Wilfried Schreiber "Als Offizier und Wissenschaftler der NVA im deutsch-deutschen sicherheitspolitischen Dialog - Ein Zeitzeugenbericht", DSS-Arbeitspapiere, Heft 75 - 2005:
http://www.sicherheitspolitik-dss.de/ap/ap75.pdf
»Die gesamte Gruppe [welche Gruppe wird mir nicht klar; Veith] begab sich daher am zweiten Tag zum Standort des Jagdfliegergeschwaders 7 in Drewitz bei Cottbus. Dort fand ein feierlicher Abschlussappell zur Auflösung des Geschwaders und zum Beginn der Verschrottungsaktion statt. Das militärische Zeremoniell hatte hier seinen traditionellen Inhalt vollständig gewandelt.
Es diente nicht mehr der Selbstdarstellung militärischer Stärke, sondern war ein – wenn auch nur punktuelles – Symbol des Endes militärischer Machtdemonstration. Wohl kaum einem der Beteiligten ist diese Symbolik entgangen, als nach dem Ende des Appells die ersten noch flugfähigen MiG 21 mit dem Schneidbrenner zerteilt wurden. Wenn auch im Weiteren noch zahlreiche der 50 hier aufgestellten Flugzeuge von der DDR verkauft wurden, änderte das nichts an der Endgültigkeit dieses realen Abrüstungsschrittes.
Nach dem Appell und der Demonstration gab es vor Ort ein Pressegespräch sowie für die Teilnehmer des Friedenscamps ein allgemeines Informationsgespräch.
Den Fragen der Journalisten und ausländischen Gäste stellten sich der Chef der Luftstreitkräfte und Luftverteidigung der DDR, Generaloberst Wolfgang Reinhold, sowie Generalmajor Günter Hiemann und Offiziere des Geschwaders. Eine Reihe der westlichen Journalisten war wegen der Symbolik eher misstrauisch und stellte Fragen, die sich besonders auf die Zukunft der NVA und der WVO sowie auf die grundsätzlichen Veränderungen im Militärwesen der DDR bezogen. Bedauerlicherweise machte sich Generaloberst Reinhold, der ja außerdem noch Stellvertreter des Ministers war, selbst zum Kronzeugen für Defizite der militärischen Führung bei der Beurteilung der neuen Situation, indem er sich außerstande sah, die Frage der Süddeutschen Zeitung zu beantworten, worin die neue Qualität der Militärdoktrin der WVO vom Mai 1987 besteht. Entweder hatte er die revolutionäre Umorientierung des militärstrategischen Denkens der WVO auf Verteidigung, Vertrauensbildung und Abrüstung nicht verstanden bzw. wollte sie nicht verstehen, oder er getraute sich nicht, den Wandel vor den Journalisten zuzugeben.
In der NVA wurden seit zwei Jahren der revolutionäre Umbruch dieser Doktrin diskutiert und zahlreiche praktische Veränderungen eingeleitet, aber der Stellvertreter des Ministers betonte einseitig die Kontinuität der Doktrin. Vielleicht war das einfach nur der Ausdruck des bestehenden Konservatismus der Armeeführung und der inneren Widerstände gegen Veränderungen. Erfreulicherweise waren General Hiemann und die Offiziere des Geschwaders
flexibler.
Die Gäste des Friedensrates stellten vor allem Fragen, die sich auf die soziale Perspektive für das Personal des aufgelösten Geschwaders und die wirtschaftlichen Konsequenzen für die Gemeinde und die Region bezogen. Das war zweifellos ein sehr diffiziles Problem, und die Antworten waren eher von Zweckoptimismus bestimmt als von einer realistischen Planung. Es war auch noch gar nicht abzusehen, was in den nachfolgenden Monaten tatsächlich an Problemen auf die NVA zukommen würde. Die Flugzeugführer und anderen Angehörigen der Dienststelle waren wenigstens so ehrlich, ihre Zwiespältigkeit zuzugeben, mit der sie dem Appell und dem Beginn der Verschrottung beigewohnt hatten. Ich selbst bin mir auch heute noch meines eigenen unsicheren Gefühls bewusst. Als Wirtschaftswissenschaftler sah ich in dieser Verschrottung natürlich nicht nur die edle Symbolik, sondern auch die Vernichtung ökonomischer Werte, für die ich selbst mit bezahlt hatte.
Ähnliches vollzog sich am nächsten Tag noch einmal bei einem Besuch von Werkstatteinheiten der Landstreitkräfte in Charlottenhof und Ostritz in der Nähe von Bautzen ....«