Restart: 4. Oktober 1990

Diskutiere Restart: 4. Oktober 1990 im NVA-LSK Forum im Bereich Einsatz bei; Ist vielleicht etwas OT, aber ich (geboren in Brandenburg, aufgewachsen in Sachsen) leistete im Jahre 2002 (!) meinen Grundwehrdienst in der...
umbrellatown

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Eine Frage zur Besoldung ab dem 04.10.1990 bei der Bundeswehr: gab es dann Für alle 100%, oder gab es da Unterschiede.
(Hintergrund: Ich selbst habe am 04.11.1991 bei einer anderen Bundesbehörde angefangen und da gab es in den neuen BL keine 100%.)

Gruss
Uwe
Ist vielleicht etwas OT, aber ich (geboren in Brandenburg, aufgewachsen in Sachsen) leistete im Jahre 2002 (!) meinen Grundwehrdienst in der Markgrafenkaserne in Bayreuth. Wir waren zur Wende allesamt kaum 5 Jahre alt, haben in Bayreuth alle die gleiche Ausbildung durchlaufen, alle die gleichen Aufgaben gemacht, sind alle die gleichen Kilometer marschiert und bekamen alle das gleiche schlechte Essen. Als am Monatsende der Sold ausbezahlt wurde, hatten die Ostler bedeutend weniger als die Westler. Damals haben wir gelacht, wir hatten dafür die schöneren Mädchen. Heute kann ich eigentlich nur noch mit dem Kopf schütteln.
 
Veith

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Kannte ich nur von den brandenburgischen Lehrern, denen Frau Brithler, zusätzlich einen Abschlag "gönnte".

Konkret bekam ich im Februar 1989 als lediger Oberleutnant 1.644,97 Mark ausgezahlt (d.h. netto), vgl.: Besoldung

Ab Juli 1990 kamen nochmals 200,- DM dazu, allerdings "brutto". Wir nannten diesen Betrag "ÖTV-Zuschlag". Von diesen rd. 1.800 knapp 1.700 DM (da ohne Verpflegungsgeld) netto berechnete sich dann ab Oktober 1990 mein Arbeitslosengeld (was dadurch vergleichsweise richtig gut war, kann nicht meckern).
 
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n/a

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Kannte ich nur von den brandenburgischen Lehrern, denen Frau Brithler, zusätzlich einen Abschlag "gönnte".

Konkret bekam ich im Februar 1989 als lediger Oberleutnant 1.644,97 Mark ausgezahlt (d.h. netto), vgl.: Besoldung

Ab Juli 1990 kamen nochmals 200,- DM dazu, allerdings "brutto". Wir nannten diesen Betrag "ÖTV-Zuschlag". Von diesen rd. 1.800 knapp 1.700 DM (da ohne Verpflegungsgeld) netto berechnete sich dann ab Oktober 1990 mein Arbeitslosengeld (was dadurch vergleichsweise richtig gut war, kann nicht meckern).
Naja dann hast du ja mehr Arbeitslosengeld Ost bekommen als ich aktiver Soldat mit einem Kind im Osten. Meine Besoldung war Brutto gemeint. Das Offiziere mehr bekamen ist mir bekannt.
 
Veith

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Naja dann hast du ja mehr Arbeitslosengeld Ost bekommen als ich aktiver Soldat mit einem Kind im Osten.
Die Aussage zwang mich mal nachzuschauen. Und tatsächlich: Der in meiner Erinnerung "legendäre" ÖTV-Zuschlag diente offenbar lediglich dazu, unser Brutto hochzuschleusen, damit es Netto kaum Einbußen gab (ohne Berücksichtigung des im Juli 1990 "abgeschafften" Verpflegungsgelds). Jedefalls bekam ich an Gehalt am 15.06.1990 noch 1.572,81 Mark und am 17.08.1990 nur 1.480,05 DM überwiesen.

Das ergab im Jahr 1991 im Durchschnitt 1.341,08 DM pro Monat vom Arbeitsamt. Fairerweise sollte ich noch erwähnen, daß dazu noch 17,50 Wohngeld und 1,25 DM Kapitaleinkünfte kamen :whistling:. Vorsorglich für die aus den gebrauchten Ländern: Meine Warmmiete betrug 1991 im Schnitt 112,58 DM pro Monat.
 
Veith

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Nun, man blättert nicht ungestraft in alten Unterlagen. Getreu dem Motto: Die "Kinder" müssen beschäftigt werden, gab es im JG-3 noch am 25./26.06.1990 ein "Führungskräftetraining" und 27./29.06.1990 eine KGA, die am 27.06.1990 abends mit einem Gefechtsalarm "eingeläutet" wurde.

Erläuterung: Eine "KGA" war eine Komplexe Gefechtsausbildung (auch GGA, wie Gemeinsam ...). Die praktische Besonderheit war, daß am Flugtag nicht von der Vorstartlinie, sondern aus der Dezentralisierung gehandelt (Flugdienst gemacht) wurde.
 

n/a

Guest
Und warum zitierst du mich? Hast du auch Fahrtkosten berechnet weil ich als Ossi in der WTD für den bösen Westler die SU 22 betreuen musste? Deine Berechnungen in allen Ehren....
 

n/a

Guest
Und ja du hast Kapitalerträge....dann bist du ja gut mit der DM klargekommen und hast alles richtig gemacht.
 

n/a

Guest
Also bitte nicht über den bösen ex. NVA Soldaten der nun in der BW ist mosern. Ich musste im Gegensatz zu dir mit dem Geld sogar noch als Pendler unterwegs sein und nicht am Heimatstandort versorgt werden.
 
Veith

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Und warum zitierst du mich?
Weil mich Deine Aussage nachdenklich machte, i.S. von: "stimmt meine Erinnerung auch?" Und siehe da, so ganz exakt war sie nicht mehr. Und ja, ich habe damals "alles", naja "fast alles", richtig gemacht :wink2: Und "gemosert" habe ich zum Thema schon lange nicht mehr.
 

bennyB

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Keine Ahnung, ob's jemanden interessiert, aber ich habe meine Erfahrungen von 1990 damals als frischen Eindruck aufgeschrieben und heute mal herausgekramt.
Ziemlich lang geworden und hier jetzt als Erstveröffentlichung …

Wenn's nicht passt, einfach löschen, bitte. Die Geschichte überbrückt die Zeit August/September 1990 und eben nicht explizit den 3./4. Oktober.


Ein Westler in der MiG

Flugplatzbasis Peenemünde, 20. August 1990, 14.30 Uhr, Hauptwache: Während ein junger Soldat mit umgehängter Kalaschnikow meine Papiere überprüft, schwebt eine MiG-23 zur Landung ein – der zurückkehrende Wetterflug, wie ich später erfahre. Das Autoradio spielt "Against all Odds" – "Gegen jede Chance" – von Phil Collins und es passt perfekt zur Situation: Gleich null war noch vor wenigen Monaten die Wahrscheinlichkeit, als West-Journalist und Oberleutnant der Reserve der Luftwaffe hier ins Sperrgebiet auf der Insel Usedom zu gelangen, um in einer MiG-23 des Jagdfliegergeschwaders 9 "Heinrich Rau" der NVA-LSK/LV mitfliegen zu können. Doch wie kam es dazu?

Nach der Maueröffnung im November 1989 wuchs das Interesse westlicher Medien an der bislang strikt abgeschotteten Nationalen Volksarmee. Insbesondere im Kommando Luftstreitkräfte/Luftverteidigung in Strausberg häufte sich bald eine wachsende Anzahl Anfragen nach Möglichkeiten zur Berichterstattung in Wort und Bild. Bereits im März 1990 konnten Redakteure der bundesdeutschen Luftfahrtzeitschrift FLUG REVUE Einsatzbasen der DDR besuchen und ein Interview mit LSK/LV-Chef Generalleutnant Rolf Berger führen. Bei der Gelegenheit fragte dessen Pressesprecher Oberstleutnant Franz-Lorenz Lill, wie denn der Westen Mitflüge von Journalisten in Kampfflugzeugen handhaben würde. Die Anfrage wurde an mich als "fliegenden Reporter" der FLUG REVUE mit gültiger Jet Passenger Card der Bundeswehr und damals rund 50 Jet-Stunden Fotoflug-Erfahrung weitergeleitet. Ich entwarf umgehend ein elfseitiges Arbeitspapier für OSL Lill, in dem ich die Praxis von Luftwaffe, Marinefliegern, US Air Force und Royal Air Force verglich und bewertete – und im Begleitbrief gleich schon mal mein eigenes Interesse an einem Start in einer MiG der LSK/LV bekundete.

Generalleutnant Berger signalisierte dem Chefredakteur der FLUG REVUE im Mai auf der Internationalen Luftfahrt-Ausstellung in Hannover die Möglichkeit eines Mitflugs, und die Redaktion meldete dem Kommando LSK/LV mich als ausführendes Organ – ich hatte den Fuß in der Tür. Am liebsten wäre der FLUG REVUE – und mir – ein Flug in der brandneuen MiG-29 gewesen, aber deren Mitflugkontingent für 1990 sei bereits durch zwei Missionen für DDR-Fotografen erschöpft, so OSL Lill. Als Ersatz schlug er die MiG-23 vor – und ich wäre zudem erster Anwärter für die MiG-29 im Jahr 1991. Selbstredend nahm ich das Angebot dankbar an! Die zunächst angedachte Bezahlung der beiden vorgesehenen Starts in der MiG-23 konnte die FLUG REVUE abbiegen – einem Fernschreiben aus Strausberg von Anfang Juli zufolge diente mein Mitflug der "Darstellung der LSK/LV in den internationalen Medien" und war damit kostenlos.

Inzwischen hatte ich auf der Presse-Exkursion am 6. Juni in Holzdorf Gelegenheit gehabt, sowohl OSL Lill als auch andere Offiziere der LSK/LV persönlich kennen zu lernen. Nachdem für den 2. Dezember gesamtdeutsche Wahlen angesetzt wurden, zeichnete sich im Sommer 1990 ab, dass eine Vereinigung der deutschen Staaten schon im Oktober anstehen würde. In der Woche vor meiner Fahrt nach Peenemünde bat ich OSL Lill daher in einem lang überlegten und gründlich formulierten Brief um einen MiG-29-Mitflug im September, um noch Luftbilder des "Stars der LSK/LV" mit DDR-Hoheitszeichen machen zu können – quasi zur "fotografischen Denkmalssetzung".

Der Besuch beim JG-9 war großartig. Ich wurde überaus freundlich aufgenommen, erhielt während meines zweieinhalb Tage dauernden Aufenthaltes alle gewünschten Informationen und stellte fest, dass sich die Flugzeugführer auf beiden Seiten des mittlerweile gefallenen "Eisernen Vorhangs" viel ähnlicher waren als ich angenommen hatte. OSL Wolf Dietze, der Kommandeur des Geschwaders, machte aus den zwei Starts kurzerhand drei und flog mich auch selbst. Neben der Bildausbeute bleibt mir die (nach den Vorschriften der LSK/LV für einen Mitflieger eigentlich nicht erlaubte) Manöverkunstflug-Demonstration in der Dämmerung am Ende des dritten Fluges unvergesslich. OSL Dietze – ein hervorragender Pilot – steuerte unsere MiG-23UB 109 durch einen 7-G-Vollkreis, einen geraden und zwei schräge Loopings mit ständigem Nachbrenner-Einsatz, einen Aufschwung sowie zwei Rollen und scheuchte den Doppelsitzer schließlich mit 800 km/h in 80 Meter Höhe (offiziell 100 Meter, er dehnte die Vorschriften auch hier ein wenig aus) an Rügen vorbei über die dunkle Ostsee – für mich bis heute ein absolutes fliegerisches Highlight.

Nach Ende der Flugschicht machte ich mich auf den Weg nach Strausberg. Von dort aus stattete ich am nächsten Tag in Begleitung von OSL Lill dem JG-3 "Wladimir Komarow" in Preschen einen Besuch ab, um die MiG-29 am Boden zu fotografieren. Es war der 23. August – in der Nacht hatte die Volkskammer den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober beschlossen. Das gab wohl endgültig den Ausschlag: Zurück in Strausberg, teilte mir OSL Lill einen Tag danach mit, dass mein MiG-29-Mitflug genehmigt worden sei – Termin: 13. September. Später sagte man mir, dass sich Oberst Manfred Skeries, Chef Jagdfliegerkräfte im Kommando LSK/LV und selber MiG-29-Pilot, für mich eingesetzt hatte – nicht zuletzt auch auf Betreiben seines Stellvertreters, OSL Peter Misch, den ich erstmals auf der Presse-Exkursion in Holzdorf traf.

Der 13. September entpuppte sich jedoch als schlechtes Datum. Nach anderthalb Tagen Vorbereitung platzte mittags vor Beginn der Flugschicht im JG-3 die Nachricht von einer Katastrophe in Peenemünde: Major Sascha Syrbe war mit seiner MiG-23ML bei einer Vorführung für West-Parlamentarier ins Meer gestürzt und getötet worden. Der Flugbetrieb in den LSK/LV wurde eingestellt, und ich kehrte unverrichteter Dinge nach Hause zurück. Tags darauf erhielt ich die Mitteilung, dass am 18. September ein neuer Anlauf unternommen werden sollte. So kam ich zwei Wochen vor der Einheit doch noch zu zwei Flügen in der MiG-29 – als erster Westdeutscher und, soviel ich weiß, als dritter Westler überhaupt (zuvor waren ein Amerikaner und ein Kanadier bei den Russen geflogen).

Diesem Flugzeug bin ich in der Folge viele Jahre treu geblieben: Seit 1995 absolviere ich meine Wehrübungen als Presseoffizier im damaligen Jagdgeschwader 73 und heutigen Taktischen Luftwaffengeschwader 73 "Steinhoff" in Laage, habe in den Folgejahren noch so manche Flugstunde auf der FULCRUM verbuchen dürfen und im Dezember 2003 auch einen der Doppelsitzer mit nach Polen überführt.

Noch einmal kehrte ich nach Peenemünde zurück, am 26. September, dem Tag der letzten NVA-Gefechtsausbildung im JG-9. Nach der finalen MiG-23-Landung durch OSL Dietze und dem anschließenden Appell fand ein zünftiges Abschlusstrinken im "Kosmos" statt. Eine Woche später hörten die LSK/LV auf zu existieren, doch in meinem Flugbuch standen fünf Starts unter Hammer und Zirkel: zwei Stunden sechs Minuten MiG-23 und eine Stunde zwölf Minuten MiG-29. Ich war zur richtigen Zeit an den richtigen Orten gewesen, hatte die richtigen Leute auf meiner Seite – und sehr viel Glück gehabt!
 

bennyB

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Ziemlich lang geworden und hier jetzt als Erstveröffentlichung …

Wenn's nicht passt, einfach löschen, bitte. Die Geschichte überbrückt die Zeit August/September 1990 und eben nicht explizit den 3./4. Oktober.


Ein Westler in der MiG

Flugplatzbasis Peenemünde, 20. August 1990, 14.30 Uhr, Hauptwache: Während ein junger Soldat mit umgehängter Kalaschnikow meine Papiere überprüft, schwebt eine MiG-23 zur Landung ein – der zurückkehrende Wetterflug, wie ich später erfahre. Das Autoradio spielt "Against all Odds" – "Gegen jede Chance" – von Phil Collins und es passt perfekt zur Situation: Gleich null war noch vor wenigen Monaten die Wahrscheinlichkeit, als West-Journalist und Oberleutnant der Reserve der Luftwaffe hier ins Sperrgebiet auf der Insel Usedom zu gelangen, um in einer MiG-23 des Jagdfliegergeschwaders 9 "Heinrich Rau" der NVA-LSK/LV mitfliegen zu können. Doch wie kam es dazu?

Nach der Maueröffnung im November 1989 wuchs das Interesse westlicher Medien an der bislang strikt abgeschotteten Nationalen Volksarmee. Insbesondere im Kommando Luftstreitkräfte/Luftverteidigung in Strausberg häufte sich bald eine wachsende Anzahl Anfragen nach Möglichkeiten zur Berichterstattung in Wort und Bild. Bereits im März 1990 konnten Redakteure der bundesdeutschen Luftfahrtzeitschrift FLUG REVUE Einsatzbasen der DDR besuchen und ein Interview mit LSK/LV-Chef Generalleutnant Rolf Berger führen. Bei der Gelegenheit fragte dessen Pressesprecher Oberstleutnant Franz-Lorenz Lill, wie denn der Westen Mitflüge von Journalisten in Kampfflugzeugen handhaben würde. Die Anfrage wurde an mich als "fliegenden Reporter" der FLUG REVUE mit gültiger Jet Passenger Card der Bundeswehr und damals rund 50 Jet-Stunden Fotoflug-Erfahrung weitergeleitet. Ich entwarf umgehend ein elfseitiges Arbeitspapier für OSL Lill, in dem ich die Praxis von Luftwaffe, Marinefliegern, US Air Force und Royal Air Force verglich und bewertete – und im Begleitbrief gleich schon mal mein eigenes Interesse an einem Start in einer MiG der LSK/LV bekundete.

Generalleutnant Berger signalisierte dem Chefredakteur der FLUG REVUE im Mai auf der Internationalen Luftfahrt-Ausstellung in Hannover die Möglichkeit eines Mitflugs, und die Redaktion meldete dem Kommando LSK/LV mich als ausführendes Organ – ich hatte den Fuß in der Tür. Am liebsten wäre der FLUG REVUE – und mir – ein Flug in der brandneuen MiG-29 gewesen, aber deren Mitflugkontingent für 1990 sei bereits durch zwei Missionen für DDR-Fotografen erschöpft, so OSL Lill. Als Ersatz schlug er die MiG-23 vor – und ich wäre zudem erster Anwärter für die MiG-29 im Jahr 1991. Selbstredend nahm ich das Angebot dankbar an! Die zunächst angedachte Bezahlung der beiden vorgesehenen Starts in der MiG-23 konnte die FLUG REVUE abbiegen – einem Fernschreiben aus Strausberg von Anfang Juli zufolge diente mein Mitflug der "Darstellung der LSK/LV in den internationalen Medien" und war damit kostenlos.

Inzwischen hatte ich auf der Presse-Exkursion am 6. Juni in Holzdorf Gelegenheit gehabt, sowohl OSL Lill als auch andere Offiziere der LSK/LV persönlich kennen zu lernen. Nachdem für den 2. Dezember gesamtdeutsche Wahlen angesetzt wurden, zeichnete sich im Sommer 1990 ab, dass eine Vereinigung der deutschen Staaten schon im Oktober anstehen würde. In der Woche vor meiner Fahrt nach Peenemünde bat ich OSL Lill daher in einem lang überlegten und gründlich formulierten Brief um einen MiG-29-Mitflug im September, um noch Luftbilder des "Stars der LSK/LV" mit DDR-Hoheitszeichen machen zu können – quasi zur "fotografischen Denkmalssetzung".

Der Besuch beim JG-9 war großartig. Ich wurde überaus freundlich aufgenommen, erhielt während meines zweieinhalb Tage dauernden Aufenthaltes alle gewünschten Informationen und stellte fest, dass sich die Flugzeugführer auf beiden Seiten des mittlerweile gefallenen "Eisernen Vorhangs" viel ähnlicher waren als ich angenommen hatte. OSL Wolf Dietze, der Kommandeur des Geschwaders, machte aus den zwei Starts kurzerhand drei und flog mich auch selbst. Neben der Bildausbeute bleibt mir die (nach den Vorschriften der LSK/LV für einen Mitflieger eigentlich nicht erlaubte) Manöverkunstflug-Demonstration in der Dämmerung am Ende des dritten Fluges unvergesslich. OSL Dietze – ein hervorragender Pilot – steuerte unsere MiG-23UB 109 durch einen 7-G-Vollkreis, einen geraden und zwei schräge Loopings mit ständigem Nachbrenner-Einsatz, einen Aufschwung sowie zwei Rollen und scheuchte den Doppelsitzer schließlich mit 800 km/h in 80 Meter Höhe (offiziell 100 Meter, er dehnte die Vorschriften auch hier ein wenig aus) an Rügen vorbei über die dunkle Ostsee – für mich bis heute ein absolutes fliegerisches Highlight.

Nach Ende der Flugschicht machte ich mich auf den Weg nach Strausberg. Von dort aus stattete ich am nächsten Tag in Begleitung von OSL Lill dem JG-3 "Wladimir Komarow" in Preschen einen Besuch ab, um die MiG-29 am Boden zu fotografieren. Es war der 23. August – in der Nacht hatte die Volkskammer den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober beschlossen. Das gab wohl endgültig den Ausschlag: Zurück in Strausberg, teilte mir OSL Lill einen Tag danach mit, dass mein MiG-29-Mitflug genehmigt worden sei – Termin: 13. September. Später sagte man mir, dass sich Oberst Manfred Skeries, Chef Jagdfliegerkräfte im Kommando LSK/LV und selber MiG-29-Pilot, für mich eingesetzt hatte – nicht zuletzt auch auf Betreiben seines Stellvertreters, OSL Peter Misch, den ich erstmals auf der Presse-Exkursion in Holzdorf traf.

Der 13. September entpuppte sich jedoch als schlechtes Datum. Nach anderthalb Tagen Vorbereitung platzte mittags vor Beginn der Flugschicht im JG-3 die Nachricht von einer Katastrophe in Peenemünde: Major Sascha Syrbe war mit seiner MiG-23ML bei einer Vorführung für West-Parlamentarier ins Meer gestürzt und getötet worden. Der Flugbetrieb in den LSK/LV wurde eingestellt, und ich kehrte unverrichteter Dinge nach Hause zurück. Tags darauf erhielt ich die Mitteilung, dass am 18. September ein neuer Anlauf unternommen werden sollte. So kam ich zwei Wochen vor der Einheit doch noch zu zwei Flügen in der MiG-29 – als erster Westdeutscher und, soviel ich weiß, als dritter Westler überhaupt (zuvor waren ein Amerikaner und ein Kanadier bei den Russen geflogen).

Diesem Flugzeug bin ich in der Folge viele Jahre treu geblieben: Seit 1995 absolviere ich meine Wehrübungen als Presseoffizier im damaligen Jagdgeschwader 73 und heutigen Taktischen Luftwaffengeschwader 73 "Steinhoff" in Laage, habe in den Folgejahren noch so manche Flugstunde auf der FULCRUM verbuchen dürfen und im Dezember 2003 auch einen der Doppelsitzer mit nach Polen überführt.

Noch einmal kehrte ich nach Peenemünde zurück, am 26. September, dem Tag der letzten NVA-Gefechtsausbildung im JG-9. Nach der finalen MiG-23-Landung durch OSL Dietze und dem anschließenden Appell fand ein zünftiges Abschlusstrinken im "Kosmos" statt. Eine Woche später hörten die LSK/LV auf zu existieren, doch in meinem Flugbuch standen fünf Starts unter Hammer und Zirkel: zwei Stunden sechs Minuten MiG-23 und eine Stunde zwölf Minuten MiG-29. Ich war zur richtigen Zeit an den richtigen Orten gewesen, hatte die richtigen Leute auf meiner Seite – und sehr viel Glück gehabt!
Danke für die gedankliche Zeitreise, 30 Jahre später.
Ich war in Peenemünde der Techniker (oder wie ihr sagt 1.Wart) der dich angeschnallt hat. Du brachtest eine Flasche Sidolin Streifenfrei mit zum Kabinendach putzen, damit die Fotos gelingen.
Ich lebe und arbeite übrigens seit Juli 91 in der Nähe von Hamburg.
Hab mir heute die Flugre
 

Lothringer

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Ich möchte Ihnen allen für Ihre Aussagen danken. Das ist sehr bewegend, Respekt !
 
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