"Blindflug": Gestern und heute.

Diskutiere "Blindflug": Gestern und heute. im Luftfahrzeuge allgemein Forum im Bereich Luftfahrzeuge; Hi, ich habe in C.C. Bergius' "Söhne des Ikarus" mal wieder die Geschichte von Alcock & Whitten-Brown und ihrer ersten Atlantiküberquerung...

Boogi

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Hi,

ich habe in C.C. Bergius' "Söhne des Ikarus" mal wieder die Geschichte von Alcock & Whitten-Brown und ihrer ersten Atlantiküberquerung gelesen. Darin wird beschrieben, wie die beiden ohne moderne Instrumente den Atlantik, zum Teil in Nacht und Wolken, überquert hatten.

Jetzt stellt sich mir die Frage: Wie war das möglich? Kennen wir doch alle die "178-Sekunden-Geschichte" (-> google) und wissen, dass ein Sichtflieger in Wolken ziemlich schnell verloren ist.

Ich kann mir das nur teilweise dadurch erklären, dass die Flieger um die Rollachse eigenstabil waren (pos. Schiebe-Roll-Moment). Dadurch könnte man den Kurs mit dem SR nach Kompass halten und die Eigenstabilität hält die Flügel waagerecht.

Viele Grüße
Boogi

PS.: Kann einer von Euch Wolkenflug nur mit Wendezeiger & Libelle?
 
JohnSilver

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Im Lotter Kreuz links oben
PS.: Kann einer von Euch Wolkenflug nur mit Wendezeiger & Libelle?
Da noch immer keine Antwort von den Profis gekommen ist, zumindestens mal eine Antwort auf diese Frage:

Fliegen nach Libelle und Wendezeiger gehörte jedenfalls bei mir sowohl bei der Instrumentenflug-Ausbildung als auch bei den folgenden Checks zum Programm.

Ich behaupte aber nicht, dass ein solches Fliegen einfach wäre... zu Beginn der Instrumentenfliegerei war das aber wohl vermutlich "Hochtechnologie".

Grüße,
Robert
 

Boogi

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Danke Robert für die Antwort.

Ich kann mir schon denken, dass das Fliegen nur nach WZ & Libelle schwierig ist. Wir haben einen WZ in einem unserer Segelflugzeuge. Er funktioniert sogar, ich habe mich aber noch nie getraut, damit in eine Wolke zu gehen oder sogar in der Wolke weiter zu kreisen. Gut... illegal wär' das auch noch...

Gruß
Boogi
 
Schorsch

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mit Elbblick
Es ist ja heute dem normalen Piloten verboten, weil er sich einfach zu oft dabei umbringt. Die beiden damals waren sicherlich Ausnahmepiloten, welche in einer Situation besonderer Konzentration die Sache gemeistert haben. Wären die 20 oder 100 Mal so rüber geflogen, irgendwann hätte es sie vielleicht auch geschmissen. Jetzt kann man sich ausrechnen, dass wenn ein Verfahren eine 1/100 Chance auf senkrechte Ackerlandung hat, dass an "thermischen" Tagen es Segel-Flieger regnen würde.
 
mike november

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Terra Dithmarsica
...auch die Postfliegerei in den USA hat ja häufig unter IMC stattgefunden. Mit Libelle, Wendezeiger, Altimeter, Kompass und Fahrtmesser konnte man aber schon relativ "anständig" HeadsDown fliegen, man muss dabei ja bedenken, das es nicht darum ging Stuerkurse +/- 5° zu fliegen, Höhen auf +/-100ft... Verkehr war in jenen Tagen kaum vorhanden und die Höhen der zu passierenden "Cumuli Grannitus" auf dem Weg waren bekannt. Natürlich ist das alles weit weit weg von dem was man heute als sicheren Flugbetrieb definieren würde, aber das galt im Großen und Ganzen für nahezu alle Aspekte der Fliegerei jener Tage. ;)
 

Boogi

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Ich stell mir das gerade vor wie das wäre, wenn eine typische "Plastikwolke" kollektiv beschließen würde in den echten Cumulant reinzugehen....
Und dann steckst Du da in der Suppe und das FLARM spielt Weihnachtsbaum...

Um nochmal auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen: Ihr haltet es also zumindest prinzipiell für machbar auch ohne Kreiselinstrumente (also WZ) in IMC zu fliegen, solange gute Piloten, Risikobereitschaft und ein eigenstabiles Flugzeug vorhanden ist?

Boogi

PS.: Wir haben im FI-Lehrgang mal ein Verfahren gezeigt bekommen um dünne Wolkenschichten im Notfall zu durchfliegen.
Kurs Süd (dann sind die Kompassfehler "günstig"). Klappen raus. Flugzeug auf ca. 160km/h austrimmen. Hände vom Knüppel und den Kurs nur mit dem SR steuern. Das ist dann in der Tat ein sehr stabiler Flugzustand...
 

Boogi

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@YellowCab

Vielleicht hätte ich da noch ein paar Smileys dazu machen sollen...
Mir ist die heutige Problematik sehr wohl bewusst und darum geht es mir in der Frage auch gar nicht.

Mir geht es eher um die historischen Flüge. Die sind damals sehr wohl längere Zeit in IMC geflogen. Entweder muss es also doch möglich sein mit gewissem Risiko aber ohne Kreiselinstrumente so zu fliegen, oder die Informationen in dem Bericht sind falsch und die hatten damals alle schon Wendezeiger.

Gruß
Boogi

PS.: Die allermeisten Segelflieger werden nie in ihrem Fliegerleben dazu kommen das Notabstiegsverfahren auszuprobieren, selbst wenn sie es wollten. Und klar, wer Föhn in den Alpen fliegt, der muss eben sicherstellen, dass eine Wolkenlücke zum Abstieg immer offen ist.
 

Cumulus

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Das von dir erwähnte Verfahren kannst sehr wohl ausprobieren, solltest sogar im Bedarfsfall (Fönfliegen) gelegentlich üben um das Lfz-Verhalten zu erkennen. :FFEEK:
Allerdings solltest Du das bei VMC tun und zumindest einmal zur Probe im DoSi mit geschlossenen Augen fliegen. Du wirst staunen :?!
 
Toryu

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Das Einfachste wäre natürlich, die Wolkenschicht einfach zu durchtrudeln - einen stabileren Flugzustand wird man kaum finden :FFTeufel:
 
JohnSilver

JohnSilver

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So, hab' mal ein bisschen recherchiert. ;)

Gemäß dem Foto des Cockpits der von Alcock und Brown geflogenen Vickers Vimy



hatte diese definitiv keinen Wendezeiger, wenn man Tante Wiki glauben darf, wurde dieser auch erst 1930 erfunden.

Mindestens einmal müssen die beiden auch wohl ins Trudeln gekommen sein (Quelle, sehr lesenswert) und obwohl sie erst 65 ft über dem Meer abfangen konnten, war Ihre größte Sorge dabei, die richtige Richtung wiederzufinden.
The plane was descending in a spiral. But it occurred to neither pilot nor navigator that their end might have come. Their one thought, according to Alcock, was "However shall we get back on our original course and avoid being lost in the endless waste of the Atlantic?"
Was den beiden wohl zugute kam, war ihre große Erfahrung im Royal Flying Corps, Alcock war zudem im ein erfahrener Nachtbomber-Pilot.

Ich vermute allerdings auch, dass das Problem der räumlichen Disorientierung (Vertigo) in Wolken damals noch gar nicht richtig bekannt war. Ich kann mich an Erzählungen von Jagdpiloten des 1. WK erinnern, die in völlig ungewohnter Lage aus Wolken "heraus gefallen" sind, wo doch "Popometer" und der Verstand etwas ganz anderes anzeigten und sich darüber sehr wunderten.
Ich glaube daher, dass es kein Konstruktionsprinzip für sichere Wolkenflüge bei Flugzeugen gab/gibt, sondern dass Alcock und Brown und andere Piloten, die solche Wolkenflüge überlebt haben, schlicht Glück gehabt haben.

Grüße,
Robert
 
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Intrepid

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Ich vermute allerdings auch, dass das Problem der räumlichen Disorientierung (Vertigo) in Wolken damals noch gar nicht richtig bekannt war. Ich kann mich an Erzählungen von Jagdpiloten des 1. WK erinnern, die in völlig ungewohnter Lage aus Wolken "heraus gefallen" sind, wo doch "Popometer" und der Verstand etwas ganz anderes anzeigten und sich darüber sehr wunderten.
Ich glaube daher, dass es kein Konstruktionsprinzip für sichere Wolkenflüge bei Flugzeugen gab/gibt, sondern dass Alcock und Brown und andere Piloten, die solche Wolkenflüge überlebt haben, schlicht Glück gehabt haben.
Zu der Zeit gab es keine Unterscheidung nach Flugregeln und vor allem, es gab keine Minima. Jeder tat das, was er für durchführbar hielt. Viele sind umgekommen, darüber redet heute niemand mehr. Manche haben überlebt und erscheinen heute als Helden.

Guggenheim und Dolittle sind ein paar schillernde Figuren der Instrumentenflug-Anfangszeit. Es gab aber noch mehr Pioniere, die strukturiert vorgingen. Der erste dokumentierte Blindflug war am 24. September 1929. Ich wäre gerne damals Pilot gewesen, heutzutage ist mir das alles zu sehr geregelt.
 

Boogi

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@Toryu
Klar, das geht natürlich. Wenn man ein Flugzeug hat, das stabil Trudelt... man denke ABER z.B. an ASk21 oder Twin 3. Obwohl... mit dem Twin geht's auf dem Rücken :FFTeufel:

@JohnSilver
Cool. Werde mir das mal in Ruhe durchlesen.

@Intrepid
Ich wäre gerne damals Pilot gewesen, heutzutage ist mir das alles zu sehr geregelt.
Da fällt mir das Zitat eines erfahrenen Fluglehrers ein: "Früher, als das Fliegen noch gefährlich und der Sex sicher war." Oder so... ;)
 
Intrepid

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Da fällt mir das Zitat eines erfahrenen Fluglehrers ein: "Früher, als das Fliegen noch gefährlich und der Sex sicher war." Oder so... ;)
Na ja, "gefährlich" hat der Pilot selbst in der Hand. Ich erinnere nur daran, dass seit der Einführung des GPS die Unfallursache "Einflug in schlechtes Wetter" stark zugenommen hat.

Seitdem die Autopiloten zuverlässiger geworden sind, hat auch die Fähigkeit, manuell stundenlang in IMC zu fliegen, rapide abgenommen. Die Autopiloten in kleinen Flugzeugen waren früher nur pro Forma an Bord, vertrauen konnte man ihnen nicht. Heute bleiben die Flugzeuge stehen und der Charterkunde geht unverrichteter Dinge wieder nach Hause, wenn Autopilot oder GPS defekt sind. Weniger Abstürze gibt es dadurch nicht.
 

Boogi

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@Intrepid

Na ja, wir wissen (oder sollten wissen) heute eben viele Dinge die die Sicherheit massiv erhöhen und damals noch unbekannt waren und auch "mit Blut" erkauft wurden.

Bsp.:
Ich werde definitiv keinen Gewiiterflug machen. Nicht nur weil es verboten ist, sondern weil ich weiß, dass es sehr gefährlich ist und sich das Risiko nicht lohnt. Zu dieser Erkenntnis musste man aber erstmal kommen...
 
Thema:

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