F-4F Phantom II im Dornröschenschlaf
aus: Zeitschrift "Luftwaffe" Ausgabe September 1994
Goose Bay, Labrador – 16. Juni 1993.
Drei Luftwaffen - F-4F Phantom II starten zu einem täglichen Routineeinsatz auf. Das Einsatzgebiet ist leicht bewölkt und die Sonne wirft erste Schlagschatten auf das hügelige Gelände. Nach dem der Flug anfangs wie geplant verlief, kommt es plötzlich zu einem dramatischen Ereignis. Beim taktischen Formationswechsel wird während des Einkurvens das geübte Auge des Luftfahrzeugführers von der Schattenbildung des Sonnentiefstandes getäuscht. Er übersieht das Ansteigen des Geländes. In letzter Sekunde und durch lautes Zurufen seines Waffensystemoffiziers zieht der Plot das Flugzeug reflexartig vom Boden weg, doch die F-4F mit dem taktischen Kennzeichen 37+35 rauscht in weniger als fünf Metern Höhe durch den dicht bewachsenen Wald. Der Pilot schafft es, Höhe zu gewinnen, doch die Maschine ist schwer beschädigt und die Besatzung fliegt zum Flugplatz Goose Bay zurück. Nach der Landung wird erst das ganze Ausmaß der Beschädigung ersichtlich und schnell wird klar, dass die Maschine mit den begrenzt vorhandenen Ressourcen vor Ort in Goose Bay nicht instandgesetzt werden kann. Ob eine Instandsetzung wirtschaftlich überhaupt machbar ist, muß eine gründliche Untersuchung zeigen.
Das Flugzeug wird in einem Hangar abgestellt und fällt in einen Dornröschenschlaf. Im Januar 1994 fällt nach gründlicher Abwägung von Kosten und Bedarf die Entscheidung: Die 37+35 wird repariert und dem Einsatzverband wieder zugeführt!
Die Luftwaffenwerft 62 (heute LIG 21) in Jever wird mit der genauen Schadensbefundung und anschließender Reparatur beauftragt. Nach den notwendigen Vorbereitungen setzt sich der erste Instandsetzungstrupp am 10. März 1994 nach Labrador in Marsch. Es werden vier mobile Instandsetzungstrupps eingeplant und entsprechend der anfallenden Arbeiten in unterschiedlichen zeitlichen Abständen in Goose Bay ausgetauscht.
Da die Übungssaison GAFTIC noch nicht begonnen hat, mußten ca. 2500 Mannstunden für Abrüstarbeiten, Triebwerkwechsel, 30 Tage / 90 Tage – Inspektionen, Arbeitsvor- und Nachbereitung, die normalerweise in den Zuständigkeitsbereich der übenden Verbände vor Ort fallen, von der Werft 62 mit übernommen werden. Der reine Instandsetzungsaufwand belief sich auf ca. 1500 Mannarbeitsstunden. Hier bei wurden in Jever vorbereitete größere Baugruppen wie Luftbremsen, Landeklappen, Außenflügel und Höhenruder ausgetauscht und grundüberholte Triebwerke eingebaut. Den Löwenanteil hatten vor Ort die Flugzeugmetaller: Ca. 1100 Stunden wurden in die Anfertigung und das Einpassen zum Teil filigraner Bauteile investiert. Da wegen der auch damals schon vielfältigen Auslandseinsätze der Lufttransport-geschwader nur begrenzt Lufttransportkapazität zur Verfügung stand, mußten die anfallenden Personal- und Materialtransporte von insgesamt 32 Tonnen durch die wöchentlichen Routineflüge nach Kanada, bzw. USA bewältigt werden. Dies bedurfte einer sehr sorgfältigen und voraus schauenden Planung, auch wegen der fünfstündigen Zeitverschiebung. Deswegen wurde eine ständige Rufbereitschaft für Dringlichkeitsanforderungen eingesetzt. Auch eine enge und vor allem flexible Koorperation mit dem Lufttransportkommando in Münster bezüglich der Nutzung freier Transportkapazitäten kam den Teams vor Ort in Canada und der Werft in Jever zu Gute. Nach etwas mehr als sieben Wochen Arbeit der „Metallschmiede“ Jever rollte am 02.Mai 1994 die Phantom zum ersten Testflug wieder aus dem Hangar in Goose Bay. Die Testflugbesatzung der LwWerft 62 checkte das Flugzeug bei drei Testflügen auf Herz und Nieren und stellte die Verlegefähigkeit der 37+35 über den großen Teich nach Deutschland fest. Technisch klar wurde die Maschine an den ersten übenden Verband vor Ort, das JG 74 „Mölders“ aus Neuburg / Donau, übergeben.
Fast ein Jahr nach dem Zwischenfall kehrte die F-4F 37+35 am 01. Juni 1994 über den Atlantik nach Deutschland zurück, wo sie in Jever bis zur vollständigen Einsatzfähigkeit wieder hergestellt wurde. Im Dezember 1994 wurde die Maschine dann letztlich wieder an den Halter, das JaboG 35 in Sobernheim übergeben.
In kürzester Zeit ein Jagdflugzeug wieder luftfahrttauglich zu machen, das vielerorts – auch vom damals übenden Verband in Kanada – wegen der Schwere der Beschädigung bereits aufgegeben worden war, eine Leistung, die auch im Hinblick auf zukünftige Einsätze der als Krisenreaktionskräfte klassifizierten Luftfahrzeugwerften der Luftwaffenversorgungsregimenter in den fliegenden Verbänden Erwartungen wecken dürfte.