Nun zum Grundgesetz mit den Paragraphen zum Einsatz der Schusswaffe:
Warum ist es nicht angebracht, sich blind an den Paragraphen zu orientieren? Weil sie zwar im GG aufgeführt und abgedruckt waren, die Praxis (siehe oben) etwas ganz anderes lehrte. Nimmt man nur das GG her, belastet man damit den Soldaten, den Befehlsempfänger in letzten Glied: Er hätte ja lt. §26 gar nicht schießen müssen!
Eine Frage. Mit GG meinst Du Grundgesetz. Ein Grundgesetz hat die Bundesrepublik. Und dieses Grundgesetz besteht aus Artikeln. Die DDR hatte eine Verfassung. Und auch die bestand aus Artikeln, nicht aus Paragraphen.
Wenn Du vom Grundgesetz Artikel 26 sprichst dann lautet der Text :
(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.
(2) Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Der Geltungsbereich dieses Artikels wurde von Ost und West aber unterschiedlich ausgelegt. Nach Lesart West galt er für alle Deutschen. Nach Lesart Ost nur für die Leute in der BRD.
Könnte es sein, dass Du da die einzelnen Gesetze und Verfassungen etwas durcheinander bringst?
Zu Deiner Beschreibung des Ablaufs des Schusswaffeneinsatzes an der Grenze möchte ich anmerken, dass sich die Befehle zum Einsatz der Waffe nicht wesentlich vom normalen Wachbefehl unterschieden haben.
Auch für den normalen Wachposten eines NVA Objektes galt es
1. Den Eindringling anzurufen und sich dabei erkennen zu geben, also "Halt stehenbleiben. Wachposten."
Blieb der Angerufene stehen kam keiner zu Schaden.
2. Rannte der Angerufene weg, so hatte der Wachposten die Waffe zu entsichern, durchzuladen, zu sichern und zu schauen was der Eindringling macht. (Grund hierfür war der Fakt, dass das Durchladen der Waffe genügend Krach machte um eventuell einen Sinneswandel herbeizuführen)
Blieb der Eindringling stehen kam keiner zu schaden.
3. Rannte der Eindringling weiter wurde die Waffe entsichert und auf Einzelfeuer gestellt. Dann ein Warnschuss in die Luft abgegeben und die Waffe wieder gesichert. Wenn möglich sollte die ausgeworfene Patrone aufgehoben werden um zu beweisen, dass man sich nicht eine scharfe Patrone unter den Nagel gerissen hat. (Hirnrissige Idee eines Bürohengstes, vor allem bei Nacht nahezu undurchführbar.)
Blieb der Eindringling stehen kam keiner zu Schaden.
4. Rannte der Eindringling weiter, dann wurde die Waffe wieder entsichert und auf Einzelfeuer gestellt. Dann sollte gezielt auf die Beine geschossen werden.
Und wenn es soweit war, dann kam jemand zu Schaden.
Und nur wenn dieser Ablauf auch so eingehalten wurde, dann war der Schütze straffrei gestellt.
Ich kann mich noch gut an die Belehrungen vor meiner ersten Wachschicht in Prora erinnern, wo explizit darauf hingewiesen wurde, dass auf keinen Fall Dauerfeuer geschossen werden durfte und dass es wichtig ist die richtige Visiereinstellung an der Waffe vorzunehmen.
Hintergrund für den zweiten Satzteil ist die Schießregel bei der Kaschi, dass in angespannten Gefechtssituationen das Visier auf die Nachtstellung (entspricht Visier 3, also Kampfdistanz 300 Meter) zu stellen ist und Zielaufsitzend geschossen werden muss.
In der Praxis sah das so aus, dass Du, wenn Du auf kurze Distanz, sagen wir 20 - 50 Meter, versucht hast einem Ziel in die Beine zu schießen, du ihm die Geschosse in den Bauch oder die Brust gejagt hast. Bei Zielpunkt Zielmitte ging der Schuss über den Kopf hinweg ins Blaue.
Viele Wachposten (auch Grenzer) haben diese Regel missachtet. Oftmals haben sie davon auch gar nichts gewußt. Und so ist die oftmals gehörte Aussage man habe nur auf die Beine schießen wollen keine Lüge sondern glaubhaft. Blöd gelaufen, aber Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.
Blöd war die ganze Situation als Wachposten auf alle Fälle. Zumal einige ganz scharfe Vorgesetzte androhten bei der Verweigerung des Schusswaffeneinsatzes den Wachposten (Grenzer) wegen Befehlsverweigerung in den Armeeknast nach Schwedt zu schicken. Und da wollte nun wirklich keiner hin. Das war eine Scheißsituation.
Ergo, wenn Du auf Wache stands, egal ob Grenze oder nicht, dann hattest Du die maximale Arschkarte. Egal was Du machst, es konnte verdammt blöd ausgehen. Deshalb hat, zumindest in meinem Umfeld, jeder das Gebet des Wachposten aufgesagt: "Hoffentlich passiert nichts. Und wenn was passiert, dann bitte nicht dort wo ich stehe!"