die Flugzeug-Verlustrate, auf eine Million Flüge gerechnet, ist hierbei eine aussagekräftige Bemessungsgrundlage: Diese Rate sank von 1,34 im Jahr 1998 auf 0,78 in 2004. Legt man die Zahl der Reisenden und deren zurückgelegten Distanzen zugrunde, ist das Fliegen die vergleichsweise sicherste Form des Reisens. Die IATA und ihre Fluggesellschaften haben sich verpflichtet, die Sicherheit noch weiter zu verbessern; die Unfallrate soll 2006 um weitere 25 Prozent sinken.
Unser Erfolg in der Verbesserung der Flugsicherheit gründet auf einem globalen System von Standards und Transparenz. Unfalluntersuchungen und Datenanalysen sind Grundlage dieses Verbesserungsprozesses. Ziel der Untersuchungen ist es, die Ursachen zu verstehen. Die Luftfahrtindustrie hat Millionen von US-Dollar in das Sammeln und die Analyse der Daten investiert, um herauszufinden, wo Sicherheitspuffer überschritten wurden - möglicherweise auch bei einem Flug, der sicher gelandet ist. Am Ende werden wir Systeme und Prozesse haben, die das Fliegen noch sicherer machen.
Die in Europa aufgekommene Diskussion um sogenannte schwarze Listen für Fluggesellschaften ist für uns jedoch ein Anlaß zur Sorge. Diese Listen sind eine opportunistische, gesteuerte politische Antwort auf menschliche Tragödien, sie sind jedoch keine Lösung, weil sie die Flugsicherheit nicht verbessern. Wird ein solcher Schritt dennoch erwogen, sollte er mit einer umfassenden Strategie verbunden sein, die den Regierungen in Europa einen besseren Einblick in die Sicherheitsstandards ausländischer Airlines erlaubt. Zur Diskussion steht aktuell, daß alle Staaten dementsprechend effiziente Überwachungsmaßnahmen einrichten.
Fluggesellschaften, die international operieren, benötigen ein Airline Operator's Certificate (AOC), das von der Regierung im jeweiligen Heimatland der Airline ausgestellt wird. Dieses Zertifikat garantiert, daß die Fluglinie die nationalen Anforderungen erfüllt. Das setzt selbstverständlich voraus, daß diese Anforderungen internationale Standards erfüllen. Wenn also eine Fluggesellschaft auf einer schwarzen Liste erscheint, ist dieser Umstand letztlich das Signal einer fehlerhaften nationalen Regelung.
Die International Civil Aviation Organization (ICAO) ist eine spezialisierte Organisation der Vereinten Nationen. Ihre Standards und Empfehlungen sind bedeutende Eckpfeiler der internationalen Luftfahrt. Das Universal Safety Oversight Audit Programme der ICAO überwacht die Erfüllung der internationalen Standards durch die einzelnen Staaten. Die Maßnahmen der ICAO zur Stärkung der internationalen Sicherheitsüberwachung sind von entscheidender Bedeutung, benötigen jedoch Zeit und beachtliche Investitionen.
Was ist in der Zwischenzeit in Europa zu tun? Die erste Empfehlung: Alle Maßnahmen müssen transparent sein und weltweite Standards erfüllen. Falls eine schwarze Liste Teil der Planung ist, sollten wir uns alle einvernehmlich darüber verständigen, wie die Kriterien auszusehen haben, um eine Fluggesellschaft auf eine derartige Liste zu setzen. Und natürlich sollte auch ein einheitliches Vorgehen definiert werden, wie es einer Airline gelingt, wieder von einer solchen Liste zu verschwinden. Die Tatsache, daß die aktuellen europäischen Listen so unterschiedlich sind, zeigt jedenfalls deutlich, daß es bisher keine einheitlichen Standards gibt.
Auch wenn die Möglichkeiten zur Sicherheitsüberwachung sich von Land zu Land unterscheiden, hat Sicherheit für die Fluggesellschaften oberste Priorität. Die Mitglieder der IATA, die 94 Prozent des internationalen Linienflugverkehrs repräsentieren, haben sich deshalb zum ersten weltweiten Standard für Flugsicherheit verpflichtet. Es nennt sich IATA Operational Safety Audit (IOSA) und ist das Herzstück der Sicherheitsbemühungen der Airline-Industrie.
IOSA ist zwar ein von Fluggesellschaften initiiertes System, die Standards wurden jedoch in Kooperation mit Überwachungsbehörden auf der ganzen Welt eingeführt, darunter die US Federal Aviation Administration (FAA), Australiens Civil Aviation Safety Authority, Transport Canada und der Zusammenschluß der europäischen Luftfahrtbehörden.
Die IOSA-Standards erreichen ein Höchstmaß an gemeinsamen Vorstellungen und Zielen und setzen die Latte für die Sicherheit noch höher an. Darüber hinaus werden zertifizierte und unabhängige Dritte beauftragt, diese Standards regelmäßig zu überprüfen. Dieses Programm wird übrigens für alle Airlines zur Verfügung stehen - unabhängig von einer IATA-Mitgliedschaft.
Bis zum Jahresende rechnen wir damit, daß sich 80 Fluggesellschaften am Programm beteiligen werden. Unser Ziel ist, daß am Ende alle IATA-Mitglieder die IOSA-Standards einführen.
Dies ist nicht die Zeit, um in den Sumpf der uneinheitlichen Lösungen zurückzurudern, die politisch motiviert, ineffektiv und wenig zielführend sind. Wenn Europas Überwachungsbehörden in ihrer aktuellen Debatte die Möglichkeiten von IOSA konsequent anwenden, wird das zweifellos eine positive Auswirkung auf die Sicherheit des Luftverkehrs haben.
Zudem ist es wichtig zu wissen, daß europäische Medien durchaus Vertrauen in die Sicherheit der Luftfahrtindustrie haben. Die Berichterstattung hat gezeigt, daß die ungewöhnliche Serie von Abstürzen unglückliche, aber nicht zusammenhängende Ereignisse waren. Sorgfältige Untersuchungen werden nach unserer Überzeugung neue Wege aufzeigen, die Luftfahrt noch sicherer zu gestalten. Wir hoffen, daß Europas führende Politiker genauso scharfsinnig sind wie die Medien. Die Öffentlichkeit darf das von ihnen erwarten.
-Der Autor ist Generaldirektor der International Air Transport Association (IATA), die 265 Fluggesellschaften aus 136 Ländern vertritt, die weltweit 94 Prozent des Linienflugverkehrs abwickeln
Artikel erschienen am 6. November 2005
http://www.wams.de/data/2005/11/06/798280.html?s=1