Reine Papierprojekte der deutschen Luftrüstung

Diskutiere Reine Papierprojekte der deutschen Luftrüstung im WK I & WK II Forum im Bereich Geschichte der Fliegerei; Keine Ahnung, wie das administrativ ablief. Ich weiß nur, das der Uk-Antrag für jeden einzelnen Mitarbeiter von der Firma an die betreffende...
Junkers-Peter

Junkers-Peter

Astronaut
Dabei seit
23.06.2006
Beiträge
2.961
Zustimmungen
5.517
Keine Ahnung, wie das administrativ ablief. Ich weiß nur, das der Uk-Antrag für jeden einzelnen Mitarbeiter von der Firma an die betreffende Dienstelle der Wehrmacht gesandt wurde und diese den Antrag genehmigte oder eben ablehnte.

Meine konkreten Fälle betreffen auch nicht das Entwurfsbüro, sondern andere Abteilungen. So wurden die Flugversuchsingenieure Geyling und Kell Ende 1943 zur Wehrmacht eingezogen. Einige Teilkonstrukteure mussten z.B. 1942 zur Wehrmacht. Man sollte noch erwähnen, dass die erste große Einberufungswelle bereits mit Kriegsausbruch im September 1939 die Industriewerke auf dem Entwicklungssektor, und nicht nur dort, schwächte.

Im Entwurfsbüro von Junkers bearbeitete nicht nur ein Ingenieur jeweils nur ein Projekt. Es gab dort verschiedene Unterabteilungen, so waren manche Mitarbeiter nur für Leistungs- Gewichts- und Schwerpunktsrechnungen zuständig, andere für die Aerodynamik usw, und das für alle Projekte.
Anders sah es in der Abteilung "Weiterentwicklung" aus, dort gab es jeweils eine Abteilung für die Fortentwicklung der in Serie laufenden Typen wie Ju 87, Ju 88, Ju 188, Ju 52 usw. Hier weiß ich aber auch, dass z.B der verantwortliche Mann für die Ju 87, Hans Schurz, nach Einstellung der Serienproduktion in eine andere Abteilung versetzt worden ist.

in den letzten Kriegswochen bearbeitete das Entwurfsbüro u.a. die Ju 287 (im Januar 1945 wieder aufgenommen), Ju 248, Fernerkunder 8-635, EF 126, EF 127, EF 128, Mistel sowie ein Leichtbau-Jägerprojekt.
 
Zuletzt bearbeitet:
AGO Scheer

AGO Scheer

Space Cadet
Dabei seit
12.01.2014
Beiträge
1.600
Zustimmungen
3.327
Nein, Henning, Beispiel: Entwurfsingenieur Dr. Max Mustermann sitzt in einer Abteilung und das RLM verfügt, dass die Firma XY keine Entwicklung mehr betreiben darf, und macht die Entwurfs-Bude dicht. Das heißt aber nicht, dass es keine Konstruktionsabteilung mehr gibt. In einem derartigen Werk musst du Konstrukteure haben. Das Kobü existiert also ausgedünnt weiter. Gründe hatte ich schon genannt. So, jetzt zu Dr. Mustermann. Den erwischt nicht der Heldenklau. Andere Firmen, die vom RLM Aufträge bekommen wollen(!) und müssen, sind auf gute Leute angewiesen. Das RLM oder Jägerstab versetzt jetzt Dr.Mustermann entspechend der Priorität oder eine andere Firma ist auf Dr. M. scharf und fordert den an. Wie auch immer: Er und sein Trupp machen auf alle Fälle weiter. Und ist das Projekt auch noch so verrückt. Es KÖNNTE ja doch funktionieren.
Beispiel: Hätte 1940 jemand gesagt, dass es bald ein motorlosen Hubschrauber gibt, den man zusammenklappen kann, im U-Boot mitnehmen und den eigentlich jeder fliegen kann...Was hätte man dem geantwortet?
Gerade in der katastrophalen Lage waren zur Betäubung der Untergangsahnung die haarsträubendsten Ideen besonders gefragt: "Was? Achtstrahliger Amerikabomber? Aus Holz? Toll, brauchen wir!"
 
Junkers-Peter

Junkers-Peter

Astronaut
Dabei seit
23.06.2006
Beiträge
2.961
Zustimmungen
5.517
Das Hin- und Herschieben von Konstrukteuren und Kontingenten hat es immer gegeben. So hat Junkers 1939/40 fast die gesamte Fieseler-Mannschaft in Beschlag genommen für Konstruktionsarbeiten an der Ju 88 B und Ju 288. Fieseler war kurz zuvor zum Lizenznehmer degradiert worden. Anscheinend war dies aber nicht von Dauer, da Fieseler weiter an der 256 arbeitete und später bekanntermaßen die Fi 103 herausbrachte.

Beispiel für die Verlegung eines gesamten Konstruktionsbüros: Weserflug Bremen. Eigentlich ein reiner Lizenznehmer, der aber ein Kobü für Triebwerksumbauten und Triebwerks-Erprobungsträger besaß. 1942 Verlegung zur DLH-Staaken wegen des berüchtigten "Weser-Tempos".

Ab 1944 entbrannte der Kampf um Konstrukteure in erster Linie zwischen der Bomber- und Jägerfraktion.
 
Hal Oele

Hal Oele

Flieger-Ass
Dabei seit
15.03.2016
Beiträge
354
Zustimmungen
1.479
Ort
Düsseldorf
Werte Gemeinde.

Wie so oft, fehlt Euch das entsprechende Verständnis für Strukturen (jetzt bloß nicht falsch verstehen)!

In all den Ausführungen hier, geht nicht einer auf die Ausschaltung Milchs und seines Postens als GL im August 1944 ein.
Speer und Saur haben seit Sommer 1944 alles fest im Würgegriff gehabt. Die SS übernahm durch Kammler mehr und mehr Einfluss.
Davor hatte die Industrie die Hosen gestrichen voll! Das RLM hatte im Prinzip nicht mehr viel zu sagen.

Und genau darum konnte man die in den Industriebüros sitzenden Ingenieure schön mit utopischen Projekten beschäftigen, die über die Beutematerialien ihren Weg in die Welt nahmen. Jahrzehnte später sorgte dieser unausgegorene Mist für eine Flut von Büchern über die sogenannten Geheimprojekte der Luftwaffe!
Und weil die Kombination von Nazis-Geheim-Flugzeuge-Endkampf noch immer für gute Verkaufszahlen sorgt, wird dieses Thema nie aussterben.

Ich hänge Euch mal zum besseren Verständnis einige entscheidende Dokumente dran - speichert sie ab und lernt sie auswendig bevor man wieder einmal ein solches Thema lostritt. Halb- bis gar kein Wissen ist brandgefährlich für historische Aufarbeitungen.

Gruß
Hal
 
Anhang anzeigen Anhang anzeigen Anhang anzeigen
HoHun

HoHun

Space Cadet
Dabei seit
10.10.2014
Beiträge
1.429
Zustimmungen
2.193
Moin!

In all den Ausführungen hier, geht nicht einer auf die Ausschaltung Milchs und seines Postens als GL im August 1944 ein.
Welche Auswirkungen hatte es denn? In Irving's "Die Tragödie der deutschen Luftwaffe" gibt es meiner Erinnerung nach mindestens eine Stelle, an der Milch sich über den steigenden Personalbedarf der Wehrmacht echauffiert. Steht da wirklich dahinter, daß Milch der Einberufung von qualifiziertem Personal tatsächlich entgegengetreten ist (und daß das nach seiner Ausschaltung nicht mehr so lief)?

Und genau darum konnte man die in den Industriebüros sitzenden Ingenieure schön mit utopischen Projekten beschäftigen, die über die Beutematerialien ihren Weg in die Welt nahmen. Jahrzehnte später sorgte dieser unausgegorene Mist für eine Flut von Büchern über die sogenannten Geheimprojekte der Luftwaffe!
In den von Dir dankenswerterweise angehängten Dokumenten ist ja erwähnt, daß der Chef des Technischen Luftrüstung (TLR) verantwortlich ist für die "Forschung, Entwicklung, Erprobung und Übernahme des gesamten Luftwaffengerätes". Fallen nicht die meisten "Geheimprojekte" (d. h. vor allem die ohne Aussicht auf Verwirklichung) einfach unter "Forschung" und gehörten damit zu den routinemäßigen Aufgaben der vom Chef TLR damit beauftragten Industrie?

Tschüs!

Henning (HoHun)
 
AGO Scheer

AGO Scheer

Space Cadet
Dabei seit
12.01.2014
Beiträge
1.600
Zustimmungen
3.327
Moin Mchen,
hm, das war ja ne dicke Keule.
Aber die in deinem Dokument aufgeführten eingezogenen Ingenieure sind keine "Industriellen". Da finde ich keinen, der aus einem Werk an die Front beordert wurde.

Was Karl-Otto und sein Trupp angeht: Da hab ich mich doch bereits zum Thema Jägerstab und Sonderausschüsse auseinandergesetzt (und deren Dokumente im BA studiert, freilich hauptsächlich AGO betreffend, aber bei den Besprechungen waren ja alle vertreten). Ich finde jetzt keinen unmittelbaren Bezug zur Eingangsfrage, weil es in den Besprechungsprotokollen (die ich im BA gelesen hatte) kaum um "Projekte" ging.

Sicher ist, dass die geforderten Zahlen der Jägerproduktion mit allen Mitteln ausgebracht werden sollten. Selbst Direktoren wurde "Schutzhaft" angedroht, würden sie die Fertigung "inhibieren". Habe die Quelle jetzt nicht parat, muss erst ins Buch schauen. Folglich ist deine Anmerkung mit "Hose voll" unwidersprochen- weil belegt.

Aber inwieweit das ganze Brimbamburium mit Sonderauschüssen, Jägerstab (immer die laufende Produktion betreffend) jetzt "Papier-Projekte" begünstigen würde, erschließt sich mir grad nicht. Hilf mir!

Denn: Im Gegenteil: Lt. Anweisung des Dicken hätte "jeder unnötige Aufwand als Sabotage an der Luftwaffe" angesehen werden müssen. Sicher lässt das Interpretationsspielraum... und Kammlers Machtgewinnt resultierte doch letztlich nur daraus, dass er hatte, was der Industrie fehlte: Menschen, also aus dem, von der Industrie verlangten, Häftlingseinsatz.

@HoHun
Deine Sekundärquelle ist nicht so toll. Besser: Streitschrift "Tragödie der Luftwaffe?" vom Osterkamp.
 
Zuletzt bearbeitet:
Junkers-Peter

Junkers-Peter

Astronaut
Dabei seit
23.06.2006
Beiträge
2.961
Zustimmungen
5.517
Selbstverständlich sind mir, und wahrscheinlich auch Rene, die Abläufe in der Luftrüstung bis 1945 recht gut geläufig. Außerdem hatten der Jägerstab oder das Speer-Ministerium mit der Bearbeitung der Projekte wenig bis überhaupt nichts zu tun - und um Projekte gings in der Ausgangsfrage von Robert in #1.

Nicht umsonst schrieb ich im Beitrag #8 von OKL/Techn. Luftrüstung. Diese Institution hat das Amt des Generalluftzeugmeisters beerbt und sogar größtenteils dessen Strukturen übernommen. So hieß das frühere GL/C-E 2 nun Chef TLR Fl. E-2 und war für die Zellenentwicklung zuständig und damit auch für die Projekte. Und ich wage zu behaupten, dass 90% der Beamten genau dasselbe machten wie vorher, nur das auf dem Briefkopf nicht mehr RLM stand, sondern Chef TLR. Im Ablauf der Entwicklung neuer Maschinen hatte sich grundsätzlich nichts geändert, außer das die Fronten immer näher rückten. :TD:

Milch war de facto seit Frühjahr 1944 aus der Luftrüstung ausgebootet, nicht erst im August.
 
Zuletzt bearbeitet:
HoHun

HoHun

Space Cadet
Dabei seit
10.10.2014
Beiträge
1.429
Zustimmungen
2.193
Moin!

@HoHun
Deine Sekundärquelle ist nicht so toll. Besser: Streitschrift "Tragödie der Luftwaffe?" vom Osterkamp.
Schon klar, was Irving für eine "Quelle" ist. Aber daß sich Milch von Irving auch nach dem Krieg als Gegner der Personalpolitik der Wehrmacht darstellen läßt, weist zumindest darauf hin, daß es dort wirklich ein Konfliktfeld gegeben haben könnte.

Osterkamp steht bei mir auch im Regal - durchaus interessant in Bezug auf die Person des Autors, nicht unbedingt der Bringer in Bezug auf die Geschichte der Luftwaffe.

Tschüs!

Henning (HoHun)
 
Junkers-Peter

Junkers-Peter

Astronaut
Dabei seit
23.06.2006
Beiträge
2.961
Zustimmungen
5.517
Anbei ein Beispiel für ein Dokument erstellt von Chef TLR Fl. E 2 an Blohm & Voss vom November 1944 betreffs eines Projekt. Man sieht, dass noch die alten RLM-Briefköpfe verwendet worden sind. Die alte Abteilung GL/C-E 3, die für Motoren zuständig war, hieß dann entsprechend Chef TLR Fl. E 3, GL/C-E 4 dann Chef TLR Fl. E 4 usw. Das in Klammern stehende IIIA ist das entsprechende Referat der Abteilung. Chef TLR war übrigens der Göring-Vertraute Ulrich Diesing, für die Zellentwicklung verantwortlich war Siegfried Knemeyer, ein sehr fähiger Mann.

 
Anhang anzeigen
Zuletzt bearbeitet:

Michael aus G.

Space Cadet
Dabei seit
15.02.2010
Beiträge
2.286
Zustimmungen
1.795
Ort
EDAC
Gerade in der katastrophalen Lage waren zur Betäubung der Untergangsahnung die haarsträubendsten Ideen besonders gefragt: "Was? Achtstrahliger Amerikabomber? Aus Holz? Toll, brauchen wir!"
Wenn man dabei das Schicksal der Ju-89 oder der Do-19 wenige Jahre zuvor betrachtet... :rolleyes1:
 

Michael aus G.

Space Cadet
Dabei seit
15.02.2010
Beiträge
2.286
Zustimmungen
1.795
Ort
EDAC
Jahrzehnte später sorgte dieser unausgegorene Mist für eine Flut von Büchern über die sogenannten Geheimprojekte der Luftwaffe!
Da hast du vollkomen recht. Viele dieser Legenden hatten sogar ihren Anfang Ende der 40iger/Anfang der 50iger in der spanischen Boulevardpresse. :thumbup:
 
HoHun

HoHun

Space Cadet
Dabei seit
10.10.2014
Beiträge
1.429
Zustimmungen
2.193
Moin!

Anbei ein Beispiel für ein Dokument erstellt von Chef TLR Fl. E 2 an Blohm & Voss vom November 1944 betreffs eines Projekt. Man sieht, dass noch die alten RLM-Briefköpfe verwendet worden sind. Die alte Abteilung GL/C-E 3, die für Motoren zuständig war, hieß dann entsprechend Chef TLR Fl. E 3, GL/C-E 4 dann Chef TLR Fl. E 4 usw. Das in Klammern stehende IIIA ist das entsprechende Referat der Abteilung.
Dein Beispiel zeigt ja ein "Geheimprojekt", das vom RLM ausging und nicht von der entwickelnden Firma.

Wenn ich es richtig verstehe, wurden Ingenieurskapazitäten während des Krieges vom RLM zugeteilt. Ein Konstrukteur mußte also um seine UK-Stellung fürchten, wenn das RLM weniger Aufträge an sein Werk verteilte, als Entwicklungskapazität vorhanden war.

Die anfangs zur Diskussion gestellte These war ja:

Zweck soll gewesen sein, das Personal in der Firma halten zu können, damit diese nicht in die Armee, den Volkssturm o.ä. eingezogen wurden, weil sie für die Firma zu wichtig waren.
Wenn Dein Beispiel als den Regelfall verstehe, hätte die Firma gar keine Möglichkeit, durch die Erfindung von Nonsens-Projekten einen Konstrukteur im Sinne dieser These zu schützen.

Tschüs!

Henning (HoHun)
 
Hal Oele

Hal Oele

Flieger-Ass
Dabei seit
15.03.2016
Beiträge
354
Zustimmungen
1.479
Ort
Düsseldorf
Tach zusammen...

Sorry, hat etwas gedauert. Mein neuer Museumsjob macht mir ungemein Freude – entsprechend muss die Luftfahrtgeschichte hinten anstehen.

René, klar Du hast recht. In den Beispielen steht nichts über die Freistellung von Industriepersonal.
Aber das braucht es auch gar nicht. Wichtig war mir zu zeigen, wer eigentlich die Befehle gibt.
Peter hat ja gezeigt das die Dienststellen immer noch die gleichen waren – aaaber Vorsicht!

Bis zum 1. August 1944 existierte noch die oberste Dienststelle des Generalluftzeugmeisters im RLM mit Milch an der Spitze. Das ist Fakt, selbst wenn Milchs Position längst angeschlagen war. Ab dem 1. August 1944 war ein eigens geschaffenes Ministerium unter Speer für die Belange der Flugzeugindustrie sowie Entwicklung zuständig. Sämtliche ehemaligen RLM-Dienststellen arbeiteten nun für Speers Ministerium. Das ist ein gewaltiger Unterschied!

Eine völlig neue und eher Parteiorientierte Führungsriege unter Speer und Saur befahl nun den alten militärisch gewachsenen Militärhierarchien was sie zu tun hatten. Und die nahmen auf irgendwelche Befindlichkeiten aus der Industrie keine Rücksicht mehr.

Splitten wir nun also einmal die beiden Bereiche der ursprünglichen Frage auseinander:
Freistellung zum Dienst an der Waffe und wirre Projekte.

Grundsätzlich hatte die Industrie immer einen festen Stamm an Arbeitern und Angestellten.
Diese wurden zu Friedenszeiten über die in den entsprechenden Gauen sitzenden Arbeitsämter vermittelt.
Wie üblich, wechselten die höheren Angestellten, wie unter anderen auch die Ingenieure, von einer Firma zur nächsten durch Abwerbung.
Die Kriegswirtschaft änderte alles. Zunächst wurden sämtliche Gehälter auf Kriegszeit eingefroren.

Um die geforderten Produktionszahlen zu erfüllen, mussten die einberufenen Arbeiter und Angestellte wieder in die Firmen geholt werden. Entsprechend steuerten diesen Personalfluss die P-Ämter von Heer, Marine und Luftwaffe.
Die Unruhe in diesem wechselseitigen Chaos musste durch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aufgefangen werden. Wer aber nun glaubt das die Firma X oder Y sich diese einfach irgendwo beschaffte der irrt.

Das lief anders. Der technische Geschäftsführer der Firma PlemPlem hält in einer GL-Sitzung 1943 in Berlin einen Vortrag über seine neueste Entwicklung. Diese soll umgehend in die Serienfertigung. Auf die Frage was er für die Umsetzung benötigt, antwortet dieser z.B.: Ich brauche sofort 2000 ungelernte Arbeiter, 250 Vorrichtungsbauer, 500 Facharbeiter und 100 zusätzliche Ingenieure. Chef des Ausschusses für Zellen und verantwortlich für den Personaleinsatz in der Industrie war Karl Frydag. Frydag organisierte in Zusammenarbeit mit der SS die Bereitstellung von Lagerhäftlingen, die von der Industrie dann gegen eine Summe X von der SS „angemietet“ wurden. Außerdem verschob Frydag das restliche geforderte Personal aus weniger wichtigen Industriebetrieben in das neue „Sonderprogramm“.
Sauckel übernahm irgendwann einmal diesen Job und peitschte ohne Skrupel alles durch.

Regelmäßig mußte die Industrie während des Krieges Personal an die Wehrmacht freigeben, anfangs nur die Wehrpflichtigen, später dann auch ältere Jahrgänge aus der Stammbelegschaft. Dabei ging es nicht um einzelne Namen, sondern nur um prozentuale Quoten.

Wenn also Saur im Auftrag Speers die Fertigungspalette gnadenlos zusammenstrich, neue Projekte nur noch nach Aufforderung in Arbeit genommen werden durften (siehe Dokument „Schwarzentwicklungen“), blieb der Industrie gar nichts anderes übrig als auch Projekt- und Entwicklungsingenieure abzugeben.
Interessant in diesem Zusammenhang ist der Protest Saurs gegen den Chef TLR vom 15.2.1945.

In dieser Endphase des Krieges ging es drunter und drüber. Die unterbrochenen Kanäle zum Ministerium Speer/Saur und dem Chef TLR konnte die Industrie nutzen um ihre Ingenieure vor dem schlimmsten zu bewahren. Den Schnüfflern von Sauckels Gnaden mussten Projekte für den Endsieg untergejubelt werden, die aufgrund der Kriegslage nicht mehr auf „Rechtmäßigkeit“ überprüft werden konnten.

Was die Entwicklung von neuen Mustern angeht, prallen 1945 die eher "realistisch" blickende Truppe um Saur auf die Phantasten und Fanatiker aus dem Umfeld des Chef TLR unter Diesing und Kammler.

Meine bescheidene Meinung zu dem Spielchen!

Hal

 
Anhang anzeigen Anhang anzeigen Anhang anzeigen Anhang anzeigen Anhang anzeigen
Zuletzt bearbeitet:
AGO Scheer

AGO Scheer

Space Cadet
Dabei seit
12.01.2014
Beiträge
1.600
Zustimmungen
3.327
100% ZUSTIMMUNG! (Und schön, dass es dir im Museum Spaß macht!)

Der Satz von dir:
Eine völlig neue und eher Parteiorientierte Führungsriege unter Speer und Saur befahl nun den alten militärisch gewachsenen Militärhierarchien was sie zu tun hatten. Und die nahmen auf irgendwelche Befindlichkeiten aus der Industrie keine Rücksicht mehr.
sollte dick unterstrichen sein.

Das zeigt sich auch bei REIMAHG- der irre Gauleiter Sauckel will in seinem Gustloff-Verband unbedingt ein 1000-Jäger-Flugzeugwerk und Steinbach lehnt das ab.
Wer "siegt"? Der Irre.
Obwohl die Umstellung von Fw 190 auf Me 262 auch für versierte AGO-Leute völliges Neuland war! Folge: Extrem viele Tote KZ-Häftlinge beim Bau und während der Produktion...

Ich habe auch im BA einen Bericht kopiert, wonach der SD in Russland Leute einfach "auflud" und zur Arbeit "ins Reich verfrachtete". Der "Arbeitgeber" beschwerte sich, dass man Kleinkinder, Alte und Schwache zur Arbeit bekommen hatte, die völlig arbeitsunfähig waren.

Ergänzung Bodenpersonal: Es gab bei AGO fast keine Deutschen mehr für die "normalen" Boden-Tätigkeiten. Betanken machten Polen. Das waren Zwangsarbeiter, von denen einer seinen 12jährigen Sohn zur AGO mitgebracht hatte (warum auch immer) und der half dann auf dem Platz mit. Französische, belgische Kriegsgefangene, die mal in ihrem Leben an einem Flugplatz vorbeigelaufen waren erledigten Aufgaben, die sonst so am Boden anfielen.

Das Hin-und Hergeschiebe betraf also auch Bodenpersonal auf den Plätzen und Einflieger. Als das personell zu eng wurde, nahm man schon wieder Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Industrie und bestelle "Arbeitsurlauber" von der Front zur Industrie ab.

Vielleicht nochmal für alle, zum besseren Verständnis von Hals Dokumenten, wie der Jägerstab aufgebaut war:
Leitung:
Gfm Milch (bis zur Entmachtung)
Chef Technisches Amt RMfRuK Karl-Otto Saur

Mitglieder (und deren Verantwortlichkeiten)
Dipl.Ing. Schlempp (Bauangelegenheiten)
SS-Grf Dr.Ing. Kammler (Sonderbauten)
Dr.Ing. Wegener (Fertigungsplanung)
Dir. Schaaf (Zulieferer)
Dr. Schmelter (Arbeitseinsatz)
Min.Rat. Speh (Beschlagnahme von Verlagerungsobjekten)
NSKK-Grf. Nagel (Transportangelegenheiten)
Gen.dir. Fischer (Energieversorgung)
Dr. Krome (Programm Me 262)
Ob.-Reg-Rat Dr. Birkholz (Sozialbetreuung, Verpflegung)
Reichsbahn-Präs. Pückel (Reichsbahn-Angelegenheiten)
Oberpostrat Zerbel (Post)
Damit waren die wichtigsten Positionen besetzt.

Dieser Trupp reiste mit dem Dienstzug unter dem Decknamen "Unternehmen Hubertus" zu den Flugzeugherstellern.

Dort waren aber bei den Besprechungen dann in der Regel über 40 Leute versammelt (von den Firmen plus die von Hal bereits genannten)
Frydag, Werner, Schauberger, Neumärker, Stange....

Zwei Stenografen des Reichstages protokollierten wörtlich, wer was wann sagte. Und wer nicht "spurte", bekam Repressalien übelster Art zu spüren.
Die hatten also alle gut zu tun, die laufende Produktion abzusichern.
Wenn in der Phase ein Hersteller an "Wunderwaffen" tüftelte, war das genehm, solange es nicht die laufende Produktion einschränkte.
 
Hal Oele

Hal Oele

Flieger-Ass
Dabei seit
15.03.2016
Beiträge
354
Zustimmungen
1.479
Ort
Düsseldorf
Kleine Einschränkung René...

Der Jägerstab, der noch durch Milch ins Leben gerufen wurde, hat mit dem 1. 8.1944 seine Schuldigkeit getan.
In diesem Augenblick tagte nur noch der Rüstungsstab (beinhaltete auch Marine und Heer).
Anbei noch einige Seiten der Eröffnungssitzung durch Speer vom 1.8.44.
Außerdem noch ein Dokument zur Bespitzelung von Ingenieuren.

Hal

 
Anhang anzeigen Anhang anzeigen Anhang anzeigen Anhang anzeigen
AGO Scheer

AGO Scheer

Space Cadet
Dabei seit
12.01.2014
Beiträge
1.600
Zustimmungen
3.327
Korrekt, Hal.
Also damit dürften jetzt eigentlich alle Hintergründe geklärt sein.
 

Jubernd

Testpilot
Dabei seit
23.02.2009
Beiträge
921
Zustimmungen
386
Ort
Dessau
Aus aktuellem Anlass nöchte ich das Thema noch mal aufgreifen. Das Problem der Scheinarbeitsplätze war hinreichend bekannt. Es gab tiefgehende Analysen über die mangelnde Leistungsfähigkeit der deutschen Kriegsindustrie im Vergleich mit den USA. Übertriebene Geheimhaltung auch innerhalb einzelner Abteilungen von Betrieben untereinander, fehlende Standardisierung, deshalb massenhaft Parallelentwicklungen, Patentierung ohne Nutzung der Erfindungen, parasitäre Erfinder ohne eigene Leistung und natürlich den verständlichen Versuch, um jeden Preis u.k gestellt zu werden. Bei allem Verständnis aus heutiger Sicht- der gnadenlos verheizte Frontsoldat musste dies natürlich als Dolchstoß von der Heimatfront empfinden.
Das Problem wurde nicht nur untersucht und analysiert, sondern auch eine bedrückende Lösung dafür angeboten- ein "Technischer SD".
Gottseidank kam er nicht mehr zum Einsatz. Nur in Einzelfällen, z. B. der bekannte Fall des Raketenspezialisten Rudolf Nebel, der aus poltischen Gründen kaltgestellt wurde, ist eine Mitwirkung in Form eines Gutachtens bekannt geworden.
 
Thema:

Reine Papierprojekte der deutschen Luftrüstung

Reine Papierprojekte der deutschen Luftrüstung - Ähnliche Themen

  • Flugvereine im Bereich von Erfurt

    Flugvereine im Bereich von Erfurt: Hallo, ich bin 17 mache nächstes Jahr mein Abitur und wollte mich danach mal mehr meiner Leidenschaft der Fliegerei witmen. Deshalb würde es mich...
  • Wunderwaffen - reine NS-Propaganda

    Wunderwaffen - reine NS-Propaganda: Archäologen auf der Suche nach der Wahrheit. Aus der spärlichen Fachliteratur wissen die Archäologen Matthias Antkowiak und Joachim Wacker...
  • Ähnliche Themen

    • Flugvereine im Bereich von Erfurt

      Flugvereine im Bereich von Erfurt: Hallo, ich bin 17 mache nächstes Jahr mein Abitur und wollte mich danach mal mehr meiner Leidenschaft der Fliegerei witmen. Deshalb würde es mich...
    • Wunderwaffen - reine NS-Propaganda

      Wunderwaffen - reine NS-Propaganda: Archäologen auf der Suche nach der Wahrheit. Aus der spärlichen Fachliteratur wissen die Archäologen Matthias Antkowiak und Joachim Wacker...
    Oben