... "durften" alle, die noch dabei waren bei der NVA, einen neuen Fahneneid schwören und mußten ab da nicht mehr ihr "Leben für die Erringung des Sieges einsetzen". Wie erinnert Ihr Euch an den Tag?
So habe ich die Frage von @MiG-21.de mal zum Anlass genommen um einiges weiteres zum Thema zu schreiben, denn eigentlich sind wir dort bereits beim Klassenkampf angekommen. Und der wiederum passt doch besser hierherein.
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Nein, es war mir (!) nicht verboten solche Gedanken zu haben, obwohl ich wusste, das meine Freiheiten die ich mir herausgenommen habe, ich meinen Eltern und Ihrer Stellung im Staat zu verdanken hatte. Ja auch das war die DDR, sicherlich nicht die ganze aber es mein Stückchen und das wollte ich behalten und mit Klauen und Zähnen verteidigen. .....
Ja, das war meine Einstellung mit der ich zu meiner ersten Vereidigung von dreien angetreten bin. Und ja in der Zeit dazwischen habe ich mich verändert hat sich das Land verändert, haben sich die Menschen um einen herum verändert. Aber jedesmal war ich bereit das was ich habe zu verteidigen und zwar mit Waffengewalt. Es mag für den einen oder anderen seltsam erscheinen, aber persönliche Veränderungen kommen nicht von alleine Sie benötigen Anstöße von aussen.
Erstaunlicherweise finden sich in meinem Tagebuch zu keiner der Vereidigungen irgendwelche Texthinweise, klar es gibt zumindest von der ersten und der dritten Bilder. Wobei ich insbesonders auf die vom Kamenzer Marktplatz sehr stolz bin, ich sehe da irgendwie richtig gut und jung aus ;) So mit Stiefelhose und blankgeputzen Stiefeln, das Idealbild eines Soldaten, so wie ich es mir vorstellte und wie ich es immer haben wollte. Dies war mein Streben und gleichzeitig war es auch der Grund warum ich zu den anderen angetreten bin. Irgendwie verwundert es mich das ich zu den jeweiligen Vereidigungen nichts geschreiben habe, aber anderseit ist es angesichts meiner damaligen Logik auch wieder erklärlich. Der Fahneneid war für eine militärische Notwendigkeit ebenso wie Stiefel putzen oder Waffen reinigen. Nicht das es nichts wichtiges war, aber es war auch nicht so ungewöhnlich das ich es extra erwähnen musste. Es war einfach Bestandteil meines Lebens und Bestandteil meines Weges zum Ziel.
04.07.88
Habe seit Freitag Urlaub. Gestern haben die Gringos im Persichen Golf einen iranischen Airbus abgeschossen. 300 Tote soll es etwa gegeben haben. Die Gringos gehaupten es ist aus Versehen passiert. Sie sollen die A300 für eine F-14 des Irans gehalten haben. Na ja aus Versehen gibt es jetzt 300 Tote mehr in diesem scheiß Golfkrieg. Als ob es nicht schon genug gegeben hätte und sicherlich noch geben wird (Anm: dazu muss ich anmerken das ich die jeweiligen Verlustzahlen an Luftfahrzeugen etc. die der DDR-Presse zu entnehmen waren immer schön in eine Tabelle eingetragen haben und geradezu alles zu diesem Krieg aufgezogen habe). Und heute ist den USA Nationalfeiertag. Da werden sicherlich einige terroristisch veranlagte Chaoten ein tolles Feuerwerk entfachen. Hoffentlich sprengen die bei der Gelegenheit zwar Washington D.C aber nicht gleich den Globus in die Luft. Jetzt ist meiner Meinug nach der Konflikt in eine andere Phase nämlich in die nächst höhrere eingetreten. Die US Navy dort unten wird jetzt sicherlich mächtig Zunder von den Iraner bekommen. Mir geht es sehr gut.
Das ist der gesamte Tageseintrag. Aus heutiger Sicht kommt mir das sehr "krank" vor. Nein, aber das war meine damalige Einstellung, und ich meinte eben das ich meine Welt, mein ganz privates Leben oder auch Glück verteidigen müsste. Notfalls eben alleine.
Aber es ist ja Gott sei Dank nicht dazu gekommen. Denn eines ist mir seit längerem klar ich hätte damals ohne Zögern geschossen, den Knopf gedrückt, was auch immer befohlen wurden wäre.
Da fällt mir quasi blitzartig eine Szene aus dem "Politunterricht" in Kamenz wieder ein, da würde nämlich auch die Frage aufgewofen "Was wäre wenn den Onkel im Schützengraben gegenüber liegt ?" Ich habe da wohl einfach geantwortet "Ich habe keinen Onkel im Westen". Obwohl das schon gelogen war, wenn auch keinen Onkel (aber so war eben die deutsch-deutsche Realität) Hat mich das qualifiziert zum besseren Soldaten ? Damals wahrscheinlich ja, auch wenn ich eben nur ein besserer Soldat gewesen wäre. Heute lege ich mittlerweile Wert darauf auch ein besserer Mensch zu sein, nicht bloß ein Werkzeug, eine funktionstüchtige Maschine.
Naja und so geht es weiter und weiter in den nächsten Tagen und Monaten, sicherlich wird wenig über das Erlernen des militärischen Handwerkes geschrieben (geheimhalten eben !) aber im Tenor.
Dann kamen die turbulente Zeit der Wende, wochenlang kein Eintrag, irgenwie ging mir das wohl alles zu schnell. Es bewegte sich alles so schnell, das ich es nicht schaffte es festzuhalten und meine Gedanken zu ordnen. Es gelang mir erst wieder am
06.12.1989
.... In der "DDR" hat sich seit dem 40. Jahrestag der Gründung einiges getan. Der Staat und die Parteien sind in Ihrem Grundfesten erschüttert. Honi und all die anderen sind politische Leichen und die SED ist die Mafia der "DDR". Ein Haufen unabhängiger Gruppen und Bürgerintiativen haben sich gebildet und Modrow der jetzt Reg-Chef ist, ist krampfhaft bemüht das sich wild drehende Steuer wieder fest in die Hand zu bekommen.
Die Reisefreiheit für alle "DDR"-Bürger ist da und fast alle waren schon im Westen. Ich noch nicht denn ich weiß nicht was ich dort soll in der BRD. Dieser Staat ist nicht mein Staat und überhaupt ist dort auch ein Haufen Scheiße genausso wie bei uns.
Aber es ist wohl besser sich für die innenpolitischen Ergenisse sich später eines der neuen Gesichtsbücher zugreifen. ... Und was das schärfste ist in der BRD hat die RAF wieder mal zugeschlagen. Der Chef der Deutschen Bank Herrhausen wurde in die Luft gesprengt ! ... "
Es ist schon erstaunlich das ich DDR in Anführungszeichen setze und BRD nicht. Der Beginn eines Denkprozeßes (und angeischts des Nachsatzes wirklich erst der Beginn), wenn auch reichlich spät (aber man möge mir mein damaliges jugendliche Alter nachsehen). Es war der Anfang eines Weges und zu diesem Zeitpunkt war noch nicht sicher wo er enden würde und ich wußte natürlich nicht wo dieser für mich persönlich enden würde.
13.12.1989
Heute stehe ich schon zum zweiten Mal in dieser Woche Wache. Ich meines daß das gar nicht so schlimm ist. Denn es macht verhältnismäßig viel Spaß. Und ich habe ich Zeit. Es gibt viele wichtige Fragen zu klären. .... Was mache ich hier eigentlich ? Warum muss ich mitten in der Nacht in Kreis laufen ? Weil ich es will oder weil ich es muss ? Ich weiß es nicht. Noch nicht ! Ich ich weiß aber das es sinnvoll ist (hoffentlich) das ich genau jetzt da bin wo ich bin und das tue was ich tue. .... Irgendeiner (ein indischer Philosoph ?) hat mal gesagt ein jeder muss das tun was notwenig ist und zwar an seinem Platz und in seiner Zeit. ... Ob die Zeit richtig ist ? .... Gestern habe ich etwas über den KJV und RAJV gelesen. Klingt eigentlich ganz vernüftig, vielversprechend was die wollen. Ich denke ich werde damal erkundigen was die genau und vorallem wie ereichen wollen. .... Irgendwie muss dieses ganze Durcheinander doch beenden zu sein. ..."
Es ist eben gefährlich wenn man zu viel Zeit hat und dann nachdenken kann.
16.12.1989
"Ich habe immer noch Wache oder besser schon wieder. Mir geht geht es gut, bin aber pleite. .... Heute (eigentlich schon gestern) ist ein Brief gekommen vom guten alten R... es geht Ihm wohl gut und er hat einen Job in Schweinfurt gefunden. Habe mit P. darüber gesprochen, er war ja dabei als er damals aus dem Zimmer vom KC kam und hat ihm nach dem Packen rübergebracht. Es sei um die Menschen gegangen und deshalb wollte er nicht dabei sein. Ja klar geht es um Menschen, um was denn sonst in dem Beruf. Dafür sind wir doch da, um Menschen zu kämpfen, nein um Menschen zu verteidigen. Aber welche die das ganze Lande in die Scheiße geritten haben, um die die Situation ausgenutzt haben oder um die die zugeschaut haben ? Ich weiß es jetzt auch nicht mehr so genau. Ich kriege schon bei Schreiben Kopfschmerzen. .... Mir fällt Mü.. wieder ein, damals als Sie irgendwas in seinem Spind gefunden haben. Er meinte auch "die Menschen seinen Ihm wichtiger". ich glaube zu verstehen was er damals meinte. Wie magt es Mü.... heute gehen. Er war ein guter Mensch, er war mein Freund, aber er wäre ein schlechter Soldat geworden. Irgendwie doof jezt alles. ..."
Schon komisch wie sehr das eigene Leben und die eigenen Handlungen (von denen man immer meint diese wären selbstbestimmt) von anderen bestimmt werden. Da muss ich etwas ausholen R. hat sich im Herbst 89 geweigert, Polizeitaktiken zu erlernen, damals wurden in Kamenz Einsatzhundertschaften gebildet und sollten gegen die Demonstrationen eingesetzt werden. Dazu ist es aber dankenswerterweise nicht gekommen. Heute bin ich stolz ihn immer noch einen Freund nennen zu dürfen. Er hat damals den weiteren Dienst verweigert und wurde deshalb recht kurzfristig entlassen. Ja und Mü..., keine Ahnung was aus Ihn geworden ist, aber die Bibel die er mir geschenkt hat die habe ich immer noch.
Seltsame Wege das Leben schreibt, und gleichsam bemerkenswert welche Leute dieses Leben geschrieben haben.
weiter im Teil 2 ;)