Da die Literatursuche nur mühsam vorankommt, spinne ich mal den Faden von Post #26 weiter.
Der Flügel steht also mit dem ungewöhnlichen Anstellwinkel von 90° in der Strömung. Vorderseitig haben wir den Staudruck mit der verlangsamten Strömung, im Lee dagegen das Druckdefizit.
Der Staupunkt befindet sich mittig an der Vorderseite, die obere und die untere Kante werden symmetrisch umströmt. Die Umströmung der Kanten geschieht in engem Radius, so daß an beiden Kanten Wirbel abreißen. Oben Rechtswirbel, unten Linkswirbel z.b. (Kárman lassen wir jetzt aber beiseite...)
Nun kippen wir den Flügel zu immer flacheren Anstellwinkeln, sagen wir bis zu 35°. Dadurch werden die Vorder- und Rückseite jetzt zunehmend auch zur Ober- und Unterseite. Dabei beachten wir, daß wir weiterhin den erhöhten Druck vor (und unter) dem Flügel und den Unterdruck hinter (und über) dem Flügel haben.
Erster Effekt: Die Umströmung der Kanten verläuft nicht mehr symmetrisch. Das Unterdruckgebiet auf der Rückseite des Flügels kann sich einfacher mit „Frischluft“ von vorn versorgen. Dabei wird Luft aus dem Überdruck- in das Unterdruckgebiet gesaugt, um die vordere Kante herum. Entsprechend wandert der Staupunkt aus der Mitte des Flügels heraus in Richtung der Vorderkante. Die Strömung, die um die Vorderkante herum zur Rückseite verläuft, ist durch das Druckgefälle beschleunigt.
Zweiter Effekt: An der Hinterkante können wir ebenfalls den Versuch einer Umströmung feststellen, aber die Bedingungen dort sind schlechter geworden. Während der Umschlingungswinkel der Strömung an der Vorderkante vielleicht nur noch 90° beträgt, müßte die Strömung an der Hinterkante im Mittel vielleicht 135° „um die Ecke“! Während die Strömung an der Vorderkante, wenn auch noch nicht perfekt, so doch zunehmend glatter verläuft, reißen an der Hinterkante nach wie vor Wirbel ab.
Jetzt flachen wir den Anstellwinkel noch weiter ab, sagen wir, auf 10°. Dabei geschieht etwas absolut entscheidendes. Die Umströmung der Vorderkante verläuft plötzlich laminar, ohne Abriß von Wirbeln. Das bedeutet, die Strömung folgt der Oberseite jetzt glatt, bis ganz zur Hinterkante.
Gleichzeitig reißt an der Hinterkante ein letztes mal ein Wirbel ab. Der letzte Wirbel. (...seiner wurde schon immer ehrenvoll gedacht, er bekam zuerst einen eigenen Namen verliehen, später wurden ihm Verdienste angedichtet, die ihm nicht zukommen.)
Zu viel Text? Na gut, hier noch mal der letzte Stand in Kurzfassung:
Vorderkante: Umströmung von unten nach oben, ins Druckgefälle hinein.
Rück- oder Oberseite: beschleunigte Strömung, ebenfalls ins Druckgefälle hinein.
Vorder- oder Unterseite: verlangsamte Strömung, hier ist immer noch Stauwirkung und der Rest des alten Druckbergs vorhanden.
Hinterkante: glatter, geordneter Abstrom der Luft. Keine Umströmung der Hinterkante, deshalb stetige Strömung, in Verlängerung des Anstellwinkels schräg nach unten gerichtet.
Damit ist es gelungen, Luft massenhaft und stetig quer zur Strömungsrichtung nach unten abzulenken, was dazu führt, daß die dazu nötige Gegenkraft sich in höchst erwünschter Weise als Auftrieb bemerkbar macht.
Pause!
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Wir haben jetzt, in einer einheitlichen Modellvorstellung, gleichzeitig die Druck- und Geschwindigkeitsunterschiede in der Strömung, die Zirkulation, und letztlich auch den Auftrieb erklärt. Und das physikalisch sauber und widerspruchsfrei. Und nichts hindert uns gedanklich daran, vollends zum Wirbelsystem der dreidimensionalen Betrachtung überzugehen.