Servus,
da will ich mal meinen Senf dazugeben.
Hier ein Auszug unserer Dokumentation :
2.2 Untersuchungsbericht Fluid Residues
Vor kurzem wurde von der Bundessstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) ein
Untersuchungsbericht zu Flugverkehrsstörungen wegen sog. Fluid Residues veröffentlicht.
Der Bericht geht in erster Linie von einem Vorfall einer BAE 146 im März 2005 aus,
bezieht aber nachfolgende Fälle mit ein, so auch den einer Dash 8-300
im März 2006.
Sachverhalt:
Während eines Frachtfluges von Frankfurt nach Stuttgart geriet das Flugzeug im Steigflug von FL 80 auf FL 100 bei eingeschaltetem Autopiloten in eine langsame Anstellwinkelschwingung mit zunehmender Amplitude. Die Nickbewegungen des Flugzeuges gingen bis zu einem positiven Anstellwinkel von 18 Grad und führten zu einer Sinkrate bis zu 4500 ft/min.
Bei abgeschalteten Autopiloten brachte die Besatzung das Flugzeug in IMC- und Vereisungsbedingungen mit Hilfe der manuellen Höhenrudertrimmung wieder unter Kontrolle. Ein längerer Aufenthalt in FL 130 in VMC und außerhalb von Vereisungsbedingungen änderte an den Kontrollproblemen des Flugzeuges nichts.
Nachdem die Checklisten für abnormale Situationen und Notfälle keine Lösung für das bestehende Problem enthielt, entschied sich die Besatzung wegen besserer Wetterbedingungen zu einem Instrumentenlandeanflug in Stuttgart. Die Kontrolle der Höhe und das Aufsetzen des Flugzeuges erfolgte unter Benutzung der manuellen Höhenrudertrimmung.
Bei der Überprüfung des Flugzeuges unmittelbar nach der Landung wurden in den Spalten zwischen der Flosse und dem Ruder des Höhenleitwerks, sowie im Bereich der Quer- und Seitenruder, stark aufgequollene und vereiste Rückstände von Enteisungsmittel gefunden. Das Höhenleitwerk sowie die Tragflächen des Flugzeuges wurden nach den Vorgaben des Flugzeugherstellers gereinigt. Bei den danach durchgeführten Flügen
funktionierte sowohl die Steuerung als auch der Autopilot wieder einwandfrei.
Entstehung der Rückstände:
Bei den in Mitteleuropa für die Enteisung und den Vereisungsschutz eingesetzten Flüssigkeiten handelt es sich vorwiegend um so genannte verdickte Enteisungsflüssigkeiten SAE Typ II, Typ III oder Typ IV. Diese Flüssigkeiten enthalten im Gegensatz zu der in Europa wenig verbreiteten unverdickten Enteisungsflüssigkeit SAE Typ I einen geringeren Anteil eines Polymers, das dazu dient, die viskoselastischen Eigenschaften der Enteisungsflüssigkeiten, den Anforderungen nach einem längeren
Schutz vor Wiedervereisung, anzupassen.
Solange das Flugzeug steht bzw. sich nur langsam bewegt, sorgt der Verdicker dafür, dass ausreichend Flüssigkeit auf dem Flugzeug haften bleibt, um dessen Wiedervereisung innerhalb einer bestimmten Zeit zu verhindern. In Abhängigkeit von der Anströmung werden beim Startvorgang die in der Flüssigkeit vorliegenden Aggregate des Polymerverdickers in der Form verändert. Dadurch nimmt die Viskosität der Enteisungsflüssigkeit während des Startlaufs ab und kann vollständig von der Flugzeugoberfläche abfließen.
Beim Aufbringen der Enteisungsflüssigkeit gelangt diese aber auch an Stellen des Flugzeuges, an denen die Anströmung nicht wirken kann. Während des Fluges trocknen die verbleibenden Reste der Enteisungsflüssigkeit bei niederer Temperatur, niedrigem Luftdruck sowie geringer Luftfeuchtigkeit aus. Der Wasser- und Glykolanteil in der Flüssigkeit verdunsten (Dry-out) und zurück bleibt der Polymerverdicker als Rückstand(Residue).
Dieser Polymerrückstand ist sehr hygroskopisch, d. h. er kann aus der Luft ein Vielfaches seines Gewichtes an Wasser aufnehmen (Rehydration) und zu einer gelartigen Masse anwachsen. Abhängig von der Umgebungstemperatur gefriert dieses stark wasserhaltige Gel. Das dann vorliegende Eis kann eine Behinderung der Ruderbewegung bewirken.
Versuche:
Im Auftrag der BFU wurden zahlreiche Tests mit Enteisungsflüssigkeiten verschiedener Hersteller vom Type II und IV durchgeführt. Hierbei wurde unter Laborbedingungen getestet, wie viel trockene Enteisungsmittelrückstände die einzelnen Flüssigkeiten bilden und wieviel Wasser diese Rückstände dann aufnehmen, wenn sie wieder mit Wasser inBerührung kommen.
Die wichtigsten Ergebnisse:
- keine Unterschiede zwischen Type II und Type IV Fluids in bezug auf Rückstände
- verdünnte Fluids (z.B. 50/50) hinterlassen ebensoviel Rückstände wie unverdünnte
- obwohl die Produkte unterschiedlicher Hersteller alle die Spezifikationen für Type II
oder IV Fluids erfüllen, produzieren einige deutlich mehr Rückstände als andere.
Betroffene Flugzeugmuster:
Alle betroffenen Flugzeugmuster waren Kurzstrecken-Verkehrsflugzeuge mit max. 130 Sitzplätzen ohne hydraulische Höhenrudersteuerung (bzw.-Querrudersteuerung).
Daraus kann man jedoch nicht schließen, dass größere Flugzeuge nicht betroffen sein
können. Allerdings ist bei diesen die Hydraulik meist stark genug, um schwergängige Ruder trotzdem bewegen zu können.
In allen Fällen von eingeschränkter Höhenrudersteuerung verbesserte sich die Situation im Anflug wieder, als wärmere Luftschichten erreicht wurden.
Sicherheitsempfehlungen der BFU, vor allem:
- es sollte verstärkt Type I Fluid zusätzlich an den Flughäfen angeboten werden
- für die Verfahren der Flugzeugenteisung sollten europaweit einheitliche luftrechtliche Regelungen eingeführt werden
- für Enteisungsflüssigkeiten sollten Zulassungskriterien erstellt werden, die verbindliche Grenzwerte für Rückstandsbildung festlegen.
Diese Empfehlungen sind nicht von heute auf morgen umzusetzen, obwohl z.B. der Druck der LH auf die Flughäfen, Type I wieder anzubieten, schon in einigen Fällen erfolgreich war, z.B. in FRA und GVA.
Warum es in den letzten beiden Wintern zu einer Häufung der Vorfälle kam (und zu den ersten Fällen bei Dash 8), konnte auch die BFU letztlich nicht aufklären. Beides waren jedoch überdurchschnittlich schneereiche Winter mit vielen Enteisungsvorgängen. Hier werden noch weitere Untersuchungen vorzunehmen sein.
Bis dahin ist aus Sicht des Operators das wichtigste Gegenmittel die ständige Kontrolle und Reinigung der Flugzeuge während der Enteisungssaison.
Soviel dazu. Anzumerken ist noch, daß man, wie gesagt, schon um die Problematik wußte und auch z.B. der Hersteller Bombardier ( Dash 8 ) in seinen Wartungsanweisungen vorschreibt, daß bei erhöhtem Enteisungsaufkommen die Flugzeuge alle 50 bis 70 Flugstunden ( also einmal pro Woche ) mit heißem Wasser ab- bzw auszuspülen sind. Nun, da lange nichts passiert ist, hat man das mit der Zeit vernachlässigt.
Es ist wie immer im Leben, erst wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist wird gehandelt. Die Crews sind da aussen vor, die haben da leider keinen Einfluß drauf und können nicht nachvollziehen ob die vorgeschriebenen Maßnahmen auch wirklich getroffen wurden.
Gruß, zette