Hinterher schlauer sein ist eine exakte Wissenschaft
Schorsch schrieb:
Soweit erstmal. Ne deutschsprachige Analyse meinerseits kommt später. Leider ist das Video ja weg, aber ich habe es mir oft genug angeschaut . Sogar was rausgeschrieben.
Der Unfallhergang ist ja inzwischen ausreichend geklärt, und wie so oft fragt man sich, wie die Piloten das hinbekommen haben. Als wenn sie zum ersten Mal dringesessen haben. Wenigstens leben sie noch, so dass man nicht aus Pietät auf Kritik verzichten muss.
Als kleine Miniaturkurzzusammenfassung für den schnellen Leser die Top Ursachen:
- ein Triebwerk ausgefallen, aber das falsche beim Anflug im Leerlauf gehabt (während das andere abgeschaltet war, somit nur zwei Triebwerke)
- ziemlich verkorkster Anflug, viel zu niedrig
- Klappenstellung unangepasst, 40° anstatt 25° oder besser noch 17.7°; dadurch viel zu hoher Widerstand
- kein Plan der Mannschaft über Flugzustand, das trotz vier Mann im Cockpit, darunter ein Flight Instructor
So, nun zum technischen.
Aus den Berichten können wir ersehen, dass die Galaxy 114 Tonnen (250.000 Pfund) Sprit an Bord hatte und 47.7 Tonnen (105.000 Pfund) Zuladung. Insgesamt wird das Startgewicht mit 337 Tonnen angegeben, somit 12 Tonnen unter MTOW (interessanterweise ergibt sich daraus ein OEW von 175.8 Tonnen, 6 Tonnen mehr als in Quellen angegeben). Wie bereits in meinen Berichten angemerkt, ist die Galaxy nicht gerade übermotorisiert. Der Ausfall eines Triebwerks stellt somit (wie bei fast jedem vollbeladenen Flugzeug) ein schwerwiegendes Problem da, speziell kurz nach dem Start.
Mit etwa 1 Tonne Sprit verbraucht, sackt das Schub/Gewichtsverhältnis (SzuG) auf etwa 0.15 (bei V2), was eine Gleitzahl von 7 erfordert, somit recht unkritisch.
Am Anfang der Animation flog die Galaxy mit etwa 150 Knoten quer zum Anflugpfad. Klappen bei 25°. Die Stallspeed war da weit entfernt, auch wenn sie eigentlich für ihre missliche Lage etwas zu langsam bzw. tief waren (nur 1300 Fuss).
Nur zwei Triebwerken waren aktiv. Wie gesagt: der Kapitän hatte Triebwerk 3 auf Idle geschoben, Triebwerk 2 (das ausgefallene) aber auf Schub; dieses war jedoch bereits ausgeschaltet und Ursache der ganzen Veranstaltung. Das SzuG fiel jetzt bei 150kts auf etwa 0.1, somit war eine Gleitzahl von 10 erforderlich zum Höhe halten. Die Gleitzahl lag bei 25° Klappenstellung bei etwa 9 bis 10. Also reichte theoretisch noch. Allerdings musste man noch einige Turns machen, die der Pilot auch nicht sonderlich toll hinbekommt. Die so wertvolle Energie tröpfelt dahin und keiner merkt irgendwas, weil sie anscheinend zu fasziniert auf ihre neuen Bildschirme starren.
Dann unter dem Call-Out "Flaps Land" drehte man die Klappen auf voll, also 40°. Eigentlich lernt man das recht früh, dass man mit TW-Ausfall keinen Full-Flap-Approach macht. Jedenfalls rutschte die Gleitzahl auf erbärmliche 7 bis 8, also zu wenig für die bescheidene Leistung. Dann nahm das Elend seinen Lauf:
Speed Altitude AOA
[kts] [ft] [deg]
149 562 8
137 350 10
129 272 11
127 180 12
Dann wurde den Beteiligten langsam klar, dass sie keine Geschwindigkeit mehr hatten, auch keine Höhe mehr, dafür aber noch viel Abstand zur Landebahn. Die Stall-Speed bei 40° Flaps lag bei etwa 112kts, die normale Approach-Speed (1.3*Vs) lag bei 145 Knoten (also fast 20 Knoten über der aktuellen Geschwindigkeit). Zu diesem Zeitpunkt kann man bereits die Computerstimme des EGPWS "Speed" rufen hören.
Um den Widerstand zu verringern, wurden nun die Klappen auf 25° (oder 20°, weiß ich nicht genau) zurückgefahren. Das war sicherlich nicht weise, jedenfalls nicht mehr zu dem Zeitpunkt. Die Stall-Speed schob sich auf 118 Knoten. Der Anstellwinkel schoss von 12° auf 18-20°. Der Widerstand hat sich damit nicht wirklich verringert. EGPWS sagte zu diesem Zeitpunkt - etwas zynisch - "Don't Sink". Etwa 50 Fuss vor dem Boden ging der Stick-Shaker los, als der Pilot (etwas unbeholfen meiner Meinung) noch zwecks Ausweichen eines Mastes die Maschine hochzog (was die Maschine natürlich lediglich mit einem aufbäumen belohnte, nicht aber mit mehr Flughöhe). Der Anstellwinkel stieg auf 21° und das Heck schlug auf. Letzter Kommentar des Piloten: "Shit".
Nun, was falsch lief kann man ja in den Berichten nachlesen. Im Prinzip war schon etwas früher nicht mehr viel zu machen. Die Wiederbelebung des Triebwerks hätte noch was retten können. Was mir etwas unklar ist, warum der Pilot die Maschine nochmal so aprubt hochzog. Wahrscheinlich Reflex. Ich behaupte, dass wenn er dass Ding mit normaler Sinkrate weitergeflogen hätte (also die Flaps auf 40° lassen), er relativ sanft im Acker aufgekommen wäre. Auch mit den 25° hatte er noch eine minimale Reserve und hätte das Ding relativ sanft in den Acker setzen können. Das hätte schlimmstenfalls das Fahrwerk gekostet.
Das Video taugt auf jeden Fall als Instruktion für Flugschüler.