Schorsch schrieb:
Schade, ich wollte eigentlich kein Russen-Bashing starten, sondern bin ernsthaft interessiert, warum man bei den sowjetischen LSK diese heute (und schon damals) so wichtige Komponente derartig vernachlaessigt hat.
Es muss Gruende dafuer geben.
Dafür dürfte es mehrere Gründe geben.
1. Strategiewechsel der NATO von der Massiven Vergeltung zu flexible response. Zur Entwicklungszeit der Tu-126 war damit zu rechnen, dass sich jeder Konflikt gemäß der damaligen NATO-Doktrin zu einem massiven nuklearen Schlagabtausch entwickeln würde. Demzufolge war auch mit einem massiven Einflug US-amerikanischer Bomber über die Arktis bzw. den Fernen Osten zu rechnen. Dabei ging es zunächst um hochfliegende Einzelziele mit relativ großer Radarrückstrahlfläche. Das Lokalisieren dieser Ziele war schon damals nicht besonders anspruchsvoll, problematisch war eine lückenlose Abdeckung bzw. mindestens eine schnelle Schwerpunktverlagerung bei unzureichender Bodeninfrastruktur. Mit der flexiblen response versuchte die NATO eine "angemessene" Antwort zu finden, d. h. begrenzt zu agieren bzw. reagieren. Damit wurde zumindest theoretisch eine Chance eröffnet, das nukleare Inferno zu verhindern. Flexible response bedeutete in den Augen der Russen, dass evtl (Gegen)-Schläge sowohl in Intenistät begrenzt wären als auch wahrscheinlich im Raum des jeweiligen Kriegsschauplatzes stattfinden würden. Damit war die Gefahr eines Angriffes aus dem Norden nicht gebannt, aber er war weniger wahrscheinlich geworden.
2. Die Luftraumüberwachung auf dem Kriegsschauplatz, der am wahrscheinlichsten anzunehmen war - Westeuropa - war qualitativ und quantitativ gut ausgebaut, AWACS in den 60/70er nicht zwingend geboten.
3. Perspektivisch wurde angenommen, dass die Rolle der Bombenflugzeuge als Nuklearwaffenträger von ballistischen Raketen übernommen wird, zu deren Vernichtung gab es damals aber kaum einsetzbare Technologien, die Tu-126 war in dieses Konzept auch nicht vernünftig zu integrieren.
4.In den 60ern hat man sich auch davon verabschiedet, das Land flächendeckend gegen Luftangriffe (oder ICBM) schützen zu können und sich aus Ressourcegründen auf den Schutz vitaler Objekte orientiert.
5. Die auch damals schon begrenzten Ressourcen wurden folglich für andere Zwecke eingesetzt. In diesen zeitraum fällt auch die erste "Hochphase" sowjetischer Raketenabwehrsysteme. Diese hatten den Vorteil, den Luftraum weiträumig ständig überwachen zu können, eine "Jägerleitung" war nicht notwendig, da anfliegende ICBM mit Abwehrraketen bekämpft werden sollten - in der Nähe ihrer Zielobjekte.
6. In den 70er Jahren gab es eine Trendwende. Die NATO setzte auf tieffliegende Flugzeuge (Tornado) bzw. Marschflugkörper bzw. Mittelstreckenraketen. Dafür war die auf dem westeuropäischen Kriegsschauplatz vorhandene Luftraumüberwachung allerdings nicht ausgelegt. Also bestand hier wieder die Notwendigkeit, ein AWACS-Pendant zu schaffen, um die Lücken im eigenen Radarnetz zu schließen.
7. Die 70er hatten ebenfalls gezeigt, dass die militärische Auseinandersetzung zwischen den Blöcken in Form von Stellvertreterkriegen geführt wird. Für diese war aber das stationäre sowjetische Radarnetz nicht geeignet, da nicht verlegbar. Eine - mehr oder weniger verdeckte - Unterstützung der Stellvertreter würde zukünftig eine Abstützung auf luftgestützte Luftraumüberwachung erfordern. Dieses geänderte Anforderungsprofil (6+ sehr eingegrenzt auch 7) führte dann zur "Neuauflage" in Form der A-50.
Gruß R.