Dein Beitrag wirkt auf mich etwas wirr. Vielleicht ist meiner noch wirrer.
Manchmal ist es aber auch nur schwer oder gar nicht möglich, die Komplexität einer historischen Entwicklung oder Aufarbeitung so einzuordnen, dass man ein Gesamtbild mit Rückschlüssen erhalten kann. Vieles bleibt der Öffentlichkeit auch bewusst und unbewusst vorenthalten.
Für die Öffentlichkeit war einzig der Zeitpunkt der Insolvenz überraschend, schließlich erfolgte dies in der Hochsaison. Im Flug- bzw. Raucherecken-Flurfunk europäischer Flughäfen war AB öfter ein Thema und ich schnappte seit Frühjahr 2017 auf, dass es bei AB „nur noch um Monate, nicht um Jahre geht“. Auch ich war überrascht, dass es dann Mitte August passierte.
Ab einem Zeitpunkt X ist einem in Schräglage geratenen Unternehmen die unternehmerische Freiheit zumeist den Interessen von Banken/Geldgebern unterzuordnen. Ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen kann bei laufendem Flugbetrieb ganz anders ihre Märkte sichern, expandieren, überdenken, reduzieren und beim Austesten einer neuen Route oder eines neuen Marktes hängt nicht gleich das Schicksal einer Fluggesellschaft von gemachten Unternehmensentscheidungen ab.
Eine finanziell schwer angeschlagene oder defizitäre Fluggesellschaft kann nur schwerlich zu attraktiven Konditionen Flugzeuge erhalten oder viel probieren. Das war so, es ist so und wird auf absehbare Zeit auch so bleiben. Man verkauft auch Tafelsilber. Das machten Airlines gerne so.
Ob nun zusätzlich der Austausch von geleasten Flugzeugen durch erheblich teurer geleaste Flugzeuge einer anderen Airline (ich glaube Alitalia?) innerhalb des Pools eine hanseatisch angenehme und weise Geschäftspraktik ist, spielt hierbei keine Rolle.
Kurz vor der „Übernahme“ von TWA durch American Airlines war TWA z.B. faktisch auch nicht mehr in der Lage, die Ratenzahlungen für die im wöchentlichen Rhythmus gelieferten MD-83, Boeing 757 und später Boeing 717 zu begleichen.
Und es spielt keine Rolle, welcher CEO imaginäre und verbale Tränen vergoss oder vergießt: Finanziell haben sich alle abgesichert und dies legitim und der „Aufsichtsrat“ segnete und segnet ja alles systematisch und nicht zufällig ab. In einer fernöstlichen Kultur wäre Seppuku (Suizid) die einzige Lösung, wenn man als CEO seiner Aufgabe nicht gerecht wurde und dann wäre alles wieder OK. Zusätzlich nach dem Hinterlassen eines noch größeren Trümmerhaufens finanziell abgefunden zu werden, widerspricht jeder Logik, die aber in unserer westlichen Welt normal zu sein scheint und legitim. Deshalb alles OK! So ein CEO braucht auch keine Nummer im jobcenter zu ziehen. Solche Leute bekommen neue Angebote.
Niedergang ist in den meisten Fällen eine zuerst kaum spürbare und später offensichtlichere Negativentwicklung. Auch hier verdienen in den ersten Phasen sehr viele andere Akteure viel Geld damit. Swissair ging es auch nicht erst seit 1998 nicht mehr so gut, die ersten Anfänge des (zuerst nicht spürbaren und sichtbaren!) Niedergangs kann man auf ca. 1980 datieren!
Ab einem bestimmten Zeitpunkt überstiegen bei AB und vergleichbaren Beispielen anderer Airlines die Verbindlichkeiten massiv die Einnahmen und selbst bei hervorragender Ertragssituation war es finanziell defizitär. Bei ehemals staatlichen und bekannten Unternehmen half der Staat immer wieder aus, auch weil und gerade ein „Flag Carrier“ als Flaggenträger auch wirtschaftspolitisch betrachtet eine Rolle spielte.
Es mag ärgerlich sein, wenn zum Beispiel Ryanair ihren Winterflugplan aktuell zurecht stutzt oder es mag schrecklich für die betroffenen Mitarbeiter sein, wenn der Flugbetrieb ihrer Airline kollabiert. Die gesamtwirtschaftlicheren Auswirkungen sind aber nicht so verheerend, wie es vor 30 Jahren gewesen wäre. In geordneteren Zeiten (also reguliert und maßvoll angepasst, einige würden behaupten eine Klassengesellschaft), hätte es zum Beispiel die finnische Regierung nie zugelassen, dass ihre Finnair in der ersten Hälfte der 1990er aufgrund hoher finanzieller Verluste ihren Betrieb einstellt.
Zu sehr hätte die Wirtschaft gelitten, da mehrheitlich keine „Geilz-ist-geil-ich will-aber-vollen-Service“-Passagiere an Bord einer klassischen Liniengesellschaft waren, sondern sehr viele Leistungsträger einer Gesellschaft, die im Interesse der Arbeitswelt von A nach B flogen, gefolgt von Personen, denen es bewusst war, dass ein Flugticket nicht günstiger als eine Taxifahrt zum Flughafen sein konnte.
Betrachtet auf Deutschland, ist der Wegfall von AB im Zusammenhang mit fehlendem Wettbewerb bedenklich, aber Deutschland gehört andererseits nicht zu den Regionen, die essentiell auf Luftverkehr angewiesen sind und Bruno aus Büsum nun seinen Geschäftstermin in München nur noch mit mehrtägiger Anreise oder gar nicht umsetzen kann.
Und so traurig es sein mag: Es ist positiv, dass es überhaupt Insolvenzgeld gibt. In den meisten Ländern gibt es so eine marktregulierende und beruhigende Maßnahme nicht.
Es mag ja sein, dass jetzt verhandelt wird, wo man einen Großteil der Mitarbeiter bei anderen Airlines unterbringen könnte. Diese Unternehmen werden aber die notwendigen Mitarbeiter (nach meinem Verständnis) nicht einfach so „unterbringen“. Sollte X Bedarf bestehen, können sich bevorzugt genau diese Mitarbeiter bewerben, müssen aber ein Assessment durchlaufen und durch Training etc. auf das jeweilige Unternehmen „getrimmt“ werden. Kein kapitalistisch orientiertes Unternehmen tut es sich gerne an, Mitarbeiter „aufgedrückt zu bekommen“ und die Leute, die sich vorher auffällig an bestimmten Tagen krankgemeldet haben oder zwischen Briefing und Gang zum Flugzeug plötzlich unfit (nicht krank!) wurden, werden sicherlich bei den potentiell anderen Unternehmen aussortiert und nicht integriert.
Platt ausgedrückt: Das geht gar nicht! Klar kann ich mich „unfit to fly“ melden, aber nachdem ich mein Briefing als Teil einer Crew hatte und auf dem Weg zur Maschine bin? Ich bitte doch sehr…
Und Sozialpläne sind ein probates Mittel, um u.a. auch in der Öffentlichkeit zu zeigen, dass man sich kümmert. Bei anderen kollabierten Großunternehmen hat man sich vorher bei den Arbeitsbedingungen etc. einen Teufel geschert und kommt plötzlich mit überraschenden Aufdeckungen und ich glaube nicht, dass die ehemaligen Manager oder gar Eigentümer und Namensgeber mit ihrem „persönlichen Sozialplan“ nun in einer Hartz-4-Wohnung in Hamburg – Kirchdorf Süd sitzen.
Aktuell regen sich viele über Ryanair auf. Dabei geht es um ausgefallene Flüge, es gibt keine Kritik oder Pöbeleien oder ein kritisches Konsumverhalten aufgrund offensichtlich sup-optimaler Arbeitsbedingungen.
Und natürlich sorgen sich viele Mitarbeiter selbst bei Übernahme umihre Zukunft, da zum Beispiel eurowings nicht so attraktiv bezahlt wie andere Airlines.
LG