Ein hartgesottener Flugschüler

Diskutiere Ein hartgesottener Flugschüler im Bundeswehr Forum im Bereich Einsatz bei; Militärflugplatz Landsberg-Penzing Ende der Fünfziger- Anfang der Sechzigerjahre: Nach der Grundschulung der neuen Luftwaffenpiloten auf dem...
Dimona-Jockey

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Militärflugplatz Landsberg-Penzing Ende der Fünfziger- Anfang der Sechzigerjahre: Nach der Grundschulung der neuen Luftwaffenpiloten auf dem amerikanischen 550 PS Weltkrieg II - Sternmotortrainer Harvard Mark IV (T 6) führte die Bundesluftwaffe für die Jetpilotenausbildung die zweistrahlige französische Fouga Magister ein. Ein schnittiges zweisitziges Schulflugzeug mit ungewohntem V-Leitwerk, breitem, niedrigem Fahrwerk und einer Reisegeschwindigkeit von ca. 750 km/h. Insgesamt wurden von der Bundesluftwaffe ca. 250 Maschinen dieses Typs, teils aus französischer Fertigung, teils in Deutschland in Lizenz gebaut, beschafft.
Während meiner Segelflugausbildung 1961 bis 1962 auf dem Militärflugplatz Penzing (Flugzeugführerschule A) war die Fouga-Magister all gegenwärtig. Besonders nervig empfand man das extrem schrille Geräusch ihrer beiden Strahlturbinen, speziell beim Rollen zum Start und nach der Landung auf dem Weg zu den Abstellplätzen.

Während des Schulbetriebes gab es immer wieder aussergewöhnliche Ereignisse, die in der Bevölkerung rund um den Flugplatz zum Tagesgespräch wurden. So auch ein Schulflug mit der Magister, bei dem das Trudeln geübt werden sollte. Der Fluglehrer und sein vor ihm sitzender Schüler starteten und stiegen anschliessend auf grössere Höhe. Nach dem Einleiten des Trudelns sollte der Schüler nach mehreren Umdrehungen das Trudeln beenden, die Maschine abfangen und in den Normalflug übergehen. Als dieses Manöver nicht funktionierte und die Fouga Magister weiter Richtung Erde wirbelte, griff der Fluglehrer ein. Auch dieser schaffte es nicht, die Drehungen zu beenden. Als der rasante Höhenverlust immer gefährlicher wurde, gab der Lehrer seinem Schüler den Befehl zum Aussteigen und warf die hintere Cockpithaube ab. Sekunden später verliess er seinen Sitz und öffnete kurz darauf den Fallschirm, um anschliessend unverletzt auf freiem Feld zu landen.

Sein Schüler jedoch hatte offenbar Nerven wie Drahtseile. Er blieb in dem trudelnden Jettrainer sitzen und schaffte es nach einigen weiteren Drehungen, diese zu beenden, das Flugzeug abzufangen und sogar sicher wieder auf der Heimatbasis zu landen. Auf der einen Seite eine Befehlsverweigerung bzw. Befehlsmissachtung, auf der anderen Seite die Rettung eines millionenteuren Schulflugzeuges.

Wie die Angelegenheit später disziplinarisch behandelt wurde, ist mir leider nicht bekannt. Es dürfte wohl eine Belobigung mit gleichzeitigem mächtigen Anschiss gegeben haben. Die Missachtung des Befehles zum noch rechtzeitigen Aussteigen hätte mit etwas weniger Dusel ganz dramatisch enden können. Zu bemerken ist, dass die Fouga-Magister noch nicht über die heute selbstverständlichen Schleudersitze für Militärjets verfügte.

Symbolbild aus Internetdokumentation "Geschichte der Luftwaffe"

 
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Diese Information ist ja äusserst interessant - fast sechzig Jahre nach dem Fast-Crash.
Ich vermute, dass nur der Ausstieg des Fluglehrers die Situation noch im letzten Augenblick
retten konnte. Wahrscheinlich hatte die Verschiebung des Schwerpunktes nach vorne durch
den Ausstieg des Lehrers auf dem hinteren Sitz dazu beigetragen, dass der Schüler die
Trudelbewegung beenden konnte. Eventuell trug auch die Verwirbelung der Strömung durch
die abgeworfene hintere Cockpithaube noch dazu bei. Jedenfalls - so viel Dusel hat nicht
jeder...............
 
Kehlschinzki

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Der Vorfall ist relativ bekannt und auch im Fliegerblatt dokumentiert worden vor einigen Jahren.

Nach meiner Kenntnis gab es keine disziplinarischen Maßnahmen. Der Flugschüler hingegen monierte nach der Landung, ob es sich bei dem Flug nun gleichzeitig auch um seine 1st Solo gehandelt habe? [emoji2][emoji2][emoji2]
 
Dimona-Jockey

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Das nenne ich rabenschwarzen englischen Humor. Ohne solchen lässt sich wahrscheinlich ein solches Erlebnis nicht so ohne weiteres verdauen. Sehr interessant wäre es zu erfahren, wie das Verhalten des Fluglehrers bewertet und kommentiert wurde und wie es für ihn in der Luftwaffe weiterging.
 
Kehlschinzki

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Sehr interessant wäre es zu erfahren, wie das Verhalten des Fluglehrers bewertet und kommentiert wurde und wie es für ihn in der Luftwaffe weiterging.
Das kann ich nicht beantworten. Den damaligen Schüler kann man leider schon seit einigen Jahren nicht mehr befragen.
 

Bowser

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Interessanter wäre sicher der Blick des Fluglehrers gewesen als sein Flugzeug mit Schüler davon gezischt ist während er am Fallschirm hing.
 
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Ja, und vor allem, was er auf dem Fliegerhorst zu hören bekam, als er per Fahrzeug und nicht in seiner Fouga Magister zurückkehrte. Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht zu sorgen...............
Aber - wahrscheinlich hat nur der Absprung des Fluglehrers durch die Verlagerung des Schwerpunktes nach vorne und die Verwirbelung der Strömung das Beenden des Trudelns im letzten Augenblick verhindert.
Es wäre sehr interessant gewesen, darüber mehr zu erfahren.
 
gero

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Aber - wahrscheinlich hat nur der Absprung des Fluglehrers durch die Verlagerung des Schwerpunktes nach vorne
Wenn vor dem Schwerpunkt (soweit ich weiß sitzen bei dieser Maschine beide Piloten vor dem Schwerpunkt) einer aussteigt, verlagert sich der Schwerpunkt nach hinten, nicht nach vorn.

gero
 
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Ja, gero, jetzt wird's richtig kompliziert: Ich habe mir soeben das Foto der Fouga-Magister nochmals angesehen.
Der Fluglehrer scheint genau im oder ganz knapp vor dem Schwerpunkt, also über dem ersten Drittel der Tragfläche bzw. über der Tragflächen-Vorderkante gesessen zu haben. Wenn er also aussteigt, fällt sein Gewicht bei der Tragflächenbelastung weg. Das Gewicht des Flugschülers vorne sollte sich daher eigentlich auch durch den Hebelarm stärker ausgewirkt haben, als wenn der Lehrer an Bord geblieben wäre (meine Theorie).
Dann kommt noch die abgeworfene hintere Cockpithaube ins Spiel. Diese Oeffnung muss geradezu als kräftiger Fahrtwindtrichter gewirkt haben. Wenn hinter dem Schüler eine starke Bremswirkung eintritt, sollte aufgrund des erwähnten Hebelarmes das Flugzeug kopflastiger werden, also steiler Richtung Boden trudeln.
Die enormen Verwirbelungen durch das hinten offene Cockpit werden auch nicht wirkungslos geblieben sein. Das V-Leitwerk der Fouga-Magister dürfte darauf ganz anders reagiert haben, als ein gängiges T-Leitwerk.
Vielleicht meldet sich hier ja noch ein ehemaliger Fouga-Magister-Pilot zu Wort, der entsprechendes Fachwissen zum Besten geben kann.
 
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gero

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Alien
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Du hast schon eine recht wunderliche Sicht auf die Physik, sei nur froh daß Du keine ernsthafte W&B-Berechnungen machen musst.

Zum Trudeln und den Flugzuständen rund ums Trudeln herum kann man heutzutage einiges lesen, es bleibt ein komplexer dynamischer Vorgang, der sich auch heute immer noch nicht vollständig berechnen läßt, besonders wenn, wie im geschilderten Fall, noch plötzliche Veränderungen (abgeworfene Haube, Schwerpunktverschiebung ...) hinzukommen. Ob es nun Können oder Glück war? es ist müßig, darüber zu streiten.

gero
 
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Na, so oberflächlich ist mein Physikverständnis nun auch wieder nicht. Erstens habe ich statt Physik lieber Speise- und Getränkekarten studiert und ausserdem fliege ich seit mehr als 55 (fünfundfünfzig) Jahren ohne einen Kratzer an Mensch und Material. Statt universitärer geistiger Klimmzüge benutze ich - bisher immer erfolgreich - lieber meinen gesunden Menschenverstand.
Was das Trudeln angeht: Habe ich mit Fluglehrer auch schon absolviert - problemlos. Seitenruder gegen die Drehrichtung, Querruder neutral halten, Knüppel leicht über die Neutralstellung nach vorne und - wenn die Drehung beendet ist, Seitenruderausschlag zurücknehmen und sanft abfangen.
Beim Flachtrudeln: Mit vollem Querruderausschlag in Drehrichtung in das Steiltrudeln übergehen und alles weitere wie vorstehend beschrieben.
Ob das bei einer Fouga-Magister auch so funktioniert, kann ich natürlich nicht sagen - ich habe sie ja auch nie geflogen. :rolleyes1:
 
Spartacus

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tatt universitärer geistiger Klimmzüge benutze ich - bisher immer erfolgreich - lieber meinen gesunden Menschenverstand.
Die Formeln für die Schwerpunkt-Berechnung sind erstens nicht "universitär", sondern aus der Sekundarstufe I (Klasse 6 - 10) mit einfacher Multiplikation und Addition, und zweitens ein sehr grundlegender Bestandteil der Pilotenausbildung (auch PPL, und meines Wissens auch im Segelflug).
Hast Du sie in Deiner Ausbildung damals nicht gelernt? Waren sie nicht Prüfungsbestandteil?
Bist Du ausschließlich so gutmütige Muster geflogen, dass Du sie nie hast nachrechnen müssen?
Es gibt Muster, die je nach Beladungssituation mit Insassen, Gepäck und Sprit kritisch werden. Da hilft der "gesunde Menschenverstand" einfach nicht mehr weiter, und rechnen ist angesagt. Hast Du das wirklich noch nie gemacht?

Spartacus
 
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Meine Bemerkung bezüglich universitärer Klimmzüge bezieht sich allgemein auf Physik. Natürlich gehört eine seriöse Schwerpunktbestimmung zum Handwerkszeug jedes Piloten. Das hatte ich bereits gelernt, als Du wahrscheinlich noch mit Mama im Kinderwagen unterwegs warst.
Nur, manche machen daraus eine Doktorarbeit. Bei meinem Vercharterer kannst Du eine Tabelle aus dem Internet herunterladen, alle relevanten Werte eingeben und in Minuten hast Du das Ergebnis, ob der Schwerpunkt stimmt oder nicht.
Von 1961 bis 1975 hatte ich nur Segelflugzeuge geflogen. Grunau Baby IIb und III, Mü 13 E Bergfalke, Specht, Ka 8b, Bergfalke III und SF 27. Da hatte kein Mensch nach einer Schwerpunktberechnung gefragt. Da ich damals sehr dünn war, musste ich in den Grunau-Babys immer ein Bleikissen unter den Hintern klemmen. Später war das dann nicht mehr nötig. Hatte einer zu viele Knödel konsumiert, sah man im das sofort an und er blieb aussen vor, bis sich sein Wams zurückgebildet hatte.
Mit den Motorseglern war das dann ab 1975 etwas anders. Scheibe SF 25 B - Falke, C-Falke, Rotax-Falke, Dimona HK-36 oder Super-Dimona. Da hatte ich natürlich die entsprechenden Werte bereits im Kopf. Und die Erfahrung sowie der gesunde Menschenverstand sagt mir dann, dass ich reichlichl betankt nicht einen zu wohlgenährten Passagier an Bord nehmen darf, auch wenn die Piste doppelt so lang ist, wie sie bei zulässiger Beladung völlig ausreicht.
An dieser Stelle muss ich noch an die vielen Buschpiloten verweisen, die in den unwirtlichsten Gebieten unserer Welt mit ihren Flugzeugen unterwegs sind.
Die beherrschen ihre Flieger so perfekt aus dem Gefühl heraus, dass ihnen der richtige Schwerpunkt ihrer Pipers, Cessnas oder etwas anderem bereits im Blut liegt.
 
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