HoHun
Space Cadet
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Moin!
Ich habe gerade dieses Video von Chris (Military Aviation History) geguckt:
Ich war nicht so begeistert ... der Titel "What German Aces Said" ist eher Clickbait, es wird viel gelabert (auch Wehner hat einen Gastauftritt) und viel relativiert.
Die Spitfire war viel manövrierfähiger und dann doch wieder nicht, und natürlich hing immer alles vom Piloten ab, blablabla.
Interessant wäre vielleicht die Erwähnung einer Quelle gewesen, wenn die nicht schon seit langem von der Kurfurst-Seite bekannt wäre:
Was völlig fehlt ist Einsicht in Technik und Taktik. Auch im kurzen betrachteten Zeitraum - der bei Verwendung der verlinkten Quelle auch die Zeit vor der Luftschlacht um England mit einschließt, denn dort wird eine Spitfire mit Starrluftschraube getestet - gab es sowohl von der Spitfire als auch von der Messerschmitt eine ganze Reihe von Versionen oder zumindest unterschiedlichen Konfigurationen. Eine Spitfire I mit Starrluftschraube und Ladedruck begrenzung von +6 lbs/sqin hat eine ganz andere Leistung als eine Spitfire II mit Verstelluftschraube und + 12 lbs/sqin Notleistung, und eine Me 109E-1 mit DB 601A-1 mit altem Lader ist überhaupt nicht mit einer Me 109E-4 mit DB 601N zu vergleichen.
Dieser Faktor hätte die gleiche Aufmerksamkeit verdient wie die Qualität der Piloten ... und er ist auch im von Air Chief Marshal Hugh Dowding auf Anweisung der britischen Regierung 1942 verfaßte "Battle of Britain Despatch" schon erwähnt:
"Es ist sehr schwierig, eine prägnante Beschreibung der in der Luftschlacht um England eingesetzten feindlichen Flugzeugtypen zu geben. Während sich die Deutschen an generell standardisierten Typen festhielten, haben sie diese fortlaufend modifiziert und verändert, indem sie stärkere Motoren eingebaut und die Bewaffnung geändert haben. Die ursprüngliche Messerschmitt 109 zum Beispiel hatte Flugleistungen, die denjenigen der Hurricane vergleichbar waren, aber der modernste Typ konnte mit der Spitfire mithalten und hatte eine höhere Gipfelhöhe."
(Hier zu finden: https://www.raf.mod.uk/what-we-do/centre-for-air-and-space-power-studies/publications/ ... siehe Vol. 18 No. 2 Battle of Britain 75th Anniversary Special Edition.)
Zur Taktik: Diese Fixierung darauf, einen Gegner "auszukurven", ist mir nicht verständlich. Natürlich sind die RAF-Piloten stolz darauf, dass ihre Muster so toll kurven können, aber es ist nicht so, dass sie das überbewerten würden. Die Erkenntnis war, "Kurven gewinnt keine Luftschlachten" ... von Johnnie Johnson so formuliert, von Eric Brown zustimmend zitiert.
Noch mehr RAF-Asse dazu ... "Sailor" Malan in seinen "Notes on Tactics and Air Fighting", die im zweiten Weltkrieg für die Ausbildung von RAF-Jägerpiloten verwendet wurde:
"Wie oft wird uns die selbe Frage gestellt - 'Sir, bitte, was mache ich, um eine 109 von meinem Schwanz abzuschütteln?' Als ob wir's wüßten. Die Antwort ist eigentlich: 'Warum hast du es überhaupt zugelassen, daß sie sich dranhängt?'
[...]
Na gut, wir versuchen, dich aus der Ecke rauszuholen. Aber denk dran - es ist sehr schwierig, eine Verteidigung in einen Angriff umzuwandeln, also starte nicht in der Defensive. Wenn du Luftkampf übst, flieg nicht immer weiter in Kreisen mit immer kleinerem Radius. Für eine Weile ist das in Ordnung - zumindest, wenn du eng genug kurvst. Aber es ist unwahrscheinlich, dass du so hinter den Hunnen kommst, also denk dir etwas Schlaueres aus."
Und hier ein Zitat von "Teddy" Donaldson aus seinen "Notes on Air Gunnery and Air Fighting", einem Text, der ebenfalls für die Ausbildung von RAF-Piloten (und USAAF-Piloten - Donaldson war Verbindungsoffizier für die USAAF und hat seine "Notes" an sie weitergegeben):
"Höhe und Geschwindigkeit sind die einzig wichtigen Punkte im Luftkampf. Natürlich kann man Höhe immer in Geschwindigkeit umwandeln, indem man einfach die Nase seines Flugzeuges nach unten drückt. Ich bin überzeugt, daß es Selbstmord ist, irgendeinen Wert auf Wendigkeit zu legen. Wendigkeit ist nur eine Form der Verteidigung, die nicht erforderlich ist, wenn man genug Geschwindigkeit hat, um aus der Klemme zu kommen. Man braucht keine besondere Wendigkeit, um anzugreifen, und wenn man keine Geschwindigkeit hat, dann kann der Feind dem Kampf immer ausweichen, ohne auf seine Wendigkeit zurückgreifen zu müssen.
[...]
Man kann einen Dogfight nicht mit Wendigkeit gewinnen, weil es keine Form des Angriffs ist, sondern nur eine Methode, um einen verübergehenden Aufschub zu erzielen, der nur so lange dauert, wie man das Manöver ausführt. Es muß irgendwann beendet werden, und wenn du durch grobschlächtiges Fliegen viel Höhe verloren hast, dann steckst du in einer sehr gefährlichen Klemme."
(Meine Übersetzung ... zitiert aus Dilip Sarkat's "The Spitfire Manual". Die ersten paar Seiten hier: The Spitfire manual : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive )
Im gleichen Buch finden sich noch mehr Überlegungen von RAF-Piloten, die generell die (kurven-)wendigeren Muster flogen als ihre Gegner ... dazu gehört auch die Ansicht, daß immer die Maschine enger kurvt, deren Pilot verzweifelter ist, weil der angreifende Pilot eben nicht seine Geschwindigkeit oder Höhe aufgeben will und deswegen nicht mitkurvt, sondern stattdessen wieder hochzieht und zu einem neuen Angriff ansetzt. Das Problem ist nicht, daß die feindliche Maschine enger kurven könnte, sondern daß die feindliche Maschine nicht allein ist, und man in einem Kurvenkampf fast sofort die Übersicht verliert.
Warum man also im Jahr 2023 immer noch die Wendigkeit hypet, wenn 1943 schon klar war, "Kurven gewinnt keine Luftschlachten" ... ich bin da eher genervt.
Tschüs!
Henning (HoHun)
Ich habe gerade dieses Video von Chris (Military Aviation History) geguckt:
Ich war nicht so begeistert ... der Titel "What German Aces Said" ist eher Clickbait, es wird viel gelabert (auch Wehner hat einen Gastauftritt) und viel relativiert.
Die Spitfire war viel manövrierfähiger und dann doch wieder nicht, und natürlich hing immer alles vom Piloten ab, blablabla.
Interessant wäre vielleicht die Erwähnung einer Quelle gewesen, wenn die nicht schon seit langem von der Kurfurst-Seite bekannt wäre:
Kurfürst - Vergleichsfliegen Bf 109 E, Bf 110 C, Spitfire, Hurricane und Curtiss.
German comparison flights Bf 109 E, Bf 110 C, Spitfire, Hurricane and Curtiss.
kurfurst.org
Was völlig fehlt ist Einsicht in Technik und Taktik. Auch im kurzen betrachteten Zeitraum - der bei Verwendung der verlinkten Quelle auch die Zeit vor der Luftschlacht um England mit einschließt, denn dort wird eine Spitfire mit Starrluftschraube getestet - gab es sowohl von der Spitfire als auch von der Messerschmitt eine ganze Reihe von Versionen oder zumindest unterschiedlichen Konfigurationen. Eine Spitfire I mit Starrluftschraube und Ladedruck begrenzung von +6 lbs/sqin hat eine ganz andere Leistung als eine Spitfire II mit Verstelluftschraube und + 12 lbs/sqin Notleistung, und eine Me 109E-1 mit DB 601A-1 mit altem Lader ist überhaupt nicht mit einer Me 109E-4 mit DB 601N zu vergleichen.
Dieser Faktor hätte die gleiche Aufmerksamkeit verdient wie die Qualität der Piloten ... und er ist auch im von Air Chief Marshal Hugh Dowding auf Anweisung der britischen Regierung 1942 verfaßte "Battle of Britain Despatch" schon erwähnt:
"Es ist sehr schwierig, eine prägnante Beschreibung der in der Luftschlacht um England eingesetzten feindlichen Flugzeugtypen zu geben. Während sich die Deutschen an generell standardisierten Typen festhielten, haben sie diese fortlaufend modifiziert und verändert, indem sie stärkere Motoren eingebaut und die Bewaffnung geändert haben. Die ursprüngliche Messerschmitt 109 zum Beispiel hatte Flugleistungen, die denjenigen der Hurricane vergleichbar waren, aber der modernste Typ konnte mit der Spitfire mithalten und hatte eine höhere Gipfelhöhe."
(Hier zu finden: https://www.raf.mod.uk/what-we-do/centre-for-air-and-space-power-studies/publications/ ... siehe Vol. 18 No. 2 Battle of Britain 75th Anniversary Special Edition.)
Zur Taktik: Diese Fixierung darauf, einen Gegner "auszukurven", ist mir nicht verständlich. Natürlich sind die RAF-Piloten stolz darauf, dass ihre Muster so toll kurven können, aber es ist nicht so, dass sie das überbewerten würden. Die Erkenntnis war, "Kurven gewinnt keine Luftschlachten" ... von Johnnie Johnson so formuliert, von Eric Brown zustimmend zitiert.
Noch mehr RAF-Asse dazu ... "Sailor" Malan in seinen "Notes on Tactics and Air Fighting", die im zweiten Weltkrieg für die Ausbildung von RAF-Jägerpiloten verwendet wurde:
"Wie oft wird uns die selbe Frage gestellt - 'Sir, bitte, was mache ich, um eine 109 von meinem Schwanz abzuschütteln?' Als ob wir's wüßten. Die Antwort ist eigentlich: 'Warum hast du es überhaupt zugelassen, daß sie sich dranhängt?'
[...]
Na gut, wir versuchen, dich aus der Ecke rauszuholen. Aber denk dran - es ist sehr schwierig, eine Verteidigung in einen Angriff umzuwandeln, also starte nicht in der Defensive. Wenn du Luftkampf übst, flieg nicht immer weiter in Kreisen mit immer kleinerem Radius. Für eine Weile ist das in Ordnung - zumindest, wenn du eng genug kurvst. Aber es ist unwahrscheinlich, dass du so hinter den Hunnen kommst, also denk dir etwas Schlaueres aus."
Und hier ein Zitat von "Teddy" Donaldson aus seinen "Notes on Air Gunnery and Air Fighting", einem Text, der ebenfalls für die Ausbildung von RAF-Piloten (und USAAF-Piloten - Donaldson war Verbindungsoffizier für die USAAF und hat seine "Notes" an sie weitergegeben):
"Höhe und Geschwindigkeit sind die einzig wichtigen Punkte im Luftkampf. Natürlich kann man Höhe immer in Geschwindigkeit umwandeln, indem man einfach die Nase seines Flugzeuges nach unten drückt. Ich bin überzeugt, daß es Selbstmord ist, irgendeinen Wert auf Wendigkeit zu legen. Wendigkeit ist nur eine Form der Verteidigung, die nicht erforderlich ist, wenn man genug Geschwindigkeit hat, um aus der Klemme zu kommen. Man braucht keine besondere Wendigkeit, um anzugreifen, und wenn man keine Geschwindigkeit hat, dann kann der Feind dem Kampf immer ausweichen, ohne auf seine Wendigkeit zurückgreifen zu müssen.
[...]
Man kann einen Dogfight nicht mit Wendigkeit gewinnen, weil es keine Form des Angriffs ist, sondern nur eine Methode, um einen verübergehenden Aufschub zu erzielen, der nur so lange dauert, wie man das Manöver ausführt. Es muß irgendwann beendet werden, und wenn du durch grobschlächtiges Fliegen viel Höhe verloren hast, dann steckst du in einer sehr gefährlichen Klemme."
(Meine Übersetzung ... zitiert aus Dilip Sarkat's "The Spitfire Manual". Die ersten paar Seiten hier: The Spitfire manual : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive )
Im gleichen Buch finden sich noch mehr Überlegungen von RAF-Piloten, die generell die (kurven-)wendigeren Muster flogen als ihre Gegner ... dazu gehört auch die Ansicht, daß immer die Maschine enger kurvt, deren Pilot verzweifelter ist, weil der angreifende Pilot eben nicht seine Geschwindigkeit oder Höhe aufgeben will und deswegen nicht mitkurvt, sondern stattdessen wieder hochzieht und zu einem neuen Angriff ansetzt. Das Problem ist nicht, daß die feindliche Maschine enger kurven könnte, sondern daß die feindliche Maschine nicht allein ist, und man in einem Kurvenkampf fast sofort die Übersicht verliert.
Warum man also im Jahr 2023 immer noch die Wendigkeit hypet, wenn 1943 schon klar war, "Kurven gewinnt keine Luftschlachten" ... ich bin da eher genervt.
Tschüs!
Henning (HoHun)