Insbesondere im Vergleich mit China, der beeindruckendsten wirtschaftlichen Erfolgsstory der vergangenen Jahrzehnte, weist die Republik Indien zwei entscheidende Standortvorteile auf. Zum einen ist das Land seit der Unabhängigkeitserklärung 1947 eine stabile
Demokratie. Die Regierungen in der Hauptstadt Neu-Delhi und in den Bundesstaaten und -territorien sind auf eine Weise in Wahlvolk und Gesellschaft verankert und legitimiert, von der das kommunistische Regime in Peking mit seinem Modell des autoritären Staatskapitalismus nur träumen kann. Zum anderen sprechen ungefähr 300 Millionen Inder
Englisch, Lingua franca der globalen Geschäftswelt.
Neben Deutschland und vielen weiteren EU-Ländern haben auch China, Japan und selbst die USA im Vergleich mit Indien ein demografisches Problem, dessen Dimensionen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch stetig an Dramatik gewinnen werden: die Alterung der Gesellschaft.
Die indische Gesellschaft dagegen ist außerordentlich jung. Das
Medianalter liegt bei etwa
26; rund 700 Millionen Inder sind also jeweils älter und jünger als Mitte 20.
Viele indische Konzerne spielen schon heute in der globalen Oberliga. Indien zählt mehr börsennotierte Unternehmen als jedes andere Land. Nach Angaben der World Federation of Exchanges (WFE), einem globalen Börsenverband, sind rund
5.000 Aktiengesellschaften an der Bombay Stock Exchange (BSE) in Mumbai notiert. Die New York Stock Exchange (NYSE) kommt laut WFE auf ungefähr 2.300 Unternehmen, die amerikanische Technologiebörse Nasdaq auf rund 3.000, die Deutsche Börse nur auf einige hundert.
Doch Corporate India zeichnet sich nicht nur durch Masse aus, sondern in vielen Branchen auch durch Klasse. Vor allem ein in Mumbai beheimatetes Konglomerat dominiert dabei aktuell die Schlagzeilen:
Reliance Industries (
RIL). Ursprünglich ein Öl- und Chemiegigant, hat RIL seit 2016 mit der neugegründeten Tochter
Jio den indischen Telekommunikationsmarkt auf den Kopf gestellt und es in nur drei Jahren zum Marktführer mit aktuell etwa 400 Millionen Smartphone- und Handy-Kunden geschafft.
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Die Liste indischer Bluechips ist indes lang. Die
Tata-Gruppe, ein weiteres Konglomerat aus Mumbai, ist ähnlich breit aufgestellt wie Reliance und sorgte schon vor Jahren mit Übernahmen britischer Unternehmen wie
Jaguar Land Rover (durch
Tata Motors) und Tetley-Tee (
Tata Global Beverages, heute
Tata Consumer Products) für Furore. Tata ist heute das größte Industrieunternehmen in Großbritannien. Die Stahltochter
Tata Steel hatte vor zwei Jahren ein deutsch-indisches Joint Venture mit ThyssenKrupp geplant, das wegen kartellrechtlicher Bedenken platzte.
Führende Banken wie
HDFC Bank (privat) oder
State Bank of India (mit dem Staat als Ankeraktionär) zählen inzwischen zu den Top-100 der Welt. Indische Pharmakonzerne wie
Sun,
Cipla oder
Glenmark sind im 21. Jahrhundert in vieler Hinsicht das, was ihre deutschen Vorläufer im 20. Jahrhundert waren: die Apotheke der Welt. Etwa eine Milliarde der in einem Jahr in den USA ausgestellten Rezepte entfallen heute auf Medikamente aus indischer Produktion. Indiens Pharmagiganten versorgen einen Großteil aller Schwellen- und Entwicklungsländer mit Medizin.
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Die wichtigste, zukunftsfähigste Branche von allen dürfte jedoch Indiens IT-Sektor sein. Um deren Dimensionen zu verstehen, ist ein Vergleich mit SAP hilfreich, dem zurzeit wertvollsten Dax-Unternehmen, das weltweit etwa 100.000 Fachkräfte beschäftigt. Indiens IT-Konzerne hingegen, obgleich ihren Namen nach in Europa weitgehend unbekannt, spielen schon rein zahlenmäßig in einer anderen Liga.
Tata Consultancy Services (TCS) hat einen Mitarbeiterstab von mehr als 400.000;
Infosys von gut 200.000;
Wipro von mehr als 160.000. Hinzu kommen
HCL Technologies (120.000),
Tech Mahindra (mehr als 100.000),
Cognizant (ein US-Unternehmen mit fast 200.000 Beschäftigten in Indien),
DXC Technology (gut 150.000) und viele weitere. In der Summe verfügt Indien über mehreren Millionen IT-Experten, vor allem in den Hightech-Zentren Bangalore, Hyderabad und Pune
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