Sensationelle Enthüllungen verkaufen sich besser:
Es klingt immer interessant, wenn ein Historiker etwas ausgegraben hat, das ein völlig neues Licht auf eine historische Person wirft. Oft gibt es nicht einmal Nachfahren, die den neuen "Enthüllungen" etwas entgegen setzen können.
Was die heurigen Historiker m. E. disqualifiziert, ist die
Bewertung vergangener Ereignisse nach heutigen Maßstäben. Wenn eine historische Figur etwas getan oder sein gelassen hat, dann wegen der damaligen Umstände, Zwänge, Rechtslage und Wertmaßstäbe.
Dr. Dr. Castan bestreitet oder widerlegt nicht einmal biografische Daten und Fakten, sondern er schreibt gegen den Mythos an, also ein Phänomen eines Rufes, der sich in der Welt verbreitet und überliefert hat, und zwar in breiten Volksschichten, die keine genaue Kenntnis dieses Jagdfliegers haben und bei denen ohnehin nur bemerkenswerte Details hängen bleiben, so z. B. die - eigentlich nebensächliche - rote Farbe seines Dreideckers, und natürlich seine zahlreichen Luftsiege. Es war nicht zuletzt die Popularität des Roten Barons in den USA, die ihn bis heute derart bekannt bleiben lässt - in der Tat ein "naiver Mythos", wie Greenheart oben schreibt.
Die Story von der
Ritterlichkeit der Jagdflieger im 1. Weltkrieg basiert meines Wissens auf einer unbewiesenen Aussage von
Ernst Udet, der von seinem französischen Gegner (Georges Guynemer) in der Luft verschont worden sei, weil Udet Ladehemmungen in der Bordwaffe hatte. Nach einem Gruß Flügel an Flügel habe man sich getrennt wie Sportsleute.
Zu Richthofen:
Ich habe noch nie von der Geschichte mit der Zwangslandung und der gemeinsamen Zigarette gehört. Und wer war Hawkins? Mir ist bekannt, dass Manfred von Richthofen den britischen Staffelführer Lanoe Hawker nach einer Verfolgung in der Luft tödlich abgeschossen hat. Aber das ist ein anderes Ereignis gewesen.
Ich kenne nur
eine Biografie über den Roten Baron, und zwar 'Der rote Kampfflieger', eine Autobiografie von Manfred Freiherr von Richthofen aus dem Jahre 1917. Es schildert das aus heutiger Sicht etwas einseitige Leben eines jungen Mannes, der mit 11 Jahren die strenge Erziehung in einer Kadettenanstalt kennen lernte, und der erwartungsgemäß zu einem preußischen Offizier herangezogen wurde. Aufgewachsen auf einem schlesischen Landgut, waren seine Hobbies "das Reiten und das Jagen". So wundert es nicht, dass er als Kundschafter bei der Kavallerie landet. Später wird er Beobachter im Aufklärungsflugzeug und bekommt Lust, selbst den Steuerknüppel zu führen. Es passt sicher nicht in seinen 'Mythos', dass Richthofen (wie viele Flugschüler halt) Angst vor seinem ersten Alleinflug hatte. Das schreibt er zumindest in seinem Buch, und es zeigt, dass seine Autobiografie keine pure Angeberei oder heldenhafte Selbstbeweihräucherung ist.
Seine Jagdfliegererfolge erklärt Richthofen mit seiner Jagdleidenschaft; und er wirkt in seinen Schilderungen abgehärtet, kalt und professionell. Bezeichnend finde ich die Passage, in der Richthofen sich in einer Gefechtspause an der Westfront von einem Staffelkameraden mit dem Flugzeug in einem einsamen, verschneiten Waldgebiet absetzen lässt, wo er die Vollmondnacht nutzt, um auf Wildschweine anzusitzen.
Bei Interesse an einer Richthofen-Biografie empfehle ich, auch die Autobiografie des Roten Barons mitzukonsumieren. Mein Taschenbuch ist vom Matthes & Seitz Verlag GmbH München (1977), ISBN 3882210044, eine Neuausgabe der 1. Auflage von "Der rote Kampfflieger" (Berlin, 1917).