Drücker oder Zieher, diese Frage ist so alt wie der Heckrotor.
Wie Eagle schon bemerkt hat, hängt das gewählte Design von ganz vielen aerodynamischen und bautechnischen Gründen ab. Vergessen hat er lediglich, dass auch wirtschaftliche Gründe u.U. mit einspielen. Wer mitbekommen hat, dass Eurocopter gerade mal schnell Bell auf enormen Schadensersatz wegen angeblicher Entwicklungs- und Patentrechtsverletzungen an 2
Fahrwerksstreben der neuen Bell 429 verklagt, weiss was ich meine.
Das mal aussen vor, es gibt kein optimales System zum Ausgleich des Gegendrehmoments. Auch NOTAR und Fenstron haben ganz sicher nicht unerhebliche Gegenargumente.
Drücker oder Zieher?
Es gibt kein prinzipiell überlegenes System! Auch wenn teilweise so etwas publiziert wird. Beide Varianten beeinhalten Vor- und Nachteile, die unter bestimmten Umständen die eine oder andere Auslegung bevorteilen. Einen enormen Einfluss hat die Gesamtauslegung des Projektes. Die Heckschraube ist direkten aerodynamischen und flugmechanischen Einflüssen des "restlichen" ;) Hubschraubers unterworfen und beeinflusst auch selbst den Hubschrauber, seine Konstruktion und seine Flugleistung wesentlich.
Es gelten folgende Regeln:
1. Ein Rotor, der seine Hochgeschwindigkeitsdurchströmung auf eine feste Oberfläche richtet ist weniger effizient, als ein frei abströmender. Die höchste Strömungsgeschwindigkeit ist in Strömungsrichtung unmittelbar hinter dem Rotor. Ein Drücker kann also frei abströmen, ein Zieher strömt auf Konstruktionsteile.
2. Der Rotor dessen untere Blattquadranten
in Richtung Hauptrotor drehen ist effizienter als umgekehrt. (Aerdynamischer Einfluss von Hauptrotor und Zelle)
3. Heckrotoren die unter direkten Einfluss der Luftströmungen des Hauptrotors liegen sind ineffizienter als unbeeinflusste.
4. Der Durchmesser der Heckschraube und die Breite der Blätter haben großen Einfluss. (Rotorkreisfläche, Rotorkreisflächenbelastung, Luftdurchsatz, Abrissgebiete, Drehzahl,...)
5. Da der Heckrotor nicht im freien Raum hängt, weder beim Drücker noch beim Zieher, ist immer
der Abstand zu Konstruktionsteilen, deren Form, Oberfläche, Gewicht, Kosten usw interessant.
6. aus 1. bis 5 ergibt sich eine hohe mechanische Belastung der Heckrotor- und Heckträgerbauteile durch Vibration, Kraft, Biegemoment,...
7. Es gibt noch jede Menge andere wichtige Punkte, wie Biegungsrichtung der Blätter unter Volldampf und damit Abstand Heckträger-Blattspitzen,... die ich jetzt mal ausblenden will um nicht ins uferlose zu kommen.
Beim Durchdenken der genannten Punkte kann sich jetzt jeder Gedanken machen, wie die einzelnen Hubschraubertypen designed sind und was Punkt 1-6 für sie bedeuten.
Am Anfang waren die HS mit "offenen" Heckträger wie AL II, Bell 47 usw. Gekennzeichnet von geringer Triebwerkssleitung = geringen Gegendrehmoment und
offenen Heckträger, ohne Hydraulik auf der Heckschraube, da war es mehr oder weniger völlig Wurscht ob Drücker oder Zieher.
Mit wachsender Größe des HS wuchs die Triebwerksleistung und damit das Gegendrehmoment, die Zelle wurde aufwendiger, größer, schwerer und geschlossener und beeinflusste je nach Flugzustand die Heckschraube deutlich.
Kontrollfrage: Warum befindet sich an der hinteren Rumpfunterseite der BO 105 unter den Hecktüren ein senkrecht aufmontiertes breites Brett? das erhöht doch nur den Luftwiderstand der Zelle? :p
Im Link über der 1,5°
http://www.rotorhead.org/military/images/bo105specs.gif
Wenn ein Hersteller einen Hubschrauber entwickelt, sich dieser bewährt und gut verkaufen lässt, dann wird er i.d.R. weiterentwickelt, modifiziert und aufgebohrt. Immer unter dem wirtschaftlichen Aspekt, die Kosten so gering wie nötig zu halten. Man ist nicht daran interessiert einen komplett neuen Hubschrauber zu konstruieren. Die Zelle und damit ihre Charakteristika in Strömung, Gewicht, Konstruktion bleibt weitestgehend erhalten. Mit erhöhter Triebwerksleistung erhöht sich aber das Drehmoment und damit der Anspruch an die Heckschraube. Jetzt will man aber nicht den ganzen Heckträger umkonstruieren, verlängern,... deshalb spielt man mit mehr der weniger Erfolg an der Heckschraube herum.
Mit dem "Seitenwechsel" an der UH-1/Bell 205 Serie wurde eine komplett neue Heckschraube eingefügt, die nicht nur die Seite gewechselt hat, sondern sich auch nach Punkt 4. ;) völlig verändert hat. Günstig deshalb, dass man mit der Entwicklung des AH-1, der ja ursprünglich im wesentlichen aus UH-1 Teilen bestand, die Entwicklungsgelder für eine neue Heckschraube bekam...
Leider war der alte Heckträger unter den neuen Bedingungen viel zu schwach ausgelegt, was in eine ganze Reihe von Problemen und auch Abstürzen führte. Deshalb ist der Heckträger der UH-1 bis Bell 412 heute ein einziger Flickenteppich mit jeder Mege zusätzlicher Einnietungen und Verstärkungen. Das wiederum war Gewichtstechnisch nicht unbedingt von Vorteil....
Heute wird i.d.R. bei konventionellen Heckschrauben der Drücker bevorzugt, aber nur wenn man schon bei der Gesamtkonstruktion eine Auslegung sucht, die dieses Design bevorteilt.