Hallihallo lieber René,
obwohl mir die Luftfahrtgeschichte grad ziemlich am Ar... vorbeigeht (die Klassiker-Redaktion darf auf Weisung der Stuttgarter Geschäftsführung keine Geschichten mehr von Szigeti/DEHLA bringen! Irrsinnige Geschichte bzw. reines Machtspiel) und ich mit meinem neuen Job im Museum gut beschäftigt bin, will ich trotzdem meinen Senf dazu beitragen.
Wir beide haben ja über die Strukturen bzw. Systemeinbindungen der Luftfahrtindustrie ab 1933 schon häufiger geplaudert. Ich bin jetzt mal so frei und behaupte das Du hier im Forum keine Antworten erhalten wirst, da sich für dieses unglaublich entscheidende Thema keine Sau interessiert hat. Budraß war mit seinem Wälzer der erste der sich an das Thema herantraute. Auch er hat seine Schwächen, bzw. konnte nur das ausarbeiten was er in erster Linie im Bundesarchiv gefunden hat.
Die bisherigen Antworten bestätigen das ja. Viel Hörensagen aus Sekundärliteratur, nichts aus Originalquellen!
Jeder plappert nur nach was irgendwann mal veröffentlicht wurde. Dabei sind die Quellen alle greifbar – seit Jahrzehnten! Warum steht dann soviel Mist in all den Büchern und Magazinen der letzten 40 Jahre?
Das ist einfach zu beantworten:
1. Faulheit: Eine Reise ins Bundesarchiv Berlin bzw. Freiburg kostet wertvolle Urlaubstage, Verpflegung, Reisekosten Bahn oder PKW sowie für Unterkunft. Bis dahin habe ich noch nicht eine Seite im Archiv gelesen geschweige denn kopiert. Da kommt der nächste Punkt. Das Bundesarchiv hatte/hat einen Exklusiv-Deal mit der Firma Selke. BA stellt kostenfrei die Unterlagen und Geräte, Selke stellt das Personal und kassiert dafür. Das BA sieht nicht einen Cent davon. Seit man endlich mit der eigenen Kamera fotografieren kann, gehen Selke hübsche Sümmchen verloren, was zu einer ordentlichen Preiserhöhung der Kopierkosten führte.
2. Unfähigkeit zur Interpretation eines Dokuments:
Typisches Beispiel dafür ist das Dokument des RLM LC betreffend Bücker aus dem Jahr 1933. Der große weise und selbstgerechte Karl Kössler entdeckte das Dokument vor langer Zeit und veröffentlichte es 1988 in "Flugzeug", er hat es aber nicht verstanden!
Genau an dieser Stelle schließt sich der Kreis zu Deiner Frage René!
Viele Autoren haben Kösslers Informationen in ihre Veröffentlichungen mit verarbeitet und ebenfalls nicht verstanden (Rieger & Co.). Worum gehts? Bücker hat Ende 1933 seine Firma in Johannisthal gegründet und sich noch bevor der Jungmann überhaupt existierte dem RLM als Zuliefer- und Reparaturbetrieb angeboten. Das Technische Amt wollte aber nichts mit Bücker zu schaffen haben. Explizit wurde das ausländische Firmenkapital in der Bücker GmbH angesprochen. Hat Kössler versucht diesen Hintergrund zu erleuchten? Nein, hat er nicht! Dabei wäre es sooo einfach gewesen. Von welchem Fremdkapital reden wir hier? Dazu sollte man einfach mal lesen mit wem Bücker gemeinschaftlich den Betrieb gegründet hat. Stand doch in den damaligen Fachzeitschriften!
Ich schlage mal den Flugsport 22-1933 vom 25. Oktober auf (Seite 482).
Blablabla... Leiter und Mitinhaber Bücker... blablabla... Durch die Beteiligung der Ambi-Budd GmbH... blablabla.
So, Freunde der Luftfahrtgeschichte! Was ist an Mitinhaber und Beteiligung nicht zu verstehen?
Was haben die lieben Fachkollegen daraus gemacht? Bücker mietete von Ambi-Budd Hallenraum – mehr nüscht.
Wer ist denn eigentlich Ambi-Budd? Das herauszufinden ist ebenfalls sehr einfach, natürlich bis auf die Gruppe von Menschen die glaubt im Netz alles zu finden.
Der jüdische Geschäftsmann Arthur Müller (Gründer des Flugplatz Johannisthal und Besitzer der LVG) hat sich 1926 mit dem US-Konzern Budd eingelassen um in Johannisthal ein modernes Presswerk für Automobilteile aufzubauen. Lief aber nicht richtig, Budd hat Müller während der Wirtschaftskrise im Regen stehen lassen.
Um den Laden nicht zu verlieren hat Müller beim Bankhaus Schroeder (Hamburg, London, New York) unglaubliche Kredite genommen, die mit Anteilen der Firma verrechnet wurden. Es lief weiterhin schlecht, entsprechend gehörten Ende 1932 weit über 90% des Konzerns den US-Gruppen Budd und Schroeder.
Kann man alles in den wenigen erhaltenen Aktensplittern im Bundesarchiv nachlesen.
So, und nun klären wir ein für allemal wem die Firma Bücker GmbH gehörte! Dazu gibt es ein feines Dokument aus dem 1970 aufgelösten Wirtschaftsinstitut der DDR: Der Bücker Geschäftsbericht für die Jahre 1933-1938!
Na schau mal einer an... Bücker war gar nicht in der Lage das Gründungskapital von 30.000 Reichsmark für die Gründung der GmbH aufzubringen. Entsprechend gehörten 51% der Anteile Ambi-Budd!!!
Da habt Ihr den Grund warum das RLM keine geheimen Rüstungsaufträge während der Tarnzeit 1933 bis 1935 an ein US-Unternehmen auf heimischen Boden geben konnte. 1935 dann, die Bücker GmbH stand kurz vor der Pleite, rettete ein Großauftrag des RLM das Unternehmen da die Tarnung nun endlich gefallen war. Das RLM sorgte auch für eine Trennung von Ambi-Budd, die andere Aufgaben im Rüstungssystem erhielt. Der angeblich ach so erfolgreiche Jungmann wurde unter Selbstkostenpreis verkauft, damit Bücker überhaupt einen Fuß in die Tür des RLM bekam. Um den Großauftrag zu realisieren, erhielt Bücker einen Millionenkredit der Luftfahrtkontor um das neue Werk in Rangsdorf zu bauen. Zu diesem Zeitpunkt war Bücker der letzte freie Flugzeugbauer der seine Seele dem RLM verkaufte. Ende 1937 wurde das Geschäftskapital auf Druck des RLM erhöht und Bücker war wieder einmal Minderheitengesellschafter. Das RLM bzw. die Luftfahrtkontor GmbH hielt über 70% der Bücker GmbH.
Da gäbe es noch mehr zu sagen, aber an der Stelle soll das mal als Beispiel reichen.
Die gesamte Luftfahrtindustrie hing mehr oder weniger an der kurzen Leine des RLM.
Ein Teil wurde durch Übernahme der Geschäftsanteile durch die Hintertür verstaatlicht.
Ein Teil wurde durch Übernahme von mehr als 50% Geschäftsanteilen durch einen vom RLM gestellten zweiten Geschäftsführer gesteuert.
Ein Teil war aufgrund einer ausreichenden Kapitaldecke vor 1933 nicht mit Krediten zu kontrollieren. Gesteuert wurden sie trotzdem, da der Staat einziger Auftraggeber und Kunde in einem war.
Ein Teil lehnte den staatlichen Eingriff durch Kapital ab und musste dafür büßen.
All diese Firmen wurden durch das Technische Amt in drei Gruppen aufgeteilt:
1. Entwicklungsfirmen
2. Lizenznehmer
3. Reparaturbetriebe
Wer einmal eingruppiert war, kam da auch nur noch schwerlich heraus. Der Irrglaube, das die Industrie marktwirtschaftlich und frei von Zwängen handeln konnte ist völliger Blödsinn. Durch das Geld des RLM aufgebaut, hatte die Industrie das zu erfüllen was das RLM verlangte.
Das RLM vergab die Aufträge zur Entwicklung eines Musters nicht nach freiem Wettbewerb durch Eigeninitiative, sondern nach gelenkten Kapazitäten innerhalb der Entwicklungsfirmen. Drei Firmen bauen zeitgleich was ihnen aufgetragen wurde: Einen Jäger, Bomber oder Transporter usw., je nach Spezialgebiet.
Nochmals: Der Bedarf wird im RLM formuliert und nicht in der Industrie.
Und genau an dieser Stelle kommen die Querschläger aus der Industrie, die glauben mit einem Entwurf ohne Auftrag doch noch zu Geld zu kommen:
Bücker hatten wir schon, der seine 131 und 133 auf eigenes Risiko während der Zeit der Ablehnung entwickelte.
Da haben wir die BFW, denen das RLM den Hals rettete in dem sie den Betrieb als Lizenznehmer einstufte.
Als der Europarundflug bestückt werden sollte, hatten die Entwicklungsbetriebe alle Hände voll zu tun, so daß man „Außenseitern“ den Auftrag auf je sechs Mustern gab. Das waren handgefertigte Einzelexemplare, die nie eine Serie werden sollten, entsprechend konnte man mit Fieseler, Klemm und BFW eine Ausnahme machen. Die 109 hätte entsprechend nie in Augsburg entwickelt werden dürfen, da die BFW eben nicht zu der Gruppe der Entwicklungsbetriebe gehörte. Das es doch so kam ist eine sehr schräge Geschichte.
Focke-Wulf fehlte nach Auslaufen der Fw 56 und 58 ein Anschlußauftrag des RLM. Die 44 war bereits zuvor durch das RLM an Lizenznehmer abgegeben worden. Diesen Kapazitätsfreiraum füllte der Technische Direktor Tank mit der Fw 200, die ohne Auftrag des Ministeriums auf dem Papier in Bremen konzipiert wurde. Das hat etwas mit Ego zu tun. 44, 56 und 58 waren reine Stahlrohr/Leinwand-Flugzeuge für den Ausbildungsbetrieb. Was hatten alle drei gemein? Richtig! Zu klein um damit richtiges Geld zu verdienen! Jede Firma erhielt von LC Aufträge, die sie auch aus Erfahrung realisieren konnte. Das FW nur Schulflugzeuge bauen sollte, akzeptierte Tank nicht. Aber wo könnte man sich positionieren? Das zufällige Gespräch mit Stüssel von der LH gab den Anstoß. Auf eigene Kappe wurde also die Fw 200 aufgelegt. Im Unterschied zur Ju 90, die speziell für die LH gebaut wurde, mussten die Bremer beweisen das der Vogel etwas taugt, bevor die Entscheidung zur Übernahme anstand. Im Entwicklungsprogramm vom 1.10.1937 steht entsprechend: „Erprobung durch DLH, da Entwicklung für DLH“ das RLM übernimmt lediglich die Musterprüfung.
In diesem Zusammenhang sei vor dem Müll gewarnt den der schreibende Kollege Herrmann für das Flugzeug Classic Jahrbuch über den Condor verzapft hat. Als ob die Geschichte nicht längst aufgeklärt worden wäre, hat er wieder die klassischen alten Märchen zur Entstehung abgepinnt.
AGO hatte seine 192 und versuchte damit aus der Lizenznehmerschiene auszubrechen, was bekanntlich schiefgelaufen ist.
Selbst Heinkel hat seine Eigenmächtigkeit: In einem Protokoll einer GL-Sitzung unter Milch poltert dieser sinngemäß:
Da hat doch ein Waffengeneral eigenmächtig mit der Industrie eine Entwicklung angeschoben die es offenbar wert ist näher betrachtet zu werden. Also adoptieren wir (RLM) das Projekt. Gemeint war damit die He 219.
Ich komme schon wieder ins Plaudern...
Bis die Tage
Hal