Der Absturz
Am Vormittag des 29. Mai 1975, dem Fronleichnamstag, sahen Augenzeugen um kurz vor 8 Uhr, wie eine im Gleitflug befindliche U-2 am Himmel über dem Hochsauerland in ca. 1000 m Flughöhe Treibstoff abließ. Schließlich begann sie zu wackeln und verlor ihre Höhenleitwerke. Der 30jährige Pilot, USAF-Captain Robert T. Rendleman, schoss sich auf seinem Lockheed-Schleudersitz heraus und seine U-2C (Article 367, Serial No. 56-6700) stürzte zwischen den Ortschaften Altastenberg, Silbach und Winterberg in den fichtenbestandenen Wald. Capt. Rendleman landete mit dem Fallschirm unverletzt auf dem alten Silbacher Fußballplatz, und auch das Flugzeugwrack richtete an der Absturzstelle lediglich einen kleineren Forstschaden an. Verschiedene Zeitungsmeldungen mit Fotos und eine Karte der Absturzstelle
findet man hier.
Der Pilot
Robert Terrence ‚Terry’ Rendleman absolvierte 1963 die High School und studierte an der Auburn University in Auburn/Alabama Luftfahrttechnik. 1968 schloss er dort mit dem Bachelor of Science ab und ein Jahr später erwarb er seine Pilotenschwingen bei der U. S. Air Force. Danach war er u. a. im Tactical Air Command als Fluglehrer tätig, flog auf der OV-10A Bronco 310 Kampfeinsätze als ‚Forward Air Controller’ in Südostasien und war am 22. Oktober 1974 der 307. Pilot, der auf eine U-2 umschulte. Anschließend flog er bei der 349th Strategic Reconnaissance Squadron (SRS), die als Teil des 100th SRW auf der Davis-Monthan AFB in Arizona/USA stationiert war, und verlegte mit der U-2C Anfang Mai 1975 zur ALSS-Erprobung nach RAF Wethersfield, wo ihn am 29. Mai über dem Sauerland der hier thematisierte Absturz ereilte.
Rendleman flog danach weiter in seiner Staffel und war bei dem 1976 neu aufgestellten 9th SRW auf der Beale AFB in Kalifornien U-2-Fluglehrer. 1979 verließ er die USAF und flog für Braniff International Airways als Erster Offizier auf der Boeing 727. Als die Airline 1982 pleite ging, wechselte er als Manager in die Auffanggesellschaft Braniff-Dalfort, wo er die Aufsicht über die Flugzeugwartung führte. In diesem Aufgabenbereich machte Rendleman dann als Vizepräsident bei Northwest Airlines (1985-1993) und United Airlines (1993-1997) Karriere, anschließend als Betriebsschef der Frachtlinie ‚Atlas Air’ (1997-2001) sowie als Vorsitzender (2001-2004) von ‚Aeroxchange’, einem Versorgungsportal für Luftfahrtlogistik. Von 2004 bis 2006 war er zuständiger Vizepräsident für Flugzeugtechnik bei ‚Virgin America’.
Außenkommando Wethersfield ’75
Zwischen Mai und August 1975 verlegten fünf U-2C des 100th SRW der USAF im Rahmen der Operation „Constant Treat“ zum letzten Überseeeinsatz der alten U-2-Baureihe nach RAF Wethersfield in Ostengland. Eine sechste U-2C folgte nach dem Absturz von Capt. Rendleman als Ersatzflugzeug. Wegen allgemeiner Befürchtungen, dass in Großbritannien Spionageflugzeuge stationiert würden, verlangte die britische Regierung einen unauffälligeren als den üblichen, schwarzen Anstrich. Daher erhielten die Flugzeuge, die an dieser Operation teilnahmen, einen zweifarbigen blaugrauen Tarnanstrich im sog. ‚Sabre scheme’ (siehe nachstehendes Foto der No. 56-6692).
Ein schönes
Modell der 56-6700 von Testors in 1:48 hat übrigens unser ‚Schrammi’ gebastelt. Und hier findet man eine
Grafik der 56-6700 im Farbkleid der Operation „Constant Treat“. Diese Operation bestand in der praktischen Erprobung des ‚Advanced Location and Strike System’ (ALSS), einem Verfahren, bei dem drei in voneinander getrennten Lufträumen fliegende U-2 darauf warteten, dass eine feindliche Bodenstation (Radarstellung oder sonstige Einrichtung, die elektromagnetische Wellen ausstrahlt) aktiv wurde, um dann gleichzeitig dieses Bodenziel zu erfassen. Die erfassten Daten aus den drei relativen Positionen zum Ziel wurden in Beinahe-Echtzeit an ein ‚Tactical Air Control Center’ (TACC) übertragen, das aus den Daten per Triangulation die genaue geografische Lage des Ziels errechnete und dann diese Positionsberechnung ebenso schnell an eigene Angriffsflugzeuge weiterleitete.
Da es für die Messungen genügte, in drei getrennten Lufträumen an der Peripherie der Emittenten zu fliegen und nicht direkt über dem Territorium der DDR oder CSSR, und da die Positionen der drei Flugzeuge vom TACC genau nachverfolgt wurden, sind eine Grenzverletzung, ein Beschuss und resultierende Beschussschäden an einem der beteiligten Flugzeuge eher unwahrscheinlich. Der Triebwerksschaden der 66700 hatte daher höchstwahrscheinlich eine andere Ursache. Nähere Infos hierzu sind immer willkommen, herbie!
Die Erprobungsprogramme
Um die ALSS-Technik zu erproben, waren die sieben verbliebenen U-2C der USAF bereits 1972 mit der entsprechenden Ausrüstung versehen worden, die u. a. aus einem Satz von 18 Empfangsantennen im ausgebuchteten Q-Schacht bestand. Entwicklungsprobleme verzögerten die Erprobung aber bis 1975, und auch die Ergebnisse der Operation „Constant Treat“ waren nicht zufrieden stellend.
Hierauf aufbauend folgte 1977 das ‚Precision Location Strike System’ (PLSS) oder ‚Precision Emitter Location Strike System’ (PELSS), das bis 1987 mit der U-2R/TR-1 fortgesetzt wurde und letztlich zur Beschaffung der Boeing/Grumman E-8 JSTARS führte.
Über die Jahre hinweg erprobte die USAF dieses Prinzip in verschiedenen Programmen mit bemannten und unbemannten Plattformen. Sie trugen Projektnamen wie „Compass Bright“, „Compass Counter“, „Compass Cope“, „Pave Onyx“ und „Pave Nickel“.
Gruß
Luftpirat
(Foto: USAF)