HolgerXX
Fluglehrer
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Hallo zusammen,
für die Ausarbeitung eines Vortrags über GFM Albert Kesselring konnte ich mich nicht nur auf seine Autobiographie "Soldat bis zum letzten Tag" stützen. Zum Einen, da die Darstellung bezüglich seines Kriegsverbrecherprozesses hätte einseitig sein können, zum Anderen, weil das Buch 1952 erschienen ist und deshalb sein späteres Wirken nicht abbilden kann. Zu diesem Zweck besorgte ich mir Kerstin von Lingen: "Kesselrings letzte Schlacht: Kriegsverbrecherprozesse, Vergangenheitspolitik und Wiederbewaffnung" (erschienen 2004 bei Ferdinand Schöning). Für ihr Ansinnen hätte von Lingen Kesselrings Werdegang auch weglassen können. Tat sie aber nicht. Was für mich die Gelegenheit war, die Rolle Kesselrings bei der Absetzung der Projekte schwerer Bomber (Dornier Do 19 und Junkers Ju 89) zu überprüfen. Das Ereignis (April 1937) fiel in die Ägide Kesselrings als Generalstabschef der Luftwaffe. Er selbst drückt sich in seinem Buch elegant um die Beschreibung des eigenen Wirkens dabei (keine Erwähnung auf den einschlägigen Seiten 39 - 41), während er sich zur Gelegenheit der Luftschlacht um England über das Fehlen strategischer Bomber beschwert (S. 100).
Von Lingen äußert sich dazu auf S. 42 (Anhang 1). Sie bezeichnet die Entscheidung als "eine der umstrittensten", obwohl außerhalb von Luftwaffe und Luftfahrtindustrie niemand davon Kenntnis gehabt haben dürfte. Zeitgenössischer Widerspruch ist nicht bekannt, sodass "umstrittenst" nur für die Nachkriegsdiskussion gelten kann. Die als Zitatgrundlage (Anm. 63) angegebene Ausarbeitung von Sam Lewis erwähnt keine Originalquellen (Anhang 2 - 3). Für die lustige Fortsetzung in Anmerkung 63 "Die leichteren Flugzeuge wurden damals im Volksmund "fliegende Kesselringe" genannt" liefert von Lingen keine Zitatbasis. Der Satz kann frei erfunden sein. Er enthält die Unterstellung, die Diskussion über den schweren Bomber wäre 1937 der Öffentlichkeit bekannt gewesen und hätte dort eine Rolle gespielt, was kaum glaubhaft erscheint.
Dass Kesselring dem traditionellen Heeresdenken verhaftet gewesen sein soll, könnte stimmen. Nicht überliefert ist jedoch die Behauptung, er hätte strategische Bombardierungen strikt abgelehnt. Anmerkung 66 (Lingen, S. 42, Anhang 1) beinhaltet ein glattes Falschzitat. Auf Seite 437 im Band 6 von "Das deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg" kommt Kesselring überhaupt nicht vor (Anhang 4, leider lässt der dicke Band einen besseren Scan mit meinen Mitteln nicht zu). Laut Register dieses Bandes erscheint er erst auf Seite 455, und dort in anderem Zusammenhang. Die Behauptung findet sich stattdessen bei Lewis, S. 273 (Anhang 2, wie gesagt ohne Zitatgrundlage). Einschlägige Äußerungen Kesselrings andernorts waren für mich nicht auffindbar.
Fundstellen von Interesse finden sich wieder in der ebenfalls durch von Lingen als Quelle angegebenen Biographie von Kenneth Macksey ("Kesselring: The Making of the Luftwaffe", New York 1978). Aber obwohl von Lingen das Werk von Macksey als wissenschaftlichen Anforderungen entsprechend darstellt (S. 24 Anm. 51), enthält auch dieses keine Veweise auf Originalzitate (S. 46 - 53, Anhang 5 - 8, davon erscheinen 6 und 7 aufgrund der technischen Beschränkung im anschließenden Posting). Was nicht nur in Bezug auf die hier angesprochene Problematik enttäuscht, sondern auch für den Versuch, Kesselrings "Heldentaten" im Ersten Weltkrieg nachzuweisen (ds., S. 23 - 27). Obwohl damals erst im Oberleutnants- bzw. Hauptmannsrang, soll er sich da bereits als gewiefter Taktiker erwiesen haben. Um so erstaunlicher dagegen erscheint der Umstand, dass Kesselring in seiner Autobiographie nichts davon erwähnt, da gibt er an, praktisch nur Stabs- und Generalstabsdienst geleistet zu haben (dort S. 14). Einen veritablen Verriss von Macksey liefert Stephen G. Fritz: https://www.h-net.org/reviews/showpdf.php?id=1527
Kesselrings Rolle bei der Absetzung der schweren Bomberprojekte bleibt demnach auch nach Auswertung der hier angegebenen Literatur ungeklärt. Unwidersprochen steht demnach die Begründung laut Lutz Budraß, Die deutsche Flugzeugindustrie 1918 - 1945, S. 528f Anm. 202, mit einer Kürzung der Haushaltsmittel.
Wer etwas zum Thema beitragen kann, möchte das bitte tun.
Grüße, Holger
für die Ausarbeitung eines Vortrags über GFM Albert Kesselring konnte ich mich nicht nur auf seine Autobiographie "Soldat bis zum letzten Tag" stützen. Zum Einen, da die Darstellung bezüglich seines Kriegsverbrecherprozesses hätte einseitig sein können, zum Anderen, weil das Buch 1952 erschienen ist und deshalb sein späteres Wirken nicht abbilden kann. Zu diesem Zweck besorgte ich mir Kerstin von Lingen: "Kesselrings letzte Schlacht: Kriegsverbrecherprozesse, Vergangenheitspolitik und Wiederbewaffnung" (erschienen 2004 bei Ferdinand Schöning). Für ihr Ansinnen hätte von Lingen Kesselrings Werdegang auch weglassen können. Tat sie aber nicht. Was für mich die Gelegenheit war, die Rolle Kesselrings bei der Absetzung der Projekte schwerer Bomber (Dornier Do 19 und Junkers Ju 89) zu überprüfen. Das Ereignis (April 1937) fiel in die Ägide Kesselrings als Generalstabschef der Luftwaffe. Er selbst drückt sich in seinem Buch elegant um die Beschreibung des eigenen Wirkens dabei (keine Erwähnung auf den einschlägigen Seiten 39 - 41), während er sich zur Gelegenheit der Luftschlacht um England über das Fehlen strategischer Bomber beschwert (S. 100).
Von Lingen äußert sich dazu auf S. 42 (Anhang 1). Sie bezeichnet die Entscheidung als "eine der umstrittensten", obwohl außerhalb von Luftwaffe und Luftfahrtindustrie niemand davon Kenntnis gehabt haben dürfte. Zeitgenössischer Widerspruch ist nicht bekannt, sodass "umstrittenst" nur für die Nachkriegsdiskussion gelten kann. Die als Zitatgrundlage (Anm. 63) angegebene Ausarbeitung von Sam Lewis erwähnt keine Originalquellen (Anhang 2 - 3). Für die lustige Fortsetzung in Anmerkung 63 "Die leichteren Flugzeuge wurden damals im Volksmund "fliegende Kesselringe" genannt" liefert von Lingen keine Zitatbasis. Der Satz kann frei erfunden sein. Er enthält die Unterstellung, die Diskussion über den schweren Bomber wäre 1937 der Öffentlichkeit bekannt gewesen und hätte dort eine Rolle gespielt, was kaum glaubhaft erscheint.
Dass Kesselring dem traditionellen Heeresdenken verhaftet gewesen sein soll, könnte stimmen. Nicht überliefert ist jedoch die Behauptung, er hätte strategische Bombardierungen strikt abgelehnt. Anmerkung 66 (Lingen, S. 42, Anhang 1) beinhaltet ein glattes Falschzitat. Auf Seite 437 im Band 6 von "Das deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg" kommt Kesselring überhaupt nicht vor (Anhang 4, leider lässt der dicke Band einen besseren Scan mit meinen Mitteln nicht zu). Laut Register dieses Bandes erscheint er erst auf Seite 455, und dort in anderem Zusammenhang. Die Behauptung findet sich stattdessen bei Lewis, S. 273 (Anhang 2, wie gesagt ohne Zitatgrundlage). Einschlägige Äußerungen Kesselrings andernorts waren für mich nicht auffindbar.
Fundstellen von Interesse finden sich wieder in der ebenfalls durch von Lingen als Quelle angegebenen Biographie von Kenneth Macksey ("Kesselring: The Making of the Luftwaffe", New York 1978). Aber obwohl von Lingen das Werk von Macksey als wissenschaftlichen Anforderungen entsprechend darstellt (S. 24 Anm. 51), enthält auch dieses keine Veweise auf Originalzitate (S. 46 - 53, Anhang 5 - 8, davon erscheinen 6 und 7 aufgrund der technischen Beschränkung im anschließenden Posting). Was nicht nur in Bezug auf die hier angesprochene Problematik enttäuscht, sondern auch für den Versuch, Kesselrings "Heldentaten" im Ersten Weltkrieg nachzuweisen (ds., S. 23 - 27). Obwohl damals erst im Oberleutnants- bzw. Hauptmannsrang, soll er sich da bereits als gewiefter Taktiker erwiesen haben. Um so erstaunlicher dagegen erscheint der Umstand, dass Kesselring in seiner Autobiographie nichts davon erwähnt, da gibt er an, praktisch nur Stabs- und Generalstabsdienst geleistet zu haben (dort S. 14). Einen veritablen Verriss von Macksey liefert Stephen G. Fritz: https://www.h-net.org/reviews/showpdf.php?id=1527
Kesselrings Rolle bei der Absetzung der schweren Bomberprojekte bleibt demnach auch nach Auswertung der hier angegebenen Literatur ungeklärt. Unwidersprochen steht demnach die Begründung laut Lutz Budraß, Die deutsche Flugzeugindustrie 1918 - 1945, S. 528f Anm. 202, mit einer Kürzung der Haushaltsmittel.
Wer etwas zum Thema beitragen kann, möchte das bitte tun.
Grüße, Holger