In der aktuellen
Zeit (kostenpflichtig) gibt es einen Artikel, basierend auf den Ansichten von Simon Hradecky, Betreiber des Aviation Herald.
Puh, ich habe hier soviel Hintergrundinformationen, wenn ich das alles niederschreibe, bräuchte ich die halbe Nacht. Ich will versuchen, es so kurz wie möglich zu machen. Vorweg: Ich habe mit dem Betreiber des AV-Herald über viele Jahre immer wieder mal lose zusammengearbeitet und seine analytische Herangehensweise bei Zwischen- und Unfällen sehr geschätzt. Das tue ich auch grundsätzlich heute noch. Er ist ein hochintelligenter Kopf, ohne jeden Zweifel, der über eine Menge Fachkenntnis verfügt. Aber auch intelligente Menschen sind nicht davor gefeit, an irgendeinem Punkt im Leben ins Reich der Verschwörungstheorien "abzukippen" oder sich in Dinge zu verrennen. Ich nenne hier als Beispiel gerne Ärzte, die nach jahrelangem Studium und medizinischer Praxis plötzlich krude Thesen aufstellen a la "Tollwut ist ungefährlich", "Aids existiert nicht", "Krebs kann man alleine durch eine gesunde Ernährung heilen" ... oder welche die generelle Wirksamkeit von Impfungen in Frage stellen. Niemand wird bestreiten können, dass diese Ärzte grundsätzlich nicht dumm sein können, denn sie haben ein anspruchsvolles Studium und die anschließende Praxis absolviert und durch ihr Schaffen und ihr Fachwissen vielen Menschen geholfen. Aber irgendwann sind sie einfach, sagen wir mal salopp, "falsch abgebogen", mental betrachtet, haben den Blick für objektiv vorhandene Fakten und gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse verloren.
Im Fall von Germanwings 9525 versucht(e) der Betreiber des AV-Herald in den vergangenen Jahren immer wieder, Medienschaffende von seinen wilden Theorien zu überzeugen, die allesamt hanebüchener Unsinn sind. Er hat allein mir seitenlange Mails und Dokumente geschickt, deren Inhalt ich nicht alleine geprüft, sondern - mit seinem Einverständnis - auch anderen Experten wie Piloten, Technikern, Juristen, etc ... vorgelegt habe. Allesamt haben sie über seine angeblichen "Beweise" für die "Unschuld" von Andreas Lubitz sprichwörtlich den Kopf geschüttelt bzw. die Hände über selbigem zusammengeschlagen und gefragt, ob das ernst gemeint sein soll. Wilde Spekulationen, Phantasiegebilde, Annahmen, kein einziger forensischer Beweis für irgend etwas davon, was er annimmt - mal ganz abgesehen davon, dass alles auch schon vom gesunden Menschenverstand her völlig unplausibel war/ist.
Ich weiß von seriös arbeitenden deutschen Journalisten, die extra nach Österreich gereist sind, sich seine Ausführungen stundenlang angehört haben und dann ebenso kopfschüttelnd auf einen Bericht darüber verzichtet haben. Ich weiß, dass er die Story mehreren Medien/Journalisten verkaufen wollte und abgeblitzt ist, weil einfach ohne jede belastbare Substanz. Ich selbst habe ihn mehrfach gewarnt, mit solchen Verschwörungstheorien an die Öffentlichkeit zu gehen und auch gehört, dass es andere, die er überzeugen wollte, ebenfalls getan haben. Denn es stand/steht nicht nur seine Reputation als Person sondern auch die des AV-Herald auf dem Spiel. Das alles war/ist ihm offenbar egal, er ist so von seinem (W)irrweg überzeugt, dass er ihn bis zur Exposition in der Öffentlichkeit weitergegangen ist. Es sagt allerdings schon sehr viel aus, dass
gut 90 Prozent aller Medien in Deutschland und Österreich bisher NICHT darüber berichtet haben. Wenn sogar der Boulevard ablehnt, dann ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass an einer Story nichts dran ist. Denn der Boulevard stürzt sich in der Regel auf alles, wo nur ein Fünkchen Wahrheit drinnen sein könnte. In Deutschland ist ihm die "ZEIT" auf den Leim gegangen, in Österreich der "Kurier". Einige wenige andere Medien haben grundsätzlich darüber berichtet, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, wieso das eigentlich substanzlos und keineswegs eine "neue senstionelle Entüllung" ist.
Nachfolgend ein paar Lesetipps dazu, wenn es wen näher interessiert:
Eine Untersuchung zum Germanwings-Absturz lässt Zweifel aufkommen, ob Andreas L. das Flugzeug gezielt gegen die Alpen lenkte. Ein Experte entkräftet die Theorie.
www.fr.de
Rund um den 10. Jahrestag der Katastrophe von Germanwings, bei der Andreas Lubitz einen Airbus A320 mit voller Absicht gegen einen Berg steuerte, verbreitet der österreichische Computerexperte Simon Hradecky Thesen, die für Experten ins Reich der Verschwörungstheorien gehören. Zwei Journalisten...
www.austrianwings.info
Neben der großartigen und ausschließlich auf seriösen forensischen Fakten basierenden ARD-True Crime Doku "Der Germanwings-Absturz - Chronologie eines Verbrechens" (Austrian Wings berichtete), hat auch der Bezahlsender Sky einen Filmbeitrag zum Absturz von Flug Germanwings 9525 gestaltet. Doch...
www.austrianwings.info
In meinem für Austrian Wings geführten Interview mit dem deutschen Staatsanwalt Christoph Kumpa spricht dieser von "einem Österreicher", der ihn ohne jede Rechtsgrundlage unter Druck setzen wollte und ihm "drohte", ihn (also den Staatsanwalt) für "weitere Airbus-Abstürze verantwortlich zu machen", wenn er (der Staatsanwalt) nicht tue, was "der Österreicher" wolle. Dreimal dürft ihr raten, wer dieser Österreicher war. Er wurde im Interview nicht namentlich genannt, da er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht selbst öffentlich über die Medien exponiert hatte. Aber diese Vorgehensweise sagt meines Erachtens schon viel über das unter Umständen für einige Beobachter schon manisch anmutende "Hineinsteigern" in die eigenen Verschwörungstheorien aus. Hier nachzulesen:
Das große Interview - Staatsanwalt zu Germanwings-Absturz: "Kein Zweifel an Lubitz' Verantwortung"
Ganz generell gibt es ja zu fast jedem größeren katastrophalen Ereignis diverse Verschwörungstheorien, sei es 9/11, das Flugtagunglück von Ramstein, etc ... - die Erfahrung hat gezeigt, dass es leider in fast allen Fällen völlig sinnlos ist mit Menschen, die von Verschwörungsmythen überzeugt sind, zu diskutieren. Sie haben Scheuklappen auf, sind in ihrer eigenen Welt regelrecht gefangen. Alle objektiven Fakten werden als "Teil der Verschwörung" abgetan und nicht anerkannt. Traurig, aber da braucht's manchmal professionelle Hilfe, dass solche "Schwurbler" (egal zu welchem Thema) wieder den Blick für die Realität zurückgewinnen.
Ich halte es dennoch wichtig, Verschwörungstheorien und wilden Spekulationen mit harten Fakten entgegenzutreten. Man wird zwar die Verschwörungstheoretiker in aller Regel nicht von den Fakten überzeugen, aber man kann durch gute Argumentation und forensische Beweise viele vernünftige Menschen davon abhalten, so einen Unsinn zu glauben. Denn wenn eine Verschwörungstheorie von jemandem gut vorgetragen wird, kann sie für den technischen Laien schon plausibel klingen, obwohl sie das nicht ist.
Dieses Entgegentreten mit Fakten versuche ich auch in
meinem Buch über den Absturz (auf Amazon gibt es zwei ausgezeichnete Rezensionen und eine, die - wenn man bei seiner negativen Kritik zwischen den Zeilen liest - offenbar von einem Anhänger der Verschwörungstheorien stammt dazu,
hier eine weitere) zu tun. Ich widme ein ganzes Kapitel den gängigsten Verschwörungstheorien, darunter auch jene, die jetzt vom Betreiber des AV-Herald über die "ZEIT" und den "Kurier" verbreitet wird. Mit Unterstützung von Technikern und Piloten "zerpflücke" ich diese Spekulationen und gehe auch auf die psychologische Komponente von Verschwörungstheorien ein. Die ist hochinteressant und eigentlich immer gleich, egal ob bei 9/11, Corona, dem Flugtagunglück von Ramstein, dem Untergang der Titanic (da soll angeblich die Olympic und gar nicht die richtige Titanic gesunken sein), etc ...
Noch ein Wort zum Artikel in der "ZEIT", den ich natürlich vorliegen habe, hier aber aus urheberrechtlichen Gründen nicht posten kann. Darin zitiert der Autor den deutschen Juristen Elmar Giemulla, der sich auf Flugunfälle spezialisiert hat. Dieses Zitieren erfolgt meiner Meinung nach in einer höchst irreführenden Art und Weise.
Könnte es sein, dass sich Simon Hradecky, ein integrer Luftfahrtexperte, im Fall des Germanwings-Absturzes verrannt hat? Nein, sagt Elmar Giemulla, der Anwalt vieler Hinterbliebenen: alles plausibel, was die Sprünge in der Flugkurve betrifft. Hradecky habe ihm seine Argumente vorgestellt und ihn überzeugt, es stimme offenbar nicht, dass es nur Lubitz gewesen sein kann, der den Sinkflug verursacht hat.
So wie ich das verstehe, behauptet der Autor des "ZEIT"-Artikels (der sich für mich generell eher wie eine Werbung für die Verschwörungstheorien des AV-Herald Betreibers liest) also, dass der Betreiber des AV-Herald den Anwalt von seinen kruden Theorien überzeugt habe, wonach Andreas Lubitz nicht (allein) verantwortlich für den Crash sei.
Nun, ich kann mir nicht vorstellen, dass das so stimmen kann. Denn ich habe für mein Buch "Germanwings Flug 9525 - Absturz in den französischen Alpen" unter anderem ein ausführliches Interview (20 Seiten!) mit Elmar Giemulla geführt. Vor Veröffentlichtung des Buches hat Herr Giemulla das gesamte Interview gegengelesen und es mir anschließend
schriftlich autorisiert. Auf meine Frage, ob es aus seiner Sicht irgendeinen Zweifel an der Verantwortung für Andreas Lubitz an dem Germanwings-Absturz gibt, antwortete mir Giemulla wörtlich:
"Als Fachjurist bin ich nach Sichtung aller mir vorliegenden Unterlagen und forensischen Beweise davon überzeugt, dass an der Verantwortlichkeit von Andreas Lubitz kein berechtigter Zweifel bestehen kann. Und ich habe über die Jahre unzählige Aktenseiten gelesen und ausgesprochen gründlich recherchiert. Gleichwohl kritisiere aber auch ich offen, dass einige Fragen im offiziellen Abschlussbericht nicht zufriedenstellend aufgearbeitet wurden. Das sehe ich als Problem, denn wo Fragen offen bleiben oder nicht eindeutig geklärt sind, entstehen bei Menschen leicht Zweifel und von Zweifeln ist es, vor allem bei so einem komplexen Thema, das man selbst nicht versteht, nicht mehr weit bis zu Verschwörungstheorien."
Dieses autorisierte Zitat (nachzulesen auf Seite 200) hat eine ganz andere Aussage als das, was die "ZEIT" da schreibt. Ich habe mir daher auch schon erlaubt, Professor Giemulla darauf aufmerksam zu machen, wie ihn die "ZEIT" zitiert.
So, mein Beitrag ist nun doch etwas länger geworden als geplant, aber es ist auch ein komplexes Thema.
Noch einen schönen Abend und viele Grüße aus Wien