Eidner schrieb:
Schreib doch mal ein bisschen mehr.
Also habe ich kurzerhand eine - ansonsten etwas öde - Zugfahrt von Passau zurück nach Hamburg dafür genutzt, hier eine kleine Unterrichtsstunde in lateinamerikanischer Geschichte vorzubereiten.
Wer Geschichte nicht mag, darf gehen und schreibt dafür als Ausgleich bis morgen einen fünfseitigen Aufsatz zum Thema „Mein schlimmstes Urlaubserlebnis“.:-)
Wer mangels eigener, intimer Kenntnisse der Geographie dieser Region gerne ein paar Karten hinzuziehen möchte, kann dies unter
http://www.adonde.com/historia/1999_peru_ecuador.htm tun.
Vorgeschichte
Die territorialen Streitigkeiten zwischen Peru und Ecuador reichen sehr weit zurück. Ich werde mich daher auf jene Zeit und Vorgänge beschränken, die auch heute noch für die juristischen Argumentationen in dieser Sache von Relevanz sind.
Bevor die Inkas in die Gebiete des heutigen Perus und Ecuadors vorstießen, und diese unterwarfen, dominierte die auf peruanischem Gebiet entstandene sog. Andine Hochkultur diese Region. Unter den Inkas wurden die beiden Regionen zu Vize-Königkreichen, Quito (~Ecuador) und Cuzco (~Peru). Kurz vor seinem eigenen Untergang - in den Wirren des Inka-Reiches und geplagt von Seuchen - eroberte das Vizekönigreich Cuzco das Vizekönigreich Quito.
Anfang der 30er Jahre des 16. Jahrhunderts drangen spanische Eroberer in die Nordost-Ecke Südamerikas vor und begann mit der Unterwerfung der Region unter die spanische Krone. Die unterschiedlichen Eroberer drangen dabei – was durchaus fallrelevant ist – von unterschiedlichen Punkten aus ins Landesinnere vor. Pizarro war mit seinen knapp 200 Mann nach seiner Landung bei Cajamarca am 15.11.1532 binnen genau eines Jahres bis nach Cuzco vorgestoßen. Pizarro führte seine Eroberungen fort und errichtete dort das Vizekönigreich Peru, dessen Hauptstadt Lima er 1535 gründete. Etwa zur gleichen Zeit war S. de Benalcázar damit begonnen, die Region des heutigen Ecuador zu erobern und als „Audiencia de Quito“ zu verwalten.
Die Expeditionen der Folgezeit stießen damit aus verschiedenen Regionen in die gleiche Zone (rund um den Amazonas) vor, dabei kam es unbewusst zu zahllosen territorialen Überschneidungen. Was schon damals dazu führte, dass unklar war, wer nun welches Gebiet erobert und damit seinem Hoheitsgebiet unterworfen hatte. 1563 organisierten die von der spanischen Krone beauftragten Jesuiten eine Konferenz, die alle Expeditionsberichte und zwischenzeitlich erstellten Karten auswerten sollte, und die Grenzen zwischen den einzelnen Gebieten festlegen sollte. Man kam unter anderem zu der Überzeugung, dass das Gebiet nord-westlich des Amazonas bis knapp westlich von Quito (heutige Provinz Maynas) rechtmäßiges Gebiet der „Audiencia de Quito“ sei. Da die „Audiencia de Quito“ zwischenzeitlich durch eine Verwaltungsreform ohnehin zum Vizekönigreich Peru gehörte, war diese Frage allerdings nach damaliger Sicher eher interner Natur.
Erst als 1739 das großflächige Königreich Peru (ganz span. Südamerika und Panama) in drei Vizekönigreiche zerteilt wurde, lebte der Streit um die Maynas-Region wieder auf. Die Gebiete des heutigen Venezuelas, Kolumbiens und Ecuadors wurden unter dem Namen Neu Grenada ein eigenes Vizekönigreich. Die Juristen und Historiker des Vizekönigs von Peru nervten von Stund an die spanische Krone mit dieser Sache und erreichten 1802 - als die ganze Aufmerksamkeit des Hofes auf die in Europa tobenden napoleonischen Kriege gerichtet waren - ein königliches Zertifikat, welches die umstrittene Provinz wieder Peru zuschlug. Nun protestierten die Juristen und Historiker Neu Grenadas, konnten allerdings aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Besetzung Spaniens durch französische Truppen und das Ruhen der spanischen Justiz während der Kriegsjahre erst 1819 vor Gericht ein Urteil zu ihren Gunsten erwirken. Solche Urteile vermochten zwar das Königshaus nicht zu binden, konnten das königliche Zertifikat von 1802 also nicht aufheben, entbanden Neu Grenada aber doch von seiner Pflicht, das Gebiet an Peru abtreten zu lassen. Der schöne Schein blieb gewahrt, die Probleme bestehen.
Da Spanien für seinen Befreiungskrieg gegen Frankreich fast alle Soldaten aus Südamerika abgezogen hatte und Frankreich den Unabhängigkeitskampf der Kolonien seiner Gegner unterstützte, begann 1810 in Südamerika die Sonne über dem spanischen Kolonialreich zu sinken. Ecuador war schon vorher, nach dem Sieg von A.J. de Sucre am Pichincha (24.5.1822) von der spanischen Herrschaft befreit worden. Da das Vizekönigreich Peru zu dieser Zeit noch fest zu Spanien stand, war man bei den Siegern schnell dabei, die Ansprüche Perus auf diese Provinz "für immer“ abzulehnen. Zwar hatte man nach dem Einzug des argentinischen General J. de San Martín in Lima 1821 die Unabhängigkeit Perus ausgerufen, aber diese wurde erst nach den Siegen von Bolívar bei Junín (6.8.1824) und A.J. de Sucre bei Ayacucho (9.12.1824) Realität. Ecuador war zunächst Bestandteil von Gran Colombia, Peru widersetzte sich seiner Integration in Gran Colombia. 1830 erklärten beide Länder im Übereinkommen von Virreynato (1829), dass die Aufteilung des Gebietes gemäß der Grenzen von 1810 erfolgen solle.
Nur war man sich in der Folgezeit nicht ganz einig, um nicht zu sagen heillos zerstritten, welche Grenzen denn 1810 gegolten hätten. Peru verwies auf das königliche Zertifikat von 1802, Ecuador darauf, dass die Grenzen von 1563 gelten, da die Folge des Zertifikates von 1802 niemals in Kraft getreten wäre. Sprich Theorie gegen Praxis. Letztendlich konnte sich Peru mit seiner Forderung, die Ecuador zu einem sehr kleinen Staat und kaum überlebensfähigen Staat gemacht hätte, nicht durchsetzen, insbesondere, weil es massive innenpolitische Probleme hatte und zwischenzeitlich von bolivianischen Truppen besetzt worden war, von denen es sich erst 1839 befreien konnte.
Bei dieser höchst unbefriedigenden Lage blieb es über die nächsten Jahrzehnte. Peru erzwang mit militärischen Mitteln immer wieder territoriale Zugeständnisse Ecuadors, die größten 1890. Anfang 1941 kam es dann zu zehntätigen kriegerischen Auseinandersetzungen, die dazu führten, das Peru knapp die Hälfte des umstrittenen Gebietes besetzte. Diese Aufteilung wurde im sog. Rio-Protokoll von 1942 festgeschrieben, welches durch vier Garantiemächte (USA, Brasilien, Chile und Argentinien) bestätigt wurde. Diese neue Grenzziehung hatte sich schon 1936 abgezeichnet, als klar wurde, dass diese Grenze den realen Macht- und Wirtschaftsverhältnissen dieser Region am besten entsprach. Im Rio-Protokoll war der genau Grenzverlauf aber nur in 2/3 des Gebietes genau festgelegt. die Festlegung im letzten Drittel überließ man einvernehmlich einer Vermessungs- und Bestimmungsmission der US Air Force, da das verfügbare Kartenmaterial in vielen Regionen einfach noch zu ungenau war.
Dieser Aufgabe stellte sich die USAF im Jahre 1947 und legte den genauen Grenzverlauf auf etwa 1.600 km mittels Grenzpfählen fest, lediglich einen Streifen von 78 km entlang der Condor-Kordilleren blieb ausgespart. Für dieses Gebiet waren die Condor-Kordillieren als Grenze festgelegt worden, da man glaubte, dass diese die Wasserscheide zwischen den Flüssen Santiago und Zamora darstellten. Unglücklicherweise entdeckte die USAF genau dort einen weiteren Fluss, den Cenepa. Neuer Streit entbrannte nun um das weitere Vorgehen, der eingesetzte brasilianische Schlichter Braz Dias de Aguiar schlug den Fluss Peru zu und beließ die Grenze wie ursprünglich geplant entlang der Condor-Kordilleren.
Da man schon zu dieser Zeit in diese Region größere Vorkommen an Gold, Öl und Uran vermutete, ging es nicht nur um Land, sondern um beachtliche Rohstoffvorkommen, deren Ausbeutung für die Wirtschaft beider Länder von großer Bedeutung sein könnte. Ecuador, durch die zahlreichen Landnahmen Perus ohnehin schon das kleinste, aber am dichtesten bevölkerte Land der Andenregion, war nicht bereit, weitere Zugeständnisse zu machen und kündigte in den Folgejahren immer mal wieder das Rio-Protokoll vollständig auf, zu meist mit der Begründung, dass die eigene Regierung damals unter massiven militärischem Druck gestanden habe, da der peruanische Truppenabzug bis zur Unterzeichnung nicht vollständig abgeschlossen war. Peru, neben Kolumbien eine der Primärmächte in dieser Region, sah dieses Land schon immer als sein eigenes an und betrachtete seine Politik der kleinen Schritte als legitime Befreiung eigenen Gebietes.
Unter der Vermittlung des brasilianischen Schlichters stritt man sich bis 1995 (Anfang bis Mitte der 80er Jahre teilweise auch mit militärischen Mitteln – sog. Protokoll-Kriege) um den genauen Verlauf dieses vergleichsweise kleinen Grenzabschnittes. Ein weiterer, damit verbundener Streitpunkt zwischen den beiden Ländern, war der freie und ungehinderten (=souveränen) Zugang zum Amazonas.
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