Ich habe neulich einen älteren Herrn in der Bäckerei getroffen. Als ich so nebenbei vor mich hin murmelte, dass Boeing den 50. Geburtstag der ‚Phantom’ vergessen hätte, meinte er: „Das kann doch wohl nicht wahr sein!“ „Ja, unglaublich“, habe ich ihm beigepflichtet, „aber... kennen Sie die Phantom auch?!“
Der ältere Herr sah mich nur pikiert an und meinte: „Also, als die Produktion der F3H Demon ausgelaufen war, hat McDonnell etwa jeden Monat einen neuen Vorschlag bei der Navy eingereicht.“ „Ach“, meinte ich und sah ihn mit großen Augen an. „Ja, es gab keine offizielle Ausschreibung, und McDonnell hat uns nacheinander die F3H-A, -B, -C, -D, -E, -F, -G und -H aufgetischt. Sie waren mit vier 20-mm-Kanonen ausgerüstet; die F3H-G hatte das J65 als Triebwerk, und die F3H-H das J79. Dass die Phantom zweistrahlig war, habe ich selbst immer für für nebensächlich gehalten, aber ein Vorteil war es schon.“ „Warum hatte die Phantom denn ursprünglich keine Kanone?“, wollte ich wissen.
„Naja, die späteren Betreiber haben sich alle eine Bordkanone gewünscht. Aber es war auch allgemeiner Konsens, dass gegen einen hochgerüsteten Gegner unserer Flotte nur Flugkörperbewaffnung als Abwehr taugt. Das war eine ganz schöne Auseinandersetzung in der Navy, ob man sich neben den Sparrow-Raketen noch das Gewicht für eine Bordkanone leisten sollte“, meinte er zu mir, „wo doch das Gewichtslimit für den Trägereinsatz zu beachten war - also wegen der Katapulte und der Fanganlage.“ Ich nickte. „Aber wie war das mit dem zweiten Besatzungsmitglied?“
Der ältere Herr, der inzwischen andere Kunden vorließ, erklärte: „Es gab da Unregelmäßigkeiten, die zur Bestellung des Jagdbombers AH-1 geführt haben. Er war einsitzig, mit zwei Nachbrennertriebwerken und recht kurzer Reichweite, und es gab in der Navy überhaupt keine Planungen für ein solches Flugzeug. Etwa sechs Monate nach der Bestellung gab es eine Studie, das Flugzeug umzukonfigurieren, aus der dann die bekannte F4H-1-Auslegung hervor ging.“ „Merkwürdig“, fand ich, „denn die Vought XF8U-3 ‚Crusader III’ war dann ja wiederum einsitzig.“
„Das war dann wieder ein halbes Jahr später, und zu diesem Zeitpunkt hatten die Fürsprecher für die einsitzige Version in der Navy das Oberwasser“, erläuterte der ältere Herr mir. „Es wurde 1955 ein Wettbewerb ausgeschrieben, und in der Endauswahl war neben der F4H-1 noch die XF8U-3, ebenfalls mit Sparrow-Raketen und ohne Bordkanonen. Sie kam erst ein Jahr später in den Wettbewerb als die F4H und die Vought-Ingenieure haben die festgestellten Konstruktionsmängel schneller und besser beseitigt als die bei McDonnell.“
„Es heißt, die F8U-3 wäre das beste Flugzeug gewesen, das die Navy je gestrichen hätte“, warf ich ein. Der ältere Herr nickte. „Ja, es wurden ja beide Typen in der NAS Patuxent River beim Naval Air Test Center (NATC) geflogen, und die F8U-3 war nach Auswertung der Testflüge bei Weitem der leistungsfähigere Typ. Er hätte unter normalen Umständen den Wettbewerb gewonnen. Die Navy hätte natürlich gerne beide Typen bestellt, als Absicherung, falls bei einem von ihnen plötzlich gravierende Ausfälle in der Zelle oder im Triebwerk aufgetreten wären. Aber der US-Kongress hat 1957 kategorisch verlangt, dass einer der beiden Typen aus dem Beschaffungsprogramm zu streichen sei. Welcher von beiden es sein würde, war übrigens keine politische Entscheidung, sondern eine fachliche. Wir haben immerhin erreichen können, im folgenden Jahr noch einen fliegerischen Vergleich anzusetzen und danach erst den Sieger auszuwählen.“
„Und warum hat die Phantom dann eigentlich gewonnen?“, wollte ich wissen. „Tja“, meinte der ältere Herr, bestellte jetzt seine Brötchen und antwortete: „Weil die Phantom zweisitzig war. Es kam ein Bericht vom NATC, in dem einstimmig für eine Aufgabenteilung im Cockpit gestimmt wurde, also für eine zweisitzige Auslegung des künftigen Flotten-Allwetterjägers. Dass sich diese Jagdflieger für einen Zweisitzer entschieden haben, war schon unglaublich. Es müssen die Radarleute gewesen sein, die sich da durchgesetzt haben. In einem modernen Luftkampf mit Radarlenkwaffen hat derjenige gewonnen, der den Gegner früher auffasst. Das war das Argument für den zweiten Mann im Cockpit. Später wurde dieses Konzept dann allgemein akzeptiert“, meinte der ältere Herr und nahm seine Brötchen.
„Ja, die Phantom hat ja nun bewiesen, dass das Konzept richtig war“, meinte ich und grüßte den alten Herrn noch, als er hinaus ging. Dann besann ich mich, warum ich eigentlich beim Bäcker war.
PS: Vorstehende Begegnung in der Bäckerei ist fiktiv – der ältere Herr jedoch nicht.
Fazit: So waren wohl die zwei Sitze und die zwei Triebwerke am Ende die entscheidenden Argumente für die Kür der F4H ‚Phantom II’ zum künftigen Allwetterjäger der U. S. Navy.
Hier ist auch noch eine lesenswerte Entwicklungsgeschichte der F-4 auf Englisch:
http://www.wingweb.co.uk/aircraft/McDonnell_Phantom_F-4_part1.html
Auf nachstehendem McDonnell-Foto der F4H-1 sieht man den positiven Nebeneffekt, den die Unregelmäßigkeiten um die AH-1 für die späteren Luft-Boden-Fähigkeiten der ‚Phantom II’ hatten. Diese waren für ihren späteren Erfolg als Mehrzweck-Kampfflugzeug nicht zu unterschätzen, und es ist nicht anzunehmen, dass die F8U-3 in dieser Hinsicht hätte mithalten können: