Ich denke, pauschale Urteile werden dem Mosaik in Indien nicht gerecht. Ja, die ausufernde Bürokratie lähmt das Land - und es ist einerseits extrem chaotisch und andererseits funktioniert im Chaos erstaunlich viel reibungslos.
Und wenn man dann in's Detail schaut, dann stehen "Funktionieren" und "Chaos" dicht nebeneinander.
Um beim Luftfahrtbezug zu bleiben:
Indiens Su-30MKI Piloten überraschen immer wieder mit ihrem Können. Andererseits war die Hauptinstandsetzung bei vielen AL-31FP Triebwerken nicht erst nach den üblichen 1000 sondern schon nach 500 Stunden notwendig. Ob das mit Qualitätsverlusten bei der Verlagerung der Produktion nach Indien, mit einer wesentlich intensiveren Beanspruchung (mit Langstreckeneinsätzen von bis zu 10 Stunden Dauer), einer nicht perfekten Wartung oder den tropischen Klimabedingungen zu tun hat, ist sicher treffliches Spekulationsthema.
Indien bekommt schon seit Jahrzehnten von vielen Seiten Technologie zur Verfügung gestellt,
Klar ist für mich, dass Indien bestrebt ist, möglichst vielseitig Technologie "abzuschöpfen". Das wird beim "
Blick über den Tellerrand" deutlich. Ich mache das an einem anderen anspruchsvollen Rüstungsprojekt, dem Bau konventioneller U-Boote, fest. Dazu sind nur wenige Staaten in der Lage - interessanterweise auch die, die im Flugzeugbau mithalten können. Derzeit verfügt Indien über ein nukleares und 16 konventionelle U-Boote. Der Bau des nuklearen Bootes beruht auf russischem Technologietransfer (Atomantrieb) und dem know how zum Bau konventioneller U-Boote. Das ist eingekauft:
- In den 1980er Jahren wurden vier U-Boote der HDW-Klasse 209 im Rahmen einer deutsch-indischen Kooperation hergestellt. Die ersten beiden Boote kamen von HDW Kiel (jetzt thyssenkrupp Marine Systems) unter Beteiligung indischer Techniker, die dann bei Mazagon Dock Shipbuilders Limited in Mumbai die nächsten beiden Boote selbst zusammen bauten. Alle vier U-Boote sind auch heute noch in Indien im Dienst. Jetzt werden die vier Boote der Klasse 209 in Indien modernisiert. Gerade ist für die INS SHANKUSH die Zusammenarbeit mit der indischen Marinewerft Mazagon Dock Shipbuilders Limited vereinbart worden. thyssenkrupp Marine Systems übernimmt die Lieferung von Materialpaketen ausgewählter Systeme, Geräte und Komponenten sowie die technische Unterstützung vor Ort und die Druckkörperinspektion. Mazagon Dock Shipbuilders fungiert als Generalunternehmer bis zur Ablieferung des U-Bootes. thyssenkrupp Marine Systems (tkMS) hat zudem mit der indischen Mazagon Dock Shipbuilders Limited im Mumbai eine Absichtserklärung über den potenziellen Bau von konventionellen U-Booten mit außenluftunabhängigem Antrieb unterzeichnet.
- Zwischenzeitlich hat sich Indien die extrem leisen sowjetische Kilo-U-Boote beschafft die auch im eigenen Land gewartet werden - also eine andere Technologiequelle, bei der vor allem die Schallvermeidung von Interesse sein dürfte.
- In den letzten Jahren hat Indien dann nach französischem »Scorpene«-Design sechs neue U-Boote erworben - auch hier wurden die letzten Exemplare in Indien bei Mazagon hergestellt (das vierte U-Boot der »P75 Kalvari«-Klasse, »INS Vela« im Nov. 2021 in Dienst gestellt, das fünfte »INS Vagir« im Januar 2023 in Dienst gestellt, »INS Vagsheer«, das sechste und letzte der Serie ist seit dem Stapellauf im April 2022 in der Endausrüstung). Die Kooperation soll nach aktuellen Meldungen verlängert werden.
- Neben tkMS und Frankreich soll noch das südkoreanische Unternehmen Daewoo Shipbuilding & Marine Engineering im Wettbewerb um die nächsten indischen U-Boote stehen.
Das kann man chaotisch nennen - für mich ist es ein äußerst zielgerichtetes Vorgehen, um an die beste weltweit verfügbare Spitzentechnologie zu kommen.
Was Indien nun im anspruchsvollen Marineschiffbau vorexerziert, versucht es auch im Luftfahrtbereich umzusetzen. Da wird sicher mit hohen Verkaufszahlen gelockt. Allerdings liegt Indien vor allem an der entsprechenden Technologie. Mit einer Fläche von insgesamt 3.287.263 Quadratkilometern liegt
Indien auf dem siebten Platz im Ranking der größten Länder der Welt - da "braucht es" entsprechende Kapazitäten.
Der Betrieb von C-17 und C-130J hat den Indern gezeigt, was es heißt eine funktionierende, d.h. reibungslose, Versorgung von Ersatzteilen zu haben.
....
Die Möglichkeiten der A330 MRTT bei den UAE haben den Indern gezeigt, was ein moderner Tanker wirklich kann ....
Genau. Und man möchte die Technologie auch selbst beherrschen und ist daher bestrebt, entsprechendes einzukaufen.
Und Indien kann sich das nicht nur
finanziell leisten. Nach dem
kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukte (
KKP; purchasing power parity,
PPP) lag Indien bereits 2021 weltweit hinter China und den USA an dritter Stelle (
Quelle). Es braucht für seine wachsende Bevölkerung auch entsprechende Arbeitsplätze.
Was aus den Bestrebungen wird steht angesichts der gefürchteten Bürokratie und der Ungleichzeitigkeit der Entwicklung zwischen "Wollen" und "Beherrschen" auf einem anderen Blatt.