Sammelthread - Interessante Nebendiskussionen zu einzelnen Sicherheitsfaktoren

[macfly]

Hier ist noch ein etwas besserer Bericht zu dem Vorfall mit dem Copiloten. Das war Anfang Mai bei Virgin Atlantic passiert, auf einem geplanten Flug von London nach New York.

Why Did Virgin Atlantic Flight VS3 Turn Back Mid-Air? Here’s Everything You Need To Know - Indian Aerospace and Defence Bulletin - News for aerospace and defence in India

Virgin Atlantic Flight VS3 was turned back mid-flight to London’s Heathrow airport, allegedly because one of the pilots on board had failed to complete their training. According to FlightRadar24, a flight-tracking website, the flight which had taken off from Heathrow airport and was scheduled to...

www.iadb.in

Sowohl die Airline als auch die britische Luftfahrtbehörde sagen, dass der Flug luftfahrtrechtlich legal war: der Copilot hatte die vorgeschriebene Ausbildung abgeschlossen, hatte alle Lizenzen und Type-Ratings. Es fehlte lediglich eine Airline-interne Abschlussprüfung, was eine zusätzliche Anforderung der Airline war. Bis dahin hätte er bei Virgin nur zusammen mit den Ausbildungskapitänen der Airline fliegen dürfen.

Die Boulevardpresse hat das natürlich genüsslich ausgeschlachtet. Da gab es Meldungen über "Todesangst der Passagiere", da ein "untrainierter Fluganfänger" am Steuer gewesen war usw...

 

[Intrepid]

... Die Boulevardpresse hat das natürlich genüsslich ausgeschlachtet ...

Die Boulevardpresse bleibt der ihr zugeschriebenen Inkompetenz standhaft treu. Ist auch eine Art von Qualität - oder nennen wir es besser Verlässlichkeit .

 

[Lufti]

Air France suspendiert Piloten wegen Handgreiflichkeiten im Cockpit

Der am vergangenen Mittwoch veröffentlichte Bericht der französischen Flugsicherheitsbehörde BEA hat zur Suspendierung von zwei Piloten der Air France geführt. Die beiden waren während eines Fluges von Genf nach Paris kurz nach dem Start in Streit geraten, der offenbar sogar zu Handgreiflichkeiten geführt hatte. Ein Mitglied der Kabinenbesatzung habe den Rest der Strecke im Cockpit verbringen müssen, um ein erneutes Aufflammen der Auseinandersetzung zu verhindern, berichtet die Schweizer Zeitung »La Tribune«.

Die französische Flugaufsicht wirft Air France in einem Bericht einen laxen Umgang mit Sicherheitsvorschriften vor. Die Fluggesellschaft spricht von Einzelfällen.

 

[Alpha]

Qatar Airways hat mal wieder gezeigt, wie unsinnig die besprochenen Listen der Boulevardmedien sind: The Aviation Herald

TLDR: 787 FO vermag ohne Flight Director eine Kurve nach dem Start nicht zu fliegen und lässt die Mühle stark sinken, der CPT fängt das Flugzeug dann 800ft über dem Wasser ab. Dabei wurde die Flap Speed überschritten, aber es wurde trotzdem nach Kopenhagen weitergeflogen. Das ganze kam nun erst einen Monat später heraus.

 

[Intrepid]

Interessiert mich, wer das warum nicht gemeldet hat und wie es dann doch ans Tageslicht gekommen ist.

 

[Falco]

Vielleicht ist es über "FOQA" (Flight Operation Quality Assurance) herausgekommen, denn da ist die Überwachung der Flap Speed auch einer der überwachten Parameter.

 

[lutz_manne]

Bei den heutzutage erfassten Telemetriedaten und der Vielzahl an Unternehmen die auf die Daten unterschiedlichster Geräte Zugriff haben, lässt sich schwer noch was verheimlichen. Sollte der Reihe 0 aber doch bekannt sein.

 

[Alpha]

Das ist den Kollegen sehr deutlich bewusst - und einer der wesentlichen Gründe, warum dort so gut wie alles mit so viel Automatik geflogen wird, wie es geht. Dort streben die Crews danach, nicht einen Hauch von dem abzuweichen, was im Manual steht - dadurch trainieren die sich fliegerisch stetig herunter und werden vielfach zu Musterbeispielen von "Automation Dependancy", mit exakt solchen Fällen als Ergebnis. Das machen die nicht, weil sie es für sinnvoll erachten, sondern weil diese Firma (und einige Nachbarn) mit "hire&fire" arbeiten und bei "Verstößen" gegen Vorgaben im Manual nicht an einer Ursachenforschung interessiert sind, sondern derjenige wird schlicht gefeuert. FODA/FOQA dient da nicht als Safety Tool in unserem Sinne und ein Reporting System wie bei uns gibt es da auch nicht. Wer bei denen auffällt, ist quasi raus. Also halten die sich, soweit möglich, an ihr Manual, nutzen extrem viel Automatik, trainieren sich runter und "im Falle des Falles" reporten sie ein Event nicht, da das nur ihren Rauswurf beschleunigt.

Das Problem sind nicht wirklich die Crews, sondern deren Managment. Das ist in der Branche auch bekannt und die Anziehungskraft auf die guten Leute im Cockpit ist gering (solange es eine Wahl gibt).

In kurioser Weise erlebt man das manchmal an Kleinigkeiten - etwa, wenn die auf einer leichten Stigung am Boden aus dem Stand anrollen müssen. Deren Manual gibt eine höchste Triebwerksleistung am Boden beim Losrollen vor (wie bei so gut wie allen Airlines, so auch hier) - aber das ist eben eine pauschale Aussage und ggf ist es notwenig und sinvoll, darüber mit Bedacht hinaus zu gehen. Das tun die aber nicht bzw extrem ungern und dann nur zögerlich. Da steht man dann schon mal eine Weile dahinter und guckt sich das Schauspiel mit Lachen-Weinen an...

TLDR: Bei uns (europäischen/US-amerikanischen) Airlines dient Reporting und Flugdatenauswertung primär dazu, Ereignisse auch lange vor einer größeren Gefährlichkeit aufzuspüren und nach den Ursachen zu suchen. Diese werden dann im zweiten Schritt durch Änderungen im Training, Verfahren, Technik etc ggf. abgestellt. Bei Qatar führen Auffälligkeiten in Reporting und FDM tendenziell vor allem zum Entfernen der Mitarbeiter - das sorgt dann ganz klassisch für eine Schweigekultur und eher geringe Sicherheit. Was leider ein gutes Beispiel ist, wieso die titelgebenden Listen Unsinn sind.