Abschuß .... Teil 2
»Am Nachmittag – wieder im Krankenhaus – dann die Gewissheit. Zwei amerikanische Soldaten lagen gemeinsam in einem Zimmer, vor der Tür ein sowjetischer Wachposten. Beide Soldaten seien zur Beobachtung im Krankenhaus gewesen : " Die waren nicht schwer verletzt. "
Dr. Schroller war bei der Visite dabei. Mit ihm begutachtete auch der Chefarzt des Krankenhauses, Dr. Heinrich Mertens, sowie der Mediziner Dr. Lothar Daffenies die ungewöhnlichen Patienten. Ein Amerikaner habe um eine Zigarette gebeten, und Dr. Daffenies habe dem Soldaten eine Kasino angeboten. Dr. Schroller : " Die hat der Amerikaner mit Genuss geraucht. "
Die Amerikaner seien " ganz gut drauf " gewesen, erinnert sich Dr. Schroller. Angst hätten die nicht gehabt : " Das waren ziemlich coole Typen. " Für die Mediziner seien das " Patienten wie alle anderen " gewesen, sagt Dr. Schroller – obwohl Rauchen ansonsten natürlich verboten gewesen sei. Nach einem oder zwei Tagen seien die beiden Soldaten in die sowjetische Kommandantur – das heutige Amtsgericht – gebracht worden.
Dort spielten sich in den nächsten Tagen außergewöhnliche Szenen ab. Aus Potsdam von der dortigen Militärmission waren Amerikaner gekommen. Dr. Schroller, der in der Bornemannstraße wohnte, sah, wie vor dem Eckhaus gegenüber der Kommandantur ein großer amerikanischer Zivilwagen stand : " Die Kinder waren wie verrückt und haben sich das Auto angesehen. Die Amerikaner haben ihnen Kaugummis gegeben. "
Er selbst habe Gespräche auf der Straße erlebt zwischen Amerikanern und Sowjets : " Der Ami hat gut Russisch gesprochen. " Das Verhältnis sei entspannt gewesen : " Die wussten miteinander umzugehen. " Nach einigen Tagen aber habe das Auto auf dem Hof der Kommandantur geparkt und war damit außer Blickweite.
An den amerikanischen Wagen vor der Kommandantur erinnert sich auch der Gardeleger Ulrich Damke. Der damals 17-Jährige hatte am 10. März auf dem Sportplatz Rieselwiese mit Freunden Fußball gespielt : " Ich stand im Tor, den Blick zur Stadt, da sah ich eine schwarze Rauchfahne am Himmel. " Seine Eltern hätten ihm später daheim erzählt, dass ein Flugzeug abgestürzt sei. Abends habe die Familie verbotenerweise Tagesschau geguckt. Dort hieß es, dass ein Flugzeug in der Nähe von Stendal abgestürzt sei. Damke : " Ich war so enttäuscht, dass Gardelegen nicht erwähnt wurde. "
Die amerikanischen Fahrzeuge vor der sowjetischen Kommandantur seien natürlich " die Sensation " gewesen. Sein Direktor an der EOS habe damals gesagt, es müsse doch wohl nicht sein, dass sich so viele Leute vor der Kommandantur herumtreiben, nur um amerikanische Autos zu sehen.
Auch Hartwig Lenz aus Lindstedt, damals 14 Jahre alt, spielte an jenem 10. März 1964 Fußball. Er erinnert sich an ein Manöver der Roten Armee in der Region : " Der Wald war voller Russen. " Plötzlich habe es ein Luftgefecht gegeben, das Knallen der Bordkanonen sei laut zu hören gewesen. Wenig später sei ein Flugzeug " wie eine brennende Zigarre " runtergetrudelt ". Lenz : " Wir Jungs dachten : Ein richtig gutes Manöver, das fetzt ja. " Am Himmel schwebten drei Männer an Fallschirmen. Wenig später seien zwei Düsenflieger ganz dicht über den Sportplatz geflogen : " Wir haben uns doll erschrocken. " Die Jungs seien mit dem Fahrrad zur Absturzstelle gefahren, " aber die Russen hatten gleich alles abgesperrt ". Später sei der ganze Wald mit Staniolstreifen voll gewesen. Die Posten, die in den Tagen danach aufgepasst hätten, hätten sich aus Rumpfteilen einen Unterstand gebaut, erinnert sich Lenz.
Klaus Robeck wohnte damals wie heute an der Bahnhofstraße – direkt gegenüber der Kommandantur. Damals 20 Jahre alt sah er staunend, was sich dort abspielte. Am Abend des 10. März, so erinnert er sich heute, seien zwei amerikanische Soldaten auf einem offenen Russenjeep vorgefahren worden, beide hätten noch die Fliegerkappen aufgehabt.
Anschließend seien jeden Tag zwei große amerikanische Fahrzeuge vor der Tür gewesen, die Amerikaner hätten oft Schokolade an die Kinder verteilt. Die Fahrer aber hätten in ihren Fahrzeugen " oft geschlafen ". Einige Flugzeugteile seien später auf den Hof der Kommandantur gebracht worden. Das habe er vom Flurfenster des Nachbarhauses aus gesehen. Irgendwann sei dann ein großes Spezialfahrzeug der Amerikaner mit Kran gekommen und habe die Teile weggebracht. Als die Amerikaner fortgefahren seien, hätten viele Bürger aus den Fenstern gewinkt.
Mit einem Freund sei er in diesen Tagen mit dem Rad an die Absturzstelle gefahren, die aber großräumig abgesperrt gewesen sei. Ein russischer Soldat habe ihm aber ein kleines, etwa Fünfmarkstück großes Flugzeugteil gegeben, eine Art Kugellager : " Die wussten ja, was wir wollten. " Das Souvenir habe er noch lange aufgehoben.
Auch der 77-jährige Volker Peckmann aus Gardelegen erinnert sich an den Tag. Seine kleine Tochter habe Geburtstag gehabt, einige Bekannte seien nachmittags zum Kaffeetrinken in der Wohnung an der Sandstraße gewesen. Dabei habe es " einen furchtbaren Knall " gegeben. Später sei die Familie spazierengegangen, die Tochter im Kinderwagen. " An der sowjetischen Kommandantur kamen wir aus dem Staunen nicht heraus ", erzählt Peckmann. Zahlreiche " Riesenschlitten " hätte dort gestanden, seiner Erinnerung nach nicht nur amerikanische, sondern auch britische und französische Fahrzeuge. Abends in der Tagesschau sei dann die Rede davon gewesen, dass ein " verirrtes Wetterflugzeug im Raum Stendal abgeschossen " worden sei.
Einen " Feuerball am Himmel " sah Klaus Debernitz aus Gardelegen. Der heute 66-Jährige sah gegen 13. 30 Uhr den Abschuss vom Kalbenser Petersberg aus, wo er bei den Grenztruppen arbeitete. Später sei er mit seinem Moped nach Hause nach Algenstedt gefahren. Seine Tochter und seine Schwiegermutter hätten den Abschuss bei der Arbeitseinteilung der LPG auf dem Boldemannschen Hof erlebt und ihm von drei Fallschirmen berichtet, die sie gesehen hätten. Er sei dann Richtung Hemstedt / Trüstedt gefahren und habe in Sadenbeck, benannt nach einer wüsten Ortschaft, Motor, Rumpf und andere Wrackteile gesehen. Volkspolizisten seien zwar dort gewesen, " abgesperrt aber war noch nichts ".
Gemeinsam mit Rolf Volbeding sei er mit dessen EMW wenig später erneut losgefahren. Sie hätten Waldarbeiter getroffen. Einer von ihnen, Richard Berck, habe erzählt, sie hätten einen der Amerikaner an der Straße von Hemstedt nach Algenstedt von einem Baum heruntergeholt. Vermutlich, so Debernitz, sei der Pilot vom damaligen Vorsitzenden der LPG Kassieck, Weber, ins Krankenhaus gefahren worden.
Zur Absturzstelle aber sei niemand mehr gekommen : " Das waren überall Russen, die mit Hubschraubern gekommen sind. " Noch im Herbst aber hätte er beim Pilzesuchen das " Lametta " und Teile des Flugzeuges gefunden.
In Algenstedt hätten später Amerikaner der Potsdamer Militärmission an den Häusern geklopft und die Bürger gefragt, was sie über den Abschuss sagen könnten.
Der Gardeleger Gerhard Henkel, damals bei der Forst beschäftigt, erlebte den Abschuss auf dem Schießplatz in Berge. Er hörte Schüsse und sah im Osten am Himmel eine Explosion, " als wenn etwas in kleinsten Teilen auseinanderfl iegt ".
--------------------------------------------------------------------------
Quelle:
www.volksstimme.de | Autor: Jörg Marten | Foto: © Claudia Schön«
:HOT