Das ist absolut richtig. Und genau aus diesem Grunde sollte man deren Äußerungen nicht zu viel Bedeutung beimessen und diese Personen lieber in Ruhe lassen. Nicht selten meinen Eltern aber auch nach dessen Tod noch für und um ihr Kind kämpfen zu müssen. So etwas zu verarbeiten kann Jahre oder Jahrzehnte dauern. Die Fragen, wie gut kannte man noch sein erwachsenes Kind (oft hat man wesentlich weniger Kontakt als früher, als das Kind noch bei den Eltern wohnte) und was man selber hätte erkennen oder ändern können oder müssen gehören zu den emotional schwierigsten, mit denen man konfrontiert werden kann. (...)
Wer sich nicht sehr ausgiebig mit menschlichen Depressionen, inneren Ängsten, Schwermut, Annäherung an Schizophrenie, etc. auseinandergesetzt hat oder sogar vom eigenen Leben kennt, kann wirklich nicht beurteilen, wo eine derartige Kurzschlußhandlung ihren Ursprung hat.
Ich hatte das große Pech, von Kindheit an mit ungewöhnlich vielen Suiziden im engsten Familienkreis und Schulumfeld konfrontiert zu werden, was ich als Kleinkind natürlich nicht verstand.
Dann als gestandener Mann das Pech gehabt, zwei Selbstmörder überfahren zu haben, was ich nur anfangs nicht verstand.
Irgendwann nach Summenjahren hat diese innere Brodelei schlagartig dazu geführt, dass ich mich viele Monate in einem psychosomatischen Krankenhaus wieder auf die rechten Beine stellen lassen müssen.
Auch dort wurde ich leider mit einem Suizid konfrontiert.
Kurzum:
Ich habe mich im Laufe der Jahrzehnte sehr viel mit der extrem komplizierten Psyche des Menschen beschäftigt, praktisch und theoretisch. "Fälle", zu denen ich früher den Menschen verurteilte, sehe ich zwischenzeitlich völlig anders. Psychische Probleme jeder Art sind eine Seelenqual, die einen derart extrem in die Enge pressen, dass vor lauter selbstgemachtem Horror das Atmen schwer fällt und die dann überbordenden, falschen Gefühle/Meinungen/Einschätzungen den realen Verstand übersteuern.
Seelenqual ertragen zu müssen, kann nur jemand, der sie selbst erlebt hat, bei anderen ansatzweise abschätzen.
Somit sind sämtlich Vorwürfe an den unglücklichen Piloten, dessen zeitlebens nie mehr recht frohen Eltern wegen vermeintlicher Erziehungsfehler oder des Nichterkennens der seelichen Schieflage nicht angebracht.
Auch der Arbeitgeber, die Voruntersucher, die Psychologen können nicht zaubern, nicht in die Köpf schauen und daher auch nicht mit 100 prozentiger Sicherheit ahnen, ob dieser oder jener Mensch nicht irgendwann einmal in seinem Leben zu einem Kurzschluß neigen wird.
Der Mann war ja schließlich kein Dummkopf oder ein Hallodri, sonst wäre er nicht bis ins Cockpit gelangt.
Suizide entstehen manchmal plötzlich, aus "scheinbar heiterem Himmel" heraus. Sind nicht unbedingt vorhersehbar und dann abzufangen. Oftmals liegt der Ursprung in zuvorigen Jahrzehnten verborgen und plötzlich knallt die Sicherung durch, ohne dass sich der Betroffene sich seiner wirklichen Probleme bewußt war und er daher auch keine dementsprechende Behandlung oder Vorsichtsmaßnahmen ergreifen kann oder konnte.
Das Unglück ist grauenhaft. Aber Schuldvorwürfe, egal gegen wen, sind schlichtweg nicht angebracht.
Ich denke, mehr Gefühl für unsere Mitmenschen, mehr Nachdenken darüber, warum jemand dies oder das macht oder gemacht hat, ist wesentlich angebrachter, als mal schnell eine Verurteilung zu tippen.