Da ich mich in den letzten Jahren sehr intensiv mit Verlustlisten (insbesondere bzgl. des Vietnamkrieges) beschäftigt habe, möchte ich mal etwas ausführlicher zu der Quellenfrage Stellung beziehen. Insbesondere, weil hier immer wieder gerne ins Leere laufende Argumente wie „Falls das nicht stimmt, warum sollen die andere Angaben für wahr gehalten werden?“ herangezogen werden. Für den Koreakrieg gilt da nichts anderes, als für den Vietnamkrieg.
Natürlich gibt es zahlreiche (unbeabsichtigte oder bewusste) Fehler in solchen Statistiken. Dies ist immer so und hat eine solche Vielzahl von Gründen, das man berechtigte Zweifel daran haben kann, jemals eine wirklich einwandfreie Aufstellung für egal welchen Konflikt zu erhalten. Aber – und dieses "Aber" ist mir sehr wichtig – hinter all den Fehlern steckt normalerweise weniger als die meisten der Anhänger irgendwelcher Verschwörungstheorien, die die vom Westen vorgelegten Datenwerke gerne als reine Propaganda abtun und nur russischen Daten glauben, zugestehen mögen.
1.) Es gibt selbst in strengen Anerkennungssystemen immer (vorsätzliche wie fahrlässige) Overclaims. Die gibt es immer und diese werden meist erst nach dem Krieg aussortiert, um die Moral der eigenen Truppe nicht zu schädigen. Overclaims ergeben sich aus verschiedenen Gründen. Zum einen Problemen bei der Beobachtung des Absturzes in einem laufenden Kampfgeschehen. Hier wurden manchmal die Absturzstellen anderer Maschinen als die des eigenen Opfers angesehen oder man ging trotz fehlender Absturzbeobachtung irrig davon aus, dass diese Maschine es angesichts der vermeintlichen Schäden einfach nicht geschafft haben könnte. Gerade letzteres ist sehr oft vorgekommen, landete eine solche Maschine dann auf einem anderen Flugplatz konnten Beobachtungen der Aufklärung (8 abgeflogen, nur 7 zurückgekehrt) leicht zur „Bestätigung“ dieses „Abschusses“ führen. Die Einscätzung der Schwere der Beschädigung ist in einer Kampfsituation sehr schwirig und wird gerne zu hoch angesetzt.
Ansonsten wird auch gerne ganz platt gelogen, insbesondere dann, wenn der jeweilige Pilot oder das Geschwader kurz vorm Erreichen einer besonderen Zahl (z.B. fünfter Abschuss bei Piloten = Fliegerass) stand oder sich in einer wettkampfartigen Situation mit anderen Piloten oder Geschwadern befand. Da die Bestätigung durch einen Staffelkameraden meist ausreichte, ging das sehr leicht. Vor diesen Fehlern ist kein System immun und je schlechter ein Krieg gerade läuft, um so stärker lässt man hier die Zügel schleifen.
Hieraus ergibt sich, dass an der Glaubwürdigkeit der Aufstellungen über eigene Erfolge immer Zweifel angebracht sind. Wenn die Daten beider Seiten zugänglich sind, ist hier ein mühsamer Abgleich möglich, der in aller Regel zu einer massiven Reduzierung der Erfolge aber fast nie zu einem Ansteigen von eigenen Verlusten führt. Lustigerweise bringen dann die „Verlierer“ dieser Neuauszählung gerne das Argument, die Gegenseite hätte ja gar nicht alle Verluste angegeben, um ihre eigenen Verlust schön zu rechnen. Dabei zeigt die Erfahrung und Auswertung gerade dieser Aufstellungen, dass die eigenen Verluste meist sehr viel penibler aufgelistet werden, als die eigenen Erfolge. Womit wir zu 2. kommen.
2.) Zwar werden die eigenen Verluste immer mit größter Sorgfalt dokumentiert und untersucht, aber dann werden die Ergebnisse aus Gründen der öffentlichen Wahrnehmung oft verfälscht. Die Zahl der eigenen Verluste ist im Westen nicht wirklich dauerhaft zu verheimlichen, da jeder nachschauen kann, wie viele Flugzeuge eines bestimmten Typs gekauft wurden und wie viele noch da sind. Unstimmigkeiten in der Statistik führen schnell zu einem Mordsgeschrei und extrem genauen Nachfragen. (siehe auch den Thread
http://www.flugzeugforum.de/forum/showthread.php?t=23611). Schummeln kann das Militär also in aller Regel nur beim Grund des Verlustes, nicht aber beim Verlust selber. (Für geheimdienstliche Operationen gilt anderes, hier werden normalerweise grundsätzlich keine Angaben gemacht, also auch keine zu Verlusten.) Für das Verfälschen solcher Verluste bietet sich das recht wabbelige Einteilungssystem gerade zu an. Schreibt die USAF in einem Verlustbericht, die F-4 Phantom II sei über Süd-Vietnam wegen Treibstoffmangels abgestürzt ist da fast alles möglich. Treibstoffmangel ist normalerweise ein „operativer Verlust“, was den Eindruck eines nicht kampfbezogenen Verlustes erweckt, genau diesen Eindruck möchte die USAF auch gerne erzeugen. Wenn aber der Treibstoffverlust dadurch verursacht wurde, dass die F-4 von der nordvietnamesischen Flak durchsiebt wurde und sich nur noch gerade nach Südvietnam retten konnte, dann wäre es ein „kampfbezogener Verlust“. So kann man aus dem einen das andere machen. Was aber, wenn der Treibstoffmangel dadurch hervorgerufen wurde, dass der F-4 Pilot irgendwelchen MiGs nachgejagt ist, ohne diese zu erreichen und dabei seine Afterburner zu viel Treibstoff verbrannt haben? Was macht man da? Was macht man mit Maschinen, die zwar nur beschädigt wurden, aber die nicht wieder repariert wurden, weil sich die Mühe nicht lohnte? Was macht man mit all den Fällen wo keiner genau weiß, was da passiert ist? Fällt eine Maschine wegen eines technischen Defektes plötzlich vom Himmel gibt es immer eine nahe gelegene Einheit, die gerne die Verantwortung für den Abschuss übernimmt. Aber sind solche Angaben glaubhaft? Das US Militär hat im Vietnamkrieg dann gerne die Frage offen gelassen und die Maschine bis zum Beweis übers Gegenteil als operativen Verlust ggf. mit Zusatz der Vermutung des Abschusses geführt.
Auch gerne gemacht, weil auch nicht wirklich gelogen, ist es wenn bestimmte Verluste einem anderen Kommando zugeschrieben sind, und so nicht sofort als Kriegsverlust erkennbar sind. Wurden mit den B-52 gerne gemacht. Solange denen etwas außerhalb des Einsatzgebietes passierte, war es ein Verlust z.B. des Kommandos in Guam.
Ja, da haben sie gern und oft geschummelt, aber nicht an der Zahl der eigenen Verlusten. Bestimmte Teilstreitkräfte mehr als andere.
Nach Auswertung von etwa 4000 Abschussberichten aus dem Vietnamkrieg gilt bei mir bzgl. Verfälschungen folgende Rangfolge:
Keine Verfälschungen bei den Angaben der USCG.
Kaum Verfälschungen bei den Angaben des USMC, die scheinen es sehr zu schätzen die Gefährlichkeit der eigenen Tätigkeit durch eigene Verluste zu beweisen. Manchmal besteht sogar der Verdacht, unerfreuliche operative Verluste sind in annehmbare kampfbezogene Verluste umgedeutet worden!
Einige Verfälschungen bei den Angaben der USN, aber eine starke Tendenz diese recht schnell nach Kriegsende wieder durch penibelste Veröffentlichungen zu korrigieren.
Einige Verfälschungen bei den Angaben der US Army, mit der Tendenz diese nicht zu korrigieren, weil man ja eh schon immer so schlecht überall abschneidet. Besonderes Problem sind die nie in die Verlusttabellen eingeflossen stillen Write-Offs, deren Wracks (meist Hubschrauber) jahrelang auf irgendwelchen Einsatzstützpunkten kannibalisiert vor sich hin rotteten, um dann bei Kriegsende einfach mal mit einem Pinselstrich als „not returned to CONUS“ aus den Listen gestrichen zu werden.
Etliche Verfälschungen bei der ANG, mit meist unfreiwilligen Korrekturen, da die re-zivilisierten Piloten nach ihrer Rückkehr zu Hause zu gerne offen jedem erzählen, was denn wirklich geschehen ist.
Etliche Verfälschungen bei den Angaben der USAF mit einem hohen Widerstand gegen spätere Korrekturen. Aus diesem Lager kommen zumeist auch die Overclaims und die Behauptungen, dass den gegnerischen Verlustzahlen nicht zu glauben sei, da deren Erfolgszahlen ja auch nicht zu glauben sei.
Noch ein paar Sätze zu den russischen Quellen, von denen sich so viele nun die ganze Wahrheit versprechen. Das Problem mit russischen Quellen ist, das sie sich permanent massiv widersprechen. Selbst die besten und ehrlichsten Historiker müssen daran verzweifeln. Die zur Verifizierung und Rekonstruktion der wirklichen Zahlen erforderlichen Unterlagen sind
kaum beizubringen. Es gibt massenhaft schlecht gefälschte „Geheim-Unterlagen“ oder einfach auch echte, aber schon beim Abfassen massiv verfälschte Dokumente, die mal das eine, mal das andere behaupten, je nachdem, was der Adressat des Berichtes denn gerne lesen wollte. So es wirklich belastbares Material gibt, ist dieses noch nicht in der erforderlichen Form verfügbar geworden. Vielleicht kommt das noch. Aber ganz ehrlich, ich erwarte nur Korrekturen an den Erfolgstabellen, nicht an den Verlusttabellen. Letztendlich ist es auch für die Bewertung des Gesamtkampfgeschehens ziemlich egal, da einzelnen Flugzeugen trotz des medialen Übergewichts in der öffentlichen Wahrnehmung, eine recht unbedeutende Rolle bei kommt. Flugzeuge sind derzeit schlicht das, was früher die Ritter und dann die Schlachtschiffe waren, der Aufhänger für tolle Geschichten. In Wirklichkeit sind Jagdflieger aber auch nur ein weiteres Zahnrädchen in der Kriegsmaschine.
P.S. Was gut vor der Geschichte aussehen anbelangt, da haben derzeit die Soldaten der ehemaligen sowjetischen Streitkräfte ein viel massiveres Interesse dran, als die Soldaten im Westen. Nur mal so nebenbei gesagt.