Das Thema wird in der Rundschau ziemlich schwarz-weiß dargestellt, da kann ich mir 'ne Gegenrede nicht verkneifen.
Also:
Man beendet das Töten doch nicht mit Bombardieren, oder?
Das ist etwas unglücklich formuliert, finde ich. Und das Bombardieren von Zufahrtswegen oder Krematorien hätte den Holocaust doch nicht gestoppt. Denn damit wäre es ja nicht getan, weil die NS-Führung erstens wild entschlossen war, die Juden Europas zu vernichten und sie zweitens auf die alliierten Lagerbombardements reagiert hätte. So einfach wie in Jad Vashem dahin gemurmelt wäre es nicht gewesen. Dazu müsste man sich mal ins Szenario des Zweiten Weltkrieges hinein versetzen.
Die Deportationen waren seinerzeit ein offenes Geheimnis und auch wenn viele nichts Genaueres wussten, hatten sie doch eine böse Vorahnung. Der Ernst der Lage war allgemein bekannt, dazu genügte der Blick in ein reguläres Kriegsgefangenenlager im deutschen Herrschaftsbereich.
Und hätte man mehr tun können, um den Völkermord im Dritten Reich zu stoppen?
Man hätte andere Prioritäten bei den Bombardierungen setzen können. Aber um den Holocaust zu stoppen, musste man den Staatsapparat des Dritten Reiches auch als Ganzes stoppen: und ein wirksamer Weg dazu war die 'Treibstoffoffensive'. Sie war auch ein Schlag gegen die Infrastruktur und Logistik, nicht nur gegen Verkehrswege oder Zufahrtswege.
Die Deutschen hätten die Häftlinge umquartiert, wenn das Konzentrationslager beschädigt worden wäre, oder diese hätten es selbst instandsetzen müssen. Es hätte auch Treffer auf Häftlinge gegeben und "Opfer unter den Opfern", die auch als Schutzschild oder Zielscheibe den Angriffen ausgesetzt gewesen wären. Es hätte bei regelmäßigem Luftalarm bald Luftschutzräume (für die Wärter!) gegeben. Die freigesprengten Sicherungsanlagen der Lager hätten für kranke und ausgemergelte Häftlinge (z. B. um 1944 herum) oft keine Rettung oder keine erfolgreiche Flucht mehr ermöglicht.
Und so wie die Deutschen ihre Rüstungsanlagen unter Tage verlegt haben, sind auch Heerscharen von brauchbaren (!) Häftlingen und Zwangsarbeitern (vor alliierten Bombenangriffen geschützt oder wenigstens nicht aus der Luft befreibar) untergebracht worden. Und sie wären bei einer systematischen Bombardierung der Konzentrationslager ebenso effektiv evakuiert worden wie all die wichtigen Industrieressourcen auch. Und unbrauchbare Häftlinge hätte man als Zielscheibe zurück gelassen, so wie man gegen Kriegsende Todesmärsche durchgeführt hat: teilweise auf Schiffe in der Ostsee, die die Alliierten ohne dies zu wissen bombardierten.
Ich finde es unaufrichtig, den Alliierten von damals nicht zuzugestehen, ihre Kriegsstrategie nach dem Bedrohungpotential für ihre eigenen Offensivkräfte auszurichten und entsprechende Zielprioritäten im (Luft-)Krieg gegen Deutschland festzulegen. Und sie würden damals wie heute ihre Prioritäten nicht wesentlich anders setzen, wenn sie das Leben ihrer eigenen Soldaten über dem Feindgebiet riskieren. Dies gebietet, Ziele höchster Bedrohung vorrangig auszuschalten.
Das ist im Anbetracht der Existenz von Vernichtungslagern hart, aber es ist nicht inhumaner als der Krieg selbst. Und die Lagerinsassen sind in deutscher Geiselhaft gewesen, nicht in alliierter. Das sollte man bei der Frage nach Versäumnissen der Alliierten bedenken. Schlimmer finde ich den Antisemitismus, wo er damals in alliierten Staaten Einfluss auf politische Entscheidungen hatte. Aber das gehört nicht pauschalisiert, sondern näher untersucht, wann und wo sich jemand von so einer Ideologie hat leiten lassen...
Es wäre auch interessant zu hören, was Condoleezza ihrem präsidialen Geschichtsschüler in Jad Vashem gesagt hat. Jetzt haben die Israelis jedenfalls das nachträgliche Bedauern oder Bereuen von Dingen, die sich nicht mehr ändern lassen, aus berufenem Munde. Doch man kann die Geschehnisse durch nachträgliche Schuldeingeständnisse nicht verbessern. Man kann höchsten für sein eigenes heutiges Handeln aus dieser Geschichte lernen. Doch wie steht es um die Menschenrechte in den Gefangengenlagern und Auslandsgefängnissen, über die ein GWB heute herrscht?
US-Präsident GWB ist sicher nicht allzu sehr damit begnadet, über Fehler seines Amtsvorgängers FDR zu befinden. Nicht so sehr, weil er da noch nicht mal gelebt hat, sondern weil er an der Verantwortung der weltpolitischen Entscheidungen seiner eigenen Regierung sicher genug zu reflektieren hätte. Wie soll ein heutiger Präsident es im Rückblick besser gemacht haben als der damalige, wenn er heute selbst so viel Unheil und Krieg stiftet?!? :?! Was weiß ein von seiner göttlichen Führung überzeugter, unbekümmerter US-Präsident über die Gewissenskonflikte und Entscheidungsnöte alliierter Staatslenker und Befehlshaber im Zweiten Weltkrieg? Viel leichter lässt sich in einer Gedenkstätte die Frage: „Hätte man nicht die Zufahrtswege zum Lager bombardieren sollen, Mr. President?“ bejahen.