Ein sehr interessantes und großes Thema, wie ich finde...
Obwohl sich Lufthansa relativ spät für die Airbus A320 als Boeing 727-Ersatz entschieden (sie gehörten ja nicht zu den A320-Erstkunden), so war die Entscheidung zugunsten der A320 rückblickend eine Richtungsentscheidung, über die auch die ziemlich kurze Einsatzzeit von sieben Boeing 737-400 nicht hinwegtäuschen konnte.
Ursprünglich hielten Lufthansa die uns heute bekannte A320 für zu klein, möglicherweise einer der treibenden Faktoren für das seitens der Lufthansa frühe Drängen Ende der 1980er für die Entwicklung der Airbus A321, die „deutlich günstigere Kosten pro Sitz als die A320“ (oder so ähnlich) produzieren würde. Hier gibt es im Jahrbuch 1989 (?) der Lufthansa einen dementsprechenden Artikel.
Lufthansa entschieden sich somit schon in den 1980ern u.a. für die A320 und nicht – wie man eigentlich hätte glauben können – für eine große Boeing 737-400-Flotte als logische Folge ihrer langen Verbundenheit mit der Boeing 737. Schließlich galten in dieser fraglichen Zeit die A320, die Boeing 737-400 und die MD-80 als Mitbewerber um viele Aufträge bei zahlreichen Luftverkehrsgesellschaften. Hier waren Lufthansa aber bei der Frage A320 vs. Boeing 737-400 nicht alleine. United Airlines entschieden sich ebenso für die A320, während Northwest ebenfalls der A320 ihren Vorzug gaben. Rückblickend betrachtet hat sich die Boeing 737-400 in ihrer Produktionszeit nicht in der Größenordnung verkauft, wie es bei der A320 und MD-80 der Fall war.
In Europa konnten Boeing zwar eine Anzahl von bestehenden Boeing 737-Betreibern für ihre 737-400 gewinnen, aber es gab da schon die Unternehmen, die der A320 den Zuschlag gaben. Man denke an Air France und TAP Air Portugal. Gleichwohl konnte Boeing mit der 737-400 neue Kunden gewinnen oder halten: KLM sei erwähnt (Grundsatzentscheidung von Mitte der 1980er, ihre DC-9 durch Boeing 737-300/-400 und Fokker 100 zu ersetzen), der Turkish Airlines (wo die A320 und MD-80 gegen die 737-400 verloren), Olympic Airways, Malev, LOT, CSA und zahlreiche kleinere Unternehmen.
Mitte der 1990er gab es dann eine weitere wichtige Phase. McDonnell Douglas waren nur noch ein Schatten ihres früheren Erfolgs (daran änderte die MD-90 und die MD-95 nichts) und Flottenerneuerungspläne konzentrierten sich zumeist auf die A320-Familie und Boeing 737NG. SAS machte den Anfang und starteten das 737-600-Programm. Traditionelle europäische 737-Kunden orientierten sich aber mehrheitlich weg von Boeing. Ausnahmen bestätigen auch hier die Tendenz. KLM mag zwar eine große Ausnahme sein und auch die Malev glaubte in der 737Ng das richtige Instrument zu wählen.
Und hier wird deutlich, dass Boeing einerseits Charterfluggesellschaften und Niedrigpreisanbieter mit der 737NG immer mehr ansprechen konnte, während die Mehrheit der damals bekannten 737-Betreiber zur A320-Familie wechselten. Aer Lingus, Sabena, TAP, Air France, British Airways, British Midland usw..
Lufthansa waren – obwohl sich die Streckenprofile der verschiedenen Unternehmen teilweise stark unterschieden – somit nicht die einzige Linienfluggesellschaft in Europa, die der 737NG bis dato eine Abfuhr erteilten.
Es waren Entscheidungen, die Boeing nicht einfach ignorieren konnte, aber der Erfolg bei easyJet und Ryanair sowie anderen Unternehmen kompensierten sicherlich quantitativ den Verlust an früheren 737-Betreibern. Auch gelang es Boeing mehrheitlich nicht, MD-80-Betreiber in Europa für die 737NG zu erwärmen, bekannte Unternehmen wie Finnair, Alitalia, Iberia, Aero Lloyd, Swissair, Austrian oder Spanair sprachen sich gegen die 737NG aus. In den USA konnten dagegen Boeing durch (damals kontrovers diskutierte) „Exklusivverträge“ mit American Airlines, Delta und Continental, drei wichtige US-Linien für die 737NG gewinnen.
Die einst als Kurzstreckenmaschine entwickelte 737 wurde durch eine stetige Weiterentwicklung ein überaus leistungsfähiges Mittelstreckenflugzeug, welches aber das visuelle Auftreten kaum veränderte. Gleichzeitig entfernten sich Boeing mit der 737NG vom Niveau immer mehr von der – wie ich finde - universellen Boeing 737-300 als Standardkurzstreckenflugzeug mit einer „optimalen Mischung aus Kapazität, Reichweite und Leistungsfähigkeit etc“ oder der klassischen 737-200Adv..
Tatsächlich mehr oder weniger für den 100-Sitzer-Markt konzipierte modernere Flugzeuge verschwanden gleichzeitig stetig vom Markt, man erinnere sich an die Fokker 100, die BAe146/Avroliner, die MD-87, Boeing 737-500 oder auch letztlich die MD-95. Obwohl diese Modelle wohl unter dem Strich besser für Kurzstrecken geeignet waren und sind, überwogen die Vorteile, neben der A320 auch die A319 einzusetzen oder neben der 737-800 auch die 737-700 oder gar –600 – ein Derivat, welches man schwerlich als optimales Kurzstreckenflugzeug einstufen kann...
Letztlich war die 737-300/-500 für die Lufthansa damals die richtige und logische Entscheidung, so wie es für andere Unternehmen die A320 war oder die MD-80. Hier sieht man mitunter, dass gewachsene Flottenstrukturen und eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Hersteller eine Entscheidung vereinfachten. Mit der 737-300/-500 konnten Lufthansa doch damals gut einsetzbare und phantastische Flottenstaffelung anbieten:
Boeing 737-500/-300 (Ergänzung und Ersatz der 737-200Adv.). Airbus A320 (Ersatz der guten alten 727), Airbus A310, Airbus A300, McDonnell Douglas DC-10 und Boeing 747.
Ein erstes Anzeichen gegen die 737 seitens von vier europäischen Fluggesellschaften gab es offiziell in einem Artikel der Flight International in der Ausgabe 04.-10.04.1990:
Unter der Überschrift „737 rejected by European four“ wird berichtet, dass sich Austrian, SAS, Finnair und Swissair grundsätzlich gegen die 737 als zukünftiges Modell entscheiden hätten. (Damals gab es ja die 737NG noch nicht). Einige dieser Unternehmen glaubten, dass die 737 Ende der 1990er „outdated“ sein würde. Nur Airbus und McDonnell Douglas wurden gebeten, Offerten für bis zu 239 Flugzeuge vorzulegen und nur ein Unternehmen hätte Boeing´s 737 nicht ausgeschlossen: Finnair. Besonders Austrian und SAS seien davon überzeugt, dass die „A320/321 und MD-90 fortschrittlicher in den Bereichen Treibstoffverbrauch, Umweltverträglichkeit und Systemen sein würde“. Bekanntlich entschieden sich Austrian für die A320/321 als Ersatz ihrer MD-81/-82 und SAS bestellte zwar MD-90, schwenkte dann aber zur 737NG um.
Die lange Einsatzzeit stellt dies doch unter Beweis, wie gut sich dieses Modell bei Lufthansa bewährt, während manch anderes Unternehmen diese Modellreihe schon längst ausgemustert haben. Für das jeweilige Unternehmen waren die damals entschiedenen Flotten die individuell beste Lösung.
Auch glaube ich, dass politischer Einfluss (ob nun direkt oder indirekt) sehr wohl auch heute noch bei Flugzeugverkäufen eine Rolle spielen. Man erinnere sich historisch an den Druck auf Lufthansa, die BAC One-Eleven zu bestellen oder auch den Druck auf Austrian Airlines, ebenfalls das britische Modell zu bestellen („mit der One-Eleven gäbe es Austrian nicht mehr“ soll 1979 einer der Chefs von Austrian gesagt haben!). Alitalia und Air Canada mussten sich in den 1960ern ebenfalls ihre freie Entscheidung erkämpfen und manchmal half eben auch die EXIM-Bank mit, wenn es um die Finanzierung von in den USA produzierten Flugzeugen ging oder eben ein lukrativer Auftrag für einen Zulieferer im Heimatland winkte.
Airbus hatte es in den 1970ern verdammt schwer, Kunden für ihre A300 zu finden. Erst mit der Entscheidung seitens der Eastern Air Lines wurde der Durchbruch geschafft und zahlreiche andere Fluggesellschaften entschieden sich ebenfalls für Airbus. Hier gehörte sicherlich viel (politische) Diplomatie dazu, dass sich immer mehr Unternehmen für Airbus erwärmen konnten. Ohne Politik geht es nicht und selbst der Wille eines Herstellers, einen bestehenden Kunden nicht kampflos an einen Rivalen zu verlieren, ist Politik.
Warten wir mal ab, was als Nachfolger kommt. Ich kann die Unternehmen sehr gut verstehen, die eine Wartehaltung haben und substanzielle Kostensenkungen tatsächlich garantiert haben wollen. Für eine SAS ist es noch immer günstiger, ihre MD-80 einzusetzen als eine nagelneue 737-700.
Falls American Airlines ihre letzte fabrikneue 737-800 erhalten, können diese sich gleich nicht nur Gedanken machen, wer nun die MD-80 ersetzt, sondern auch die 737-800...
Lufthansa ist in dieser Hinsicht doch auch ähnlich. Die 737 können sehr flexibel der Nachfrage entsprechend eingesetzt werden, sind wohl längst alle finanziell abgeschrieben (?) und technisch sicherlich in einem guten Zustand. Die 737NG würde hier (fiktiv) als Ersatz nicht den Sprung nach vorne bieten, wie es sich (nicht nur) Lufthansa sicherlich erwartet.
Gruss :-)