Hallo Eidner,
ich habe lange gewühlt, weil ich Dir gemäß Deiner Anforderung wirklich nur gute, belastbare Zahlen präsentieren wollte, aber leider muss ich sagen, es ist alles nur immer „pie-mal-dicker-Daumen“. Die Problematik ist exponentiell komplizierter und unsicherer, als wir es für große Schlachten und sonstige Einzelereignisse (z.B. Stalingrad, Dresden, Normandie, Hamburg, Tokio, Nanking, etc..) schon haben.
Was relativ(!) zuverlässig zu erfassen ist, sind die Zahlen der getöteten Soldaten. Aber auch hier ergeben sich statistische Probleme. Die USA z.B. zählen die Soldaten, die während der Ausbildung oder auf US Boden gestorben sind (z.B. nach Hause zurückgekehrte Verwundete) nicht in die offizielle Verlustliste ein, die Russen dafür nicht die in Kriegsgefangenschaft gestorbenen. Die tauchen dann irgendwo in den Zivilverlusten wieder auf und gleichzeitig als Vermiste, wenn sie aus Kriegsgefangenschaft nicht zurückgekehrt sind, also Doppel-Zählung. Es gibt noch viele weitere Probleme und je nachdem, wer welche Statistik in letzter Zeit neu überarbeitet hat, kommen für die Armeen immer wieder andere Zahlen heraus.
Noch viel schlimmer ist es bei den Zivilisten. Totales Chaos (s. Dresden oder Nanking). Wenn man einen weiten Ansatz vertritt, zählen nicht nur z.B. alle Hungertoten dazu, sondern auch noch diejenigen, die unter normalen Umständen dank medizinischer Behandlung nicht gestorben wären, aber wie will man das wirklich einschätzen. Es gibt halt eine natürliche Sterblichkeit, nicht alle Toten sind auf den Krieg zurückzuführen. Offen sind dann noch die Fragen der Fehlgeburten, der Dellen in den Geburtenraten der einzelnen Länder und und und. Es ist ein statistischer Albtraum. Die Fluchtbewegungen vor den Fronten haben auch jede nachträgliche Einschätzung (vor dem Krieg lebten hier X, heute leben hier Y) unmöglich. Die Zahlen kann man nicht mal auf Landesebene erheben, da viele in andere Länder geflohen sind und die Zahlengrundlagen damals schon recht schlecht waren. In einigen Regionen waren etliche der vermeintlichen Kriegstoten nicht selten Opfer der eigenen Regierung (z.B. bei Stalin). Die wurden einfach in die Kriegstoten eingerechnet und keiner stellte lästige Fragen. Ein weiteres Problem sind die Festlegungen, bis zu welchem Zeitpunkt nach jemanden noch als Kriegsopfer zählen soll. Dies betrifft Verwundete, die durch ihre Wunden zwar erst nach Kriegsende, aber eben viel früher als üblich gestorben sind, es betrifft die Kriegsgefangenen, die teilweise erst in der Nachkriegszeit in Kriegsgefangenenlagern starben, es betrifft lokale Pogrome und Massaker an den sog. Kollaborateuren (und in deren Schatten auch schon mal gegen unliebsame Nachbarn und Konkurrenten).
Wenn man dann noch Afrika und Asien mit einbezieht, dann ist man völlig verloren. Opferzahlen wurden von allen Seiten auch als politische Waffe eingesetzt. Alle arbeiten hier mit dem ganz dicken Daumen und zu glauben, dass diese Zahlen sich noch irgendwie aus irgendwelchen Geheimarchiven ermitteln lassen könnten, ist auch naiv.
Kurz, wir werden es niemals mehr auch nur annähernd genau wissen. Es gibt viele Zahlen, aber keine genauen und die Zahlen werden nur anders, aber nicht wirklich besser. Manchmal gelingt es Einzelereignisse wirklich besser zu beurteilen, aber dann kommt schnell die Versuchung auf, diese neuen Ergebnisse auch auf andere Einzelereignisse hochzurechnen und dann ganz neue Zahlen zu machen. Das ist einfach unseriös. Rein von der statistischen Population her sind in etwa diesem Zeitrahmen im europäischen Raum alles in allem etwa 30-40 Millionen Menschenleben verloren gegangen. Für Asien (insbesondere CBI) liegen keine belastbaren Zahlen vor.
Unbefriedigend, aber das ist in Geschichte oft so. Man lebt einfach mit gewissen Hausnummern und weiß um deren Wackeligkeit. Je nach inhaltlicher Tendenz sortiert man sich dann eher oben oder unten in den Rahmen ein.