" Offener Brief von Air-Berlin-Kapitän Hans Albrecht an Betriebsdirektor Oliver Iffert
Sehr geehrter Herr Iffert,
Ich möchte Ihre 'Interne Mitteilung' vom heutigen Tag nicht unkommentiert stehen lassen. Nein,
es ist nicht der heutige Tag, der ein schlechtes Licht auf das Unternehmen wirft. Wie kommen Sie
denn auf so eine nicht haltbare Schlussfolgerung? Ist Ihnen denn entgangen, dass trotz des
aufopferungsvollen Einsatzes der Mitarbeiter der Air Berlin das Unternehmen Jahr für Jahr immer
weiter in die Verschuldung rutschte? Wissen Sie nicht, dass die Mitarbeiter neben ihrer
vertraglich geschuldeten Leistung bereit waren, die viel zitierte Extra-Meile zu gehen; haben Sie
verdrängt, dass die Mitarbeiter in vielerlei Hinsicht Verzicht übten, in der Hoffnung auf Besserung;
haben Sie schon vergessen, dass die Mitarbeiter bereitwillig unpopuläre Maßnahmen zur
Restrukturierung der Airline mittrugen? All das waren die Beschäftigten bereit zu erdulden, weil
Ihnen vom Führungspersonal versprochen wurde, dass so die Wende erreicht werden könne. Die
Beschäftigten der Air Berlin haben für ihr (?) Unternehmen gekämpft und großartiges geleistet.
Kein vernunftbegabter Mensch hat heute einen Zweifel mehr daran, dass der dunkle Schatten,
der sich über die Jahre immer bedrohlicher auf die Air Berlin legte, nicht die Beschäftigten zu
verantworten hatten, sondern einzig und allein der unterirdischen Leistung des Managements
geschuldet war. Wer jetzt mit dem Finger auf das Cockpitpersonal zeigt, versucht nur vom
eigenen Versagen für die gegenwärtige Misere abzulenken!
Ihr Mitgefühl für die belastende Situation, in der sich die Beschäftigten befinden, in allen Ehren.
Doch dafür können sich die Beschäftigten nichts kaufen. In den Tagen der Insolvenz habe die
Belegschaft die richtige Antwort darauf gegeben, wie man am Besten mit der Situation umgehen
könne, so schreiben Sie, und vermeiden eine Antwort darauf, wie sich dieser Einsatz für die
Betroffenen auszahlen wird. Ihnen ist es nur wichtig, den Flugbetrieb möglichst reibungslos bis
zum Tag X weiterzuführen und ändern so ganz nebenbei den Zuschnitt des Unternehmens. Ich
kann mir nur schwer vorstellen, dass die Änderung des Zuschnitts in der laufenden Phase mit
allen Bietern abgesprochen wurde. Nichts geschieht im Moment aus Zufall. Alles folgt einem
Plan. Man kann erahnen, wer die Fäden in der Hand hält. Streckenrechte, Slots, Flugzeuge, alles
scheint für ein geordnetes Verfahren vorbereitet zu sein. Nur die Belegschaft lässt man im
Unklaren über ihre wirtschaftliche und berufliche Zukunft. Im Unklaren deshalb, um die
Verunsicherung durch das Schüren von Existenzängsten auf ein Maximum zu treiben. Ziel dieser Vorgehensweise ist offensichtlich, sich vertraglicher 'Altlasten' zu entledigen, um auf diese Weise
die Bedingungen des gesamten tarifierten Cockpitpersonals in Deutschland in der Nach-Air-
Berlin-Ära erheblich unter Druck zu bringen. Ob gewollt oder nicht, Sie machen sich zum
Handlanger bei der Demontage eines Berufsstandes, dem Sie selber angehören.
Es scheint, dass in der augenblicklichen Gemengelage die einzigen, die rational mit der Situation
umgehen, jene Piloten sind, die in Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die Sicherheit der
Passagiere ihren Flugdienst nicht wahrnehmen (können), weil Sie es - vorsätzlich oder fahrlässig
- versäumt haben, den Beschäftigten Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen. Der psychische
Druck speziell auf die Piloten ist immens. Wie kann unter solchen Umständen ein sicherer
Flugbetrieb gewährleistet werden? Wer das bejaht, hat entweder keine Ahnung von den
Auswirkungen wirtschaftlicher Existenzängste auf die sichere Flugdurchführung oder verfolgt
knallhart Interessen, die der Flugsicherheit übergeordnet werden.
Wenn die nicht nur berechtigte, sondern selbstverständliche Forderung der Beschäftigten nach
einem kollektivrechtlichen Übergang als Hemmschuh für die Gewinnung weiterer Interessenten
im Bieterwettbewerb angesehen werden, so ist das das wahre Gift für die weitere
Betriebsfortführung und im Übrigen einer sozialen Marktwirtschaft nicht würdig!
Ich fordere Sie auf, den Beschäftigten zu erklären, auf welche Weise Sie 'soviel Arbeitsplätze wie
möglich' erhalten wollen und mit welchen Perspektiven diese rechnen dürfen. Erst wenn Sie
darauf akzeptable Antworten gefunden haben, schaffen Sie die notwendigen Voraussetzungen
zur Fortführung eines sicheren Flugbetriebs.
Herr Iffert, ich schreibe an Sie persönlich, weil Sie in Ihrem Namen die 'Interne Mitteilung' verfasst
haben. Der Inhalt dieses Briefes, der ein 'offener Brief' ist, richtet sich jedoch vor allem an den
gesamten Vorstand sowie den Generalbevollmächtigten und den Sachverwalter.
Ich hoffe, mit diesen Ausführungen die existentiellen Bedürfnisse der Beschäftigten mehr in den
Focus ihrer Überlegungen rücken und Sie zu einem Umdenken hinsichtlich der Prioritäten bei
den Verhandlungen mit den potentiellen Erwerbern bewegen zu können.
Mit freundlichen Grüßen:
Hans Albrecht
Kapitän bei Air Berlin"