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Samt Motorrad und Silberbesteck - Erstmals äußern sich Zeitzeugen über den Flugzeugabsturz bei Trieplatz vom April 1945 - Märkische Allgemeine - Nachrichten für das Land Brandenburg
05.01.2013 Erstmals äußern sich Zeitzeugen über den Flugzeugabsturz bei Trieplatz vom April 1945
TRIEPLATZ - Wenn Willi Pelzer in seinen Kindheitserinnerungen kramt, hört er es dröhnen, jaulen, krachen. So, als war es gestern. Doch es geschah am 22. April 1945 gegen 4.30 Uhr, als sich in Trieplatz über den Köpfen des damals Neunjährigen und den anderen noch schlafenden Dorfbewohnern ein Luftkampf abspielte. "Am nächsten Morgen lag ein Motor hinter unserem Haus", erzählt der heute 77-jährige Willi Pelzer: "Etwas weiter lag der Rest, und noch weiter entfernt eine zweite, größere Maschine." An die Opfer erinnert seit dem Volkstrauertag vorigen November eine neue Grabstätte. Der Landkreis Ostprig-nitz-Ruppin hatte dazu kurzerhand vom Bund für solche Zwecke bereitgestelltes Geld an die Gemeinde ausgereicht. So ließ sich ein Stein meißeln und damit die verwucherte Stelle auf dem Dorffriedhof herrichten. Die Inschrift sagt jedoch nichts über die Anzahl der Toten und das Datum, weil bislang nichts genaues darüber bekannt war. Denn kein Zeitzeuge redete bis dahin öffentlich über die Ereignisse von damals. Willi Pelzer, der mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder als Erwachsener Trieplatz verließ, will den Grund kennen: "Das waren Fahnenflüchtige, die mit der Passagiermaschine abhauen wollten und von einem hinterhereilenden Nachtjäger abgeschossen wurden." Doch auch den Verfolger erwischte es. Denn das größere, viermotorige Flugzeug mit dem auffälligen doppelten Leitwerk am Heck war mit einem Maschinengewehrposten ausgestattet. Pelzer schloss daher auf eine Junkers Ju 90 V 8, von denen es nur eine Handvoll gab. In dieser Maschine hat es Überlebende gegeben. Pelzers Mutter verarztete einen von ihnen. Dann wurde er aus dem Dorf gebracht und nie wieder gesehen. Und in dem Maschinengewehrhäuschen soll ein Mann mit holländischem Pass gesessen und gesagt haben, er wolle an Ort und Stelle sterben. "Ich habe mich mit anderen jetzt noch mal ausgetauscht und nach Übereinstimmungen in unserer Erinnerung gesucht. Sie wollen aber nicht öffentlich darüber reden. Sie haben damit abgeschlossen, und das ist aufgrund der Geschichte von damals verständlich", sagt Willi Pelzer. In Trieplatz sollen zu der Zeit SS- und Wehrmachtseinheiten einquartiert gewesen sein. In der Folge hat keiner etwas gehört, gesehen, gesagt. Etwa das: Weggebracht wurden die Toten auf einer von zwei Pferden gezogenen Schleppe von einem polnischen Fremdarbeiter. Er musste sie in der Friedhofsecke verscharren, insgesamt sechs bis sieben Leichen. "Wer waren diese Leute? Es sollen auch zwei Frauen dabei gewesen sein. Und zur Mindestbesatzung der Junkers gehörten sechs Personen dazu zwei im Nachtjäger", sagt Willi Pelzer. Auch Bruder Horst und dessen Frau ließ der Fall nie los. "Wir haben oft daran gedacht", sagt Rotraut Pelzer. So schrieb ihr Mann 2009 ans Militärgeschichtliche Forschungsamt Potsdam. Dieses verwies ans Bundesmilitärarchiv Freiburg. Pelzer schilderte auch diesem: "Als es ruhig wurde, verließen wir das Haus und sahen in einer Entfernung von etwa 200 Metern ein brennendes Flugzeug auf dem Acker liegen. Außerdem erfuhren wir, dass ein zweites, größeres Flugzeug etwa zwei Kilometer weiter ebenfalls abgestürzt oder notgelandet war." Pelzer will wissen, wie Informationen über die Toten eingeholt werden können, "um ihnen die Würde wiederzugeben und ihren Hinterbliebenen, sofern es sie gibt, eine längst fällige Nachricht über das Schicksal ihrer Angehörigen zu geben." Antwort: Um Verlustmeldungen der Luftwaffe durchzusehen oder zu erfahren, ob die Maschinen in Jüterbog oder gar in Neuruppin zuletzt stationiert und dort gestartet waren, sei eigenständig im Archiv zu suchen. Auch die Deutsche Kriegsgräberfürsorge kann nicht weiterhelfen. Brandenburgs Landesverbandsgeschäftsführer, Oliver Breithaupt, verwies 2011 auf eine Info aus der Gemeinde Wusterhausen ihm gegenüber, wonach eine unter öffentlicher Pflege stehende Grabanlage für zwölf deutsche Kriegstote existiert – ausdrücklich Soldaten. Doch zu der Zeit wuchs an der Stelle lediglich ein Busch, und das dort nur Soldaten liegen, bezweifeln Pelzers. "An der Absturzstelle der größeren Maschine fand sich neben Schrott und Munition auch Silberbesteck und sogar ein Motorrad", weiß Willi Pelzer. "Wir haben uns jedenfalls sehr gefreut, als wir sahen, dass die Gemeinde nun die Grabstelle zum Gedenken herrichten ließ", sagt die Schwägerin. Wenngleich viele Fragen unbeantwortet bleiben. (Von Matthias Anke)