Die Gebrüder Wright und das Querruder

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HoHun

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Moin!

Als ich gerade mal auf Google Patents das Patent der Flugmaschine angeschaut habe (US821393A - Flying-machine. - Google Patents ), habe ich im beschreibenden Teil eine interessante Aussage bezüglich der Flügelverwindung gefunden, die die Wrights bei ihren ersten Mustern verwendet haben (meine Übersetzung):

"Wir bevorzugen diese Bauweise und Art der Betätigung aus dem Grunde, daß sie eine allmähliche Vergrößerung des Einstellwinkels jeder Tragfläche von ihrer Mitte nach außen zum Rand erbringt, auf diese Weise eine stetige Oberfläche auf jeder Seite der Maschine herstellend, die über eine allmählich zu- oder abnehmenden Einstellwinkel von der Mitte der Maschine zu jeder Seite verfügt.

Wir möchten jedoch klarstellen, daß unsere Erfindung nicht auf diese besondere Bauweise beschränkt ist, da jede Bauweise, mittels der die Winkelverhältnisse der seitlichen Tragflächenkanten in entgegengesetzte Richtung in Bezug auf die normalerweise von diesen Tragflächen eingenommene Ebene verändert werden können, in den Bereich unserer Erfindung fällt."
Mit anderen Worten, die Wrights haben sich bewußt für die Flügelverwindung entschieden, obwohl ihnen klar war, daß es auch auf technisch andere Weise möglich gewesen wären, den Einstellwinkel bestimmter Tragflächenteile auf beiden Seiten unterschiedlich zu verändern. (Es sind noch mehr Klarstellungen dazu, aber das Patent benutzt eine ziemlich gewundene Sprache! :-)

Im Teil mit den eigentlich Patent-Ansprüchen liest es sich sich vielleicht sogar noch gewundener, aber auch noch unmißverständlicher:

"Nachdem wir also unsere Erfindung vollständig beschrieben haben, ist das, was wir als neu beanspruchen und durch einen Patentbrief zu schützen suchen:

1. Bei einer Flugmaschine, eine normalerweise flache Tragfläche mit Abschnitten des seitlichen Randes, die fähig zur Bewegung in unterschiedliche Stellungen über unter unter der normale Ebene des Körpers der Flugmaschine, wobei die Bewegung entlang einer Achse quer zur Flugrichtung stattfindet, wodurch die besagten Randabschnitte in verschiedene Winkelstellungen in Bezug auf die normale Ebene des Körpers der Flugmaschine gebracht werden können, um sich der Atmosphäre in verschiedenen Einstellwinkel darzubieten, und Mittel, um die besagten Randabschnitte zu bewegen."
Unter "Randabschnitte" würden also Querruder genauso fallen wie die verwindbaren Tragflächenenden, die die Wright bei ihren ersten Flugzeugtypen verwendet haben.

Dann geht's weiter ... ich versuche mal, die Punkte zusammenzufassen, was wegen des sich wiederholenden Textes und der gewundenen Sprache etwas kniffelig ist. Je "weiter unten", desto mehr geraten:

"2. [Flügelverwindung beim Doppeldecker]

3. [Gleichzeitige Bedienung mehrerer Quersteuer]

4. [Gleichzeitige Bedienung mehrerer Quersteuer beim Doppeldecker]

5. [Der rechteckige Flügel mit Quersteuer]

6. [Doppeldecker mit rechteckigen Flügeln und Quersteuer]

7. [Flugmaschine mit Quersteuer und Seitenflosse oder -stabilisierung]*

8. [Doppeldecker mit Quersteuer und Seitenflosse oder -stabilisierung]

9. [Flügelverwindung am gestreckten Flügel]

10. [Flügelverwindung am Doppeldecker mit gestrecktem Flügel]

11. [Flügelverwindung am gestreckten Flügel in Kombination mit Seitenflosse oder -stabilisierung]

12. [Höhenruder mit veränderlicher Wölbung]

13. [Höhenflosse mit veränderlichem Einstellwinkel und Federvorspannung]

13. [Flugmaschine mit 3-Achs-Steuerung]

14. [Mehrdecker mit 3-Achs-Steuerung]

15. [Mehrdecker mit 3-Achs-Steuerung und Canard-Höhensteuer]

16. [Doppeldecker mit 3-Achs-Steuerung und Seitenflosse achtern]

17. [Quersteuer-Betätigungsleitungen beim Doppeldecker]

18. [Doppeldecker-Flugmaschien Quersteuerbetätigung entsprechend 17.]"
* Es könnte sein, daß eine vor dem Schwerpunkt liegende bewegliche Flosse zum Ausgleich des Gierwinkel ebenso gemeint ist wie eine hinter dem Schwerpunkt liegende Seitenflosse. Die Jungs haben an alles gedacht.

Alexander Graham Bell, selbst ein berühmter Erfinder (Telefon! :-), soll mal gesagt haben, "Es ist erstaunlich, daß den Patenten der Wrights nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, denn sie sind wirklich bemerkenswert." (Das war während er gemeinsam mit Curtiss und Harring versucht hat, die Wright-Patente zu umgehen.) Nachdem ich mich durch das Flugmaschinen-Patent gekämpft habe, kann ich mir schon vorstellen, warum die so wenig Leser gefunden haben! :smilet-digitalpoint

Tschüs!

Henning (HoHun)
 
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..... Nachdem ich mich durch das Flugmaschinen-Patent gekämpft habe, kann ich mir schon vorstellen, warum die so wenig Leser gefunden haben! :smilet-digitalpoint

Tschüs!

Henning (HoHun)
Als mehrfacher Patentinhaber und regelmäßiger Patentleser (ich werde dafür bezahlt) kann ich Dir versichern, dass es jedem so geht. „Mal eben 20 Patente lesen" ist, wenn man es ernst nimmt, eine Wochenaufgabe.
 
Kenneth

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Auch nach mehr als 30 Jahre Berufserfahrung im Patentwesen habe ich mich nicht die Mühe gegeben, die Patente der Gebrüder Wright anzuschauen.

Es ist aber eine interessante, und auch richtige Beobachtung, die Du gemacht hast: Nicht nur fällt ein Querruder unter dem Schutzumfang des unabhängigen Anspruchs 1, es ist auch vollumfänglich von der Beschreibung gestützt.

Patentsprache, vor allem wenn es um die Formulierung - und sehr wohl auch um die Auslegung - der Ansprüche geht, ist eine faszinierende Kunst, wo jedes Wort, sogar ein Komma, eine enorme Bedeutung haben kann.
 
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Nachdem ich mich durch das Flugmaschinen-Patent gekämpft habe, kann ich mir schon vorstellen, warum die so wenig Leser gefunden haben!
Die „Sprache“ hat sich seitdem wenig verändert*. Ich kenne das ganze Verfahren zwischen Curtiss und Wright, und auch die damalige Rechtssprechung und Verfahren vor dem USPTO, sowie die Vorgehensweise der Anwälte damals nicht, aber heutzutage bestünde mit dem gleichem Wortlaut kein Zweifel, dass ein Querruder unter dem Wortlaut des Anspruchs 1 fällt.

* Wenn, dann ist sie bei US-Anmeldungen eher schwammiger und unpräziser geworden, bedingt durch US-Rechtssprechung und den Wissenstand von US-Gerichten, die Verletzungsverfahren behandeln (EDIT)
 
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* Es könnte sein, daß eine vor dem Schwerpunkt liegende bewegliche Flosse zum Ausgleich des Gierwinkel ebenso gemeint ist wie eine hinter dem Schwerpunkt liegende Seitenflosse. Die Jungs haben an alles gedacht.
Als ebenfalls Patenteinhaber und beruflicher Patenprüfer, kann ich sagen es ist schon richtig dieses so allg. zu formulieren, damit das Patent möglichst allumfassend wirkt.
Die Kunst besteht in der allumfassenden Formulierung ohne bereits bestehende Patente zu verletzen.
 
HoHun

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Moin!

Danke für Eure professionelle Einordnung! :-) Die Wrights hatte auch professionelle Hilfe (anscheinend ist die erste Fassung ihres Patentes, das sie selbst verfaßt hatten, abgelehnt worden), aber ich denke, die Beurteilung von technischen Optionen ist sicher inhaltlich direkt auf sie zurückzuführen.

Alexander Graham Bell, selbst ein berühmter Erfinder (Telefon! :-), soll mal gesagt haben, "Es ist erstaunlich, daß den Patenten der Wrights nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, denn sie sind wirklich bemerkenswert." (Das war während er gemeinsam mit Curtiss und Harring versucht hat, die Wright-Patente zu umgehen.)
Ich habe mir gerade auch mal ein "Flugmaschinen"-Patent von Bell angesehen ... er war ein alter Fuchs! :-) Er hat ein einzelnes Querruder patentiert (wo die Wrights von paarigen Quersteuern ausgegangen waren), das im rechten Winkel zur Tragfläche über oder unter dem Schwerpunkt der Maschine angeordnet ist. (Bei den Wrights lag es in der selben Ebene wie die Tragfläche).


Im Patentstreit zwischen Curtiss und den Wrights (die ihn gewarnt hatten, sein Apparat entspräche gegen Anspruch 14 aus dem obigen Patent, so daß er Lizenzgebühren zahlen möge) ist wohl auch das von Curtiss verwendete Querruder zur Sprache gekommen, aber soweit ich weiß, hatte er das nicht entsprechend Bells Patent ausgeführt. Sein Punkt war wohl, daß das Querruder bereits vor dem Wright-Patent bekannt war, aber wenn ich es richtig verstehe, hat er den Prozess verloren. (Da die Wrights ziemlich viel prozessiert haben, habe ich da im Moment nicht ganz den Überblick.) In den USA waren sie sehr erfolgreich, im Ausland dagegen nicht immer ... in Deutschland wurde wohl einmal geurteilt, die Wrights hätten in einem vor der Patentierung gehaltenen Vortrag Teile ihrer Erfindung bereits veröffentlicht, was das Patent (evtl. nur in Teilen) unwirksam mache.

Tschüs!

Henning (HoHun)
 
Kenneth

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Die Wrights hatte auch professionelle Hilfe
Der Anwalt ist hier erkenntlich. Man bemerke auch die schöne Zeichnungen. Vor allem in älteren Patentschriften sind die Zeichnungen reine Kunstwerke, im Gegensatz zu vielen (oft mit Fehlern behafteten) CAD-Zeichungen, die man heute sieht.



Nicht relevant in diesem Fall, aber vielleicht dennoch interessant:

Bis 2013 galt in den USA „first to invent“ anstatt „first to file“. Erstes hat zu endlosen Gerichtsverhandlungen geführt, und Zweites ist indiskutabel.
 
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adama

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Die Wright sprchen von einem Flügel und Randbereichen des Flügels. Sie sprechen von einem Bauteil das variable Bereiche hat. Das Querruder ist ein gesondertes Bauteil, kein Randbereich des Flügels und fällt somit nicht unter das Patent. Die Wirkungsweise ist auch anders. Als Würde man ein Auto durch ein Gelenk, wie bei einen Gelenkbus lenken, nicht mit den Rädern. Die Wrigths haben ein genial einfaches Lenksystem, wie die Räder oder Ruder, einfach übersehen, und sich für ein ultrakompliziertes System entschieden, dessen Entwicklung rasch an seine Grenzen stößt. Außerdem basiert das Querruder auf einer schon bekannten und allgemein genutzten Erfindung, eben das Ruder, das bei Schiffen schon seit der Steinzeit, bei U-Booten, schon Jahrzehnte zuvor benutzt wurde, bei Lenkschiffen und Ballonen zumindest angedacht wurde. Diese Erfindung hätte jeder handwerklich begabte Idiot machen können, war naheliegend und ist darum nicht schutzfähig.
mfg
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