Da hat man überhaupt keine Vorsorge getroffen. Das wird man sich nicht trauen. Der Präsident hat sich ja auch nicht getraut.
Die Risikobeurteilung der Israelis ist in der Vergangenheit immer deutlich unterschiedlich zu anderen westlichen Staaten gewesen. Die Bereitschaft, heute Krieg und Terrorismus samt damit einhergehender militärischer und ziviler Verluste in Kauf zu nehmen, um eine künftige größere, ggf. sogar existentielle Bedrohung rechtzeitig zu verhindern, erscheint mir als breiter gesellschaftlicher Konsens der israelischen Bevölkerung. Europäische Länder, aber selbst die USA sind viel weniger bereit, heute in Blut und Geld für die (erhoffte) Sicherheit von morgen zu bezahlen. Hinzu kommt, dass Israel weitaus weniger angreifbar als die USA sind - mehr Abstand, weniger weiche Ziele, Abschottung, weniger Anfälligkeit für wirtschaftliche Auswirkungen, schlichte Gewöhnung an Terrorismus und Verluste, keine Verantwortung für die Nachkriegsordnung. Die USA müssten teuer versuchen, eine Nachkriegsordnung zu schaffen, für die Israelis reicht es, das Land ins Chaos zu stürzen, solange keine Wirkmittel in die Hände von Terroristen fallen die gegen Israel gerichtet werden können und die Strukturen zerstört sind, mit denen derartige Mittel hergestellt werden können.
Ich sehe keinen Grund, warum Israel eine iranische Kernwaffe zulassen sollte und damit seine künftigen Möglichkeiten zur Gestaltung seines Umfelds massiv einschränkt. Umgekehrt sehe ich aber erst recht keinen Grund, vorzeitig loszuschlagen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die israelische Führung den aktuellen Stand der iranischen Bemühungen recht präzise einschätzen kann. Abwarten bietet die Chance, dass der Iran umkehrt oder seinen Fokus verschiebt. Abwarten reduziert zudem das Risiko, als Schurke gesehen zu werden. Je näher Iran an der Bombe war, desto eher lässt sich ein Militärschlag rechtfertigen. Es gäbe nur zwei Gründe für einen zeitnahen Waffengang:
1. Die Fertigstellung der einsatzfähigen (nicht nur zum Test bereiten) Bombe ist nur noch Wochen entfernt. Ist man sich absolut sicher, dass das erste Design zwar wahrscheinlich zündfähig ist, aber sicher nicht praktisch einsatzfähig, könnte man sogar dann noch pokern und erst direkt nach dem ersten Test angreifen. Schlägt man erst nach dem Test zu wird die Weltgemeinschaft sich Tatenlosigkeit vorwerfen lassen müssen und Fallout auf dem Niveau Tschernobyl akzeptieren (realistisch bei Angriffen direkt auf in Betrieb befindliche Reaktoren, auch wenn seitens der Angreifer nur konventionelle Mittel eingesetzt werden). Auch zu erwartende militärische Verluste lassen sich rechtfertigen - es geht um die Existenz, da sind 2-3 Dutzend Kampfflugzeuge und ein paar aufgeriebene Kommandotrupps ein akzeptabler Preis.
2. Iran erhält zeitnah die Fähigkeit, einen mit voller Wucht geführten Angriff der IDF abzuwehren. Danach sieht es trotz aller Bemühungen der Iraner wirklich nicht aus. Es laufen diverse Rüstungsprojekte im Inland und Waffenkäufe im Ausland sind in Planung, aber es ist nicht in Sicht, was die Balance grundlegend verändert.
Mit Präsident Biden scheint in Washington ein sehr rationaler Entscheider ans Ruder zu kommen, der nicht zu spontanen Entscheidungen neigt. In Israel war Krieg noch nie ein Wahlkampfschlager - Israel verteidigt sich, wenn es in die Enge getrieben oder angegriffen wird, das ist der parteiübergreifende Konsens. Man debattiert öffentlich nicht über das Für und Wider eines Feldzugs gegen den Iran. Das Thema wird sachlich im Hintergrund gehalten und parteiübergreifend im Konsens bewertet. Gründe für einen politisch motivierten vorzeitigen Militärschlag sehe ich nicht. Man wartet ab und versucht das Projekt - auch mit drastischen Mitteln wie Mord auf offener Straße - zu verzögern. Im Interesse der Menschen in der Region hoffe ich, dass das Projekt auch ohne Militärschlag einfach nie in die Nähe der Fertigstellung kommt.