Bei der Boeing 737-Max hat mich ja umgehauen, dass MCAS nur an einen der beiden Anstellwinkelsensoren angeschlossen ist. Leute, die so was vorschlagen, planen, bauen oder genehmigen haben nichts in der Luftfahrt zu suchen.
Kann mir so richtig vorstellen, wie das wahrscheinlich gelaufen ist:
Testpilot und/oder Simulationsverantwortliche: „Wir haben ein Problem. Wegen der neuen Triebwerksposition ergeben sich Fluglagen, aus denen der Pilot die Maschine nicht ohne weiteres raussteuern kann. So kriegen wir keine Zulassung.“
Einer aus der Gruppe sagt: „Habe ja gleich gesagt, das das so nicht geht. Wir hätten das Hauptfahrwerk auch verlängern und das Triebwerk an der richtigen Stelle lassen sollen. Oder ein Triebwerk nehmen, das passt. Was jetzt?“
Management sagt: „Wir haben weder die Zeit noch das Geld, so umfangreiche Änderungen vorzunehmen. Dafür sind wir zu weit. Welche Optionen haben wir noch?“
Einer sagt:„Schliesslich kommt das Problem nur vor, wenn ein Pilot mit zu viel Schub und zu viel Anstellwinkel fliegt. Das sollte er eigentlich nie tun. Können wir in so einer Situation nicht irgendwie elektronisch den Schub drosseln?“
Anderer sagt: „Riskant. Mit Systemen, die Schub wegnehmen oder begrenzen, haben alle schlechte Erfahrungen gemacht. Am Ende heisst es: Habe vollen Schub gegeben, aber es kam einfach nix, und dann sind wir schuld. Andere Vorschläge?“
Ein weiterer wirft ein: „Na ja, wir könnten das Höhenruder vergrössern“ - „Dass würde uns auch mindestens ein Jahr zurückwerfen, warscheinlich zwei. Können wir nicht was mit Elektronik und Computern machen, ohne an mechanische Konstruktion zu müssen?“
Irgend ein Genie kommt auf die Idee: „Hmm, wenn wir statt des Höhenruders das ganze Höhenleitwerk zum Steuern nehmen, müsste es auch gehen. Wir nutzen einfach die Motoren für die Trimvorrichtung. Fliegt ein Pilot bei Vollgas zu steil, trimmen wir einfach nach vorne.“
Kritiker: „Seid ihr irre? Die Trimmvorrichtung zum Steuern nehmen? Dafür ist die nicht gedacht.“ - „Ach was, das ist doch eh nur für die Zulassung. In der Praxis wird das System praktisch nie aktiv werden. Und Testpiloten nutzen das Trimmsystem auch für spezielle Manöver.“
Management: „Ok, probieren wir es aus. Wie lange brauchst ihr, das prototypisch zu verdrahten?“ - „Na ja, wir haben auf dem Trimmsteuermodul noch zwei Ports frei, da könnten wir das Signal von einem Anstellwinkelsensor und einer Staudrucksonde drauflegen“
„Und die Software?“ - „Das machen wir zum Testen erst mal ganz primitiv: Wenn der Anstellwinkel grösser X Grad und der Schub grösser Y Prozent ist, trimmen wir fünf Sekunden nach vorne. Dann warten wir ein paar Sekunden, bevor wir erneut prüfen.“
Testpilot kommt nach Testflug zurück: „Funktioniert super. Die Nase kommt sogar von ganz allein runter, wenn der Pilot gar nichts tut.“
Management: „Ok. Wir haben eine Lösung. Lasst uns in die Zertifizierungstests gehen.“ - „Aber das ist nur ein Provisorium zum Testen. Wir brauchen mindestens ein halbes Jahr, um das ordentlich zu machen und auch die anderen Sensoren mit zu berücksichtigen.“
„Was, ein halbes Jahr. So viel Zeit haben wird nicht. „Reicht denn das, was wir haben, für die Zulassung?“ - „Formal gesehen ja. Schön ist es nicht, aber die Piloten können ja auch von Hand gegentrimmen, wenn es Probleme gibt.“
„Dann gehen wir erst mal mit dem in die Zertifizierung, was wir haben. Wir können das später immer noch richtig machen, wenn wir Zeit haben.“
„Wie kommunizieren wir das ganze denn nach aussen?“ - „So wenig wir möglich. Ist nicht gut für dem Ruf, wenn der Eindruck entsteht, dass wir eine grundsätzliche Designschwäche haben, die wir mit einer Behelfslösung gefixt haben.“
„Aber die Piloten sollten doch davon wissen, und es muss in die Checklisten eingearbeitet werden“ - „Ach, so wichtig ist dieses Detail jetzt auch nicht. Packt es einfach irgendwo unauffällig in eines der hinteren Kapitel im Handbuch.“
Zwei Jahre später: „Wollten wir nicht eigentlich das MCAS noch mal überarbeiten?“ - „Jetzt fliegen schon zweihundert Maschinen täglich problemlos mit dem System. Wollen wir wirklich etwas anfassen, das sich bereits bewährt hat?“
Oktober 2018: „F**k.“
März 2019: „F********k!!!“
Quelle