Mir fällt es offen gestanden, vielleicht auch aufgrund der längeren Abwesenheit vom Forum, etwas schwer, in all den Threads über die deutsche Tornado-Nachfolge den Überblick zu behalten. Vielleicht geht es ja auch anderen so - ich versuche mal, meine eigenen Gedanken dazu zu sammeln.
In der Debatte ist jedenfalls immer wieder festzustellen, dass so mancher Diskussionsteilnehmer sich an einzelnen Teilaspekten abarbeitet, diese ins Scheinwerferlicht stellt und das Für oder Wider dieser Einzelbereiche diskutiert. Unter diese Teilaspekte kann man vor allem die Nukleare Teilhabe, Stealth, Flugleistungen oder andere "buzz words" subsumieren.
Jetzt ist es eine Binse, dass die Beschaffung fliegender Waffensysteme selten aus einem einzelnen Grund geschieht, sondern stets eine höchst komplexe Angelegenheit mit einer Vielzahl zu berücksichtigender Faktoren darstellt und entsprechende Entscheidungen nie monokausal erfolgen. Diese Binse ist aber eben immer noch korrekt. Und wenn man mehrere dieser Faktoren näher betrachtet, dann wäre mMn eine Super Hornet-Beschaffung durchaus folgerichtig.
Aber der Reihe nach: mich hat das doch recht frühe Aussortieren der F-35 auch überrascht. Ich hatte die F-35 bisher vor allem aus militärischen Erwägungen heraus als den idealen Tornado-Nachfolger betrachtet. Der Tornado wurde bekanntermaßen vor allem beschafft, um eine "schwere" (lies: vor allem nukleare) Waffenlast unter den Bedingungen eines kinetisch wie ECM-mäßig "heavily contested airspace", wie das neudeutsch heißt, tief ins feindliche Hinterland zu verbringen. Genau dafür ist die F-35 letztlich auch gedacht, nur dass die Mittel, mit denen man dieses Ziel erreichen möchte, sich eben seit den 70ern geändert haben - was damals der automatische/automatisierte Geländefolgeflug auch bei Nacht und schlechtem Wetter bewerkstelligen sollte, wird heute mittels Reduktion und Optimierung des Radarquerschnitts sowie Sensorfusion erledigt.
Das charmante an der F-35 ist nun, dass sie auch brauchbare Fähigkeiten für andere Einsatzrollen mitbringt (Luft-Luft, ISR, EloKa), was der Tornado nur begrenzt konnte. Die Maschine ist mit ihren Flugleistungen sicher keine Su-35S, aber so schlecht, wie manchmal dargestellt, ist sie nun auch wieder nicht. Ein weiteres Gewicht, welches Lockheed Martin in die Waagschale werfen konnte, ist die Multinationalität - immerhin sind wir zukünftig von F-35-Nutzern geradezu umstellt, und nicht zuletzt haben beide andere Tornado-Partnernationen als Nachfolger die Lightning II beschafft. Gerade in der derzeitigen Debatte um eine Multinationalisierung von Streitkräften bis auf die Verbandsebene herunter, speziell mit den Niederlanden, hätte ich das für ein schlagkräftiges Argument gehalten.
Aber gut, jetzt wird es die halt nicht. In der Medienlandschaft wird hier häufig der französische, politische Druck zitiert. In irgendeinem anderen Beitrag hatte ein anderer Nutzer räsoniert, dass das FCAS-Programm für Frankreich "systemrelevant" sei, eine deutsche F-35 wiederum möglicherweise die Bereitschaft erhöht hätte, bei eventuellen Problemen aus diesem Programm auszusteigen, und damit die F-35 eine Bedrohung für FCAS darstellt. Das klingt auf jeden Fall schlüssig. Eine Rolle wird sicher auch die fehlende Eingriffsmöglichkeit in die Kommunikation zwischen Luftfahrzeug und Hersteller sowie die Avionik gespielt haben.
Weiterhin bietet die F-35 sicher die größte, politische wie mediale Angriffsfläche. Während plakative Schlagzeilen wie "Deutschland kauft wieder einstrahlige Kampfflugzeuge bei Lockheed!!!11einself" sicher nicht so gewichtig wären, wie das manchmal dargestellt wird, so wäre der Einstieg in das teuerste Rüstungsprogramm aller Zeiten, gerade in Zeiten eher unruhiger Beziehungen zu den USA und eines latenten Antiamerikanismus in weiten Teilen der Gesellschaft, dennoch ein gefundenes Fressen für Opposition und entsprechend geneigte Medien (ich will gar nicht wissen, was für Purzelbäume in der Redaktion von Spiegel und Süddeutscher geschlagen worden wären, hätte man sich für die Lightning II entschieden).
Nicht zuletzt gibt es sicherlich berechtigte Zweifel daran, ob das Waffensystem denn in absehbarer Zeit tatsächlich über die Fähigkeiten verfügen wird, die es bringen soll. Summa summarum: es gibt vielerlei Gründe, aus denen diese Entscheidung möglicherweise getroffen wurde.
Warum kann ich mir nun die Super Hornet/Growler gut vorstellen? Ein Anteil der Antwort lässt sich dem öffentlich verfügbaren Teil des Fähigkeitsprofil Bundeswehr sowie der
Militärischen Luftfahrtstrategie des BMVg entnehmen. In Summe komme zumindest ich zu einigen Schlußfolgerungen:
1.) Wie schon oft hier zitiert, verfolgt Deutschland den Ansatz einer Zwei-Typen-Kampfflugzeugflotte.
2.) Der Wille zur Wiederherstellung der Fähigkeit zur Seezielbekämpfung aus der Luft durch Jet-Waffensysteme ist da.
3.) Die Tatsache, dass der NATO eine Staffel WaSys für SEAD und den Elektronischen Kampf zugesagt wurde und der ECR-Tornado hinsichtlich seiner Fähigkeiten längst nicht mehr den gleichen Stellenwert einnimmt, wie das vor zwanzig Jahren der Fall war. Hierfür erscheint die Growler ideal, die in der NATO für SEAD ohnehin eines der Mittel der Wahl ist und die tatsächlich Eigenschaften mitbringt, welche in Europa so kaum vorhanden sind. Ich nehme hier einfach mal an, dass die EA-18 im Hornet-Paket dabei wäre.
4.) Die Zertifizierung für die B61 hat die SH zwar nicht, allerdings - so nehme ich zumindest an - dürfte das wesentlich schneller gehen, als eine entsprechende Lösung für den EF, schon aus politischen Gründen.
5.) Mit dem Block III-Upgrade, welches die US Navy nun beschafft, behält das Waffensystem u.a. mit den CFT und dem Enclosed Weapon Pod seine Relevanz. Damit wird auch sichergestellt, dass die Maschine bis weit in die 2040er hinein dort im Einsatz bleibt. FOC der ersten neugebauten Block III-Maschinen ist für 2022 vorgesehen, was vom Zeitfenster her für uns ebenfalls geeignet erscheint.
6.) Ich halte für sehr wahrscheinlich, dass die Wahl des Tornado-Ersatzes im engen Zusammenhang mit der CH-53-Nachfolgeentscheidung steht. Boeing ist hier sicher in der Lage, ein attraktives Paket für CH-47F und F/A-18F zu schnüren, welches Lockheed angesichts der o.g. Problematiken und der ständigen Verzögerungen beim CH-53K möglicherweise nicht mitgehen kann. Ich nehme in diesem Zusammenhang ebenfalls an, dass eine solche Entscheidung Opposition und Öffentlichkeit zumindest besser zu verkaufen ist als eine Entscheidung pro-F-35, man aber gleichzeitig guten Willen beim Verbündeten in Übersee zeigen kann und auch noch was fürs 2%-Ziel tut
7.) Sicher nur eine Randnotiz, aber im Falle der Entscheidung für die Super Hornet könnte man die WSO weiter beschäftigen ;-)
Natürlich ist damit immer noch nicht ausgeschlossen, dass Airbus mit all seinem politischen Einfluss doch noch die Zusage für eine Tranche 4 bekommt, aber es wäre insbesondere hinsichtlich der Punkte 1, 3 und 4 schwer vermittelbar. Gut möglich, dass die jüngst verkündete Beschaffung der 33 zusätzlichen EF eine Art Trostpflaster darstellen soll. Nicht auszuschließen ist natürlich auch, dass die Tornado-Flotte durch einen
Mix aus Hornet und EF ersetzt wird. In dem Zusammenhang ist relevant, dass die Kampfflugzeug-Flotte der Lw, wenn ich mich nicht völlig täusche, mittelfristig wieder wachsen soll. Im verkalkten Hirn schwirrt die Zahl von 270 Maschinen umher, ich finde hierzu aber gerade nichts im Netz (und ja, mir ist bewusst, dass das ziemlich exakt der Zahl vor der 2011er-Reform entspricht - eine solche Rolle rückwärts wäre aber nun nichts Neues).
Warum nun die SH und nicht die F-15? Gute Frage. Ich könnte mir vorstellen, dass die SEAD-Frage hier entscheidender sein könnte, als wir das annehmen. Darüber hinaus dürfte die F-15 deutlich teurer in Beschaffung und v.a. Betrieb sein. In den Bemühungen von Boeing um das Block III-Upgrade könnte ein Exportkunde möglicherweise auch hilfreich sein, während bei der F-15 mit den jüngsten Upgrades für Katar und Saudi-Arabien mehr oder minder alles in trockenen Tüchern ist. Das könnte bei Boeing die Bereitschaft für weitreichendere Zugeständnisse auch steigern. Nicht zuletzt ist der Radarquerschnitt der Super Hornet m.W. auch deutlich geringer als der der Eagle, das dürfte insbesondere für die Block III gelten.
In Summe jedenfalls gibt es doch einige gute Argumente für die SH, auch wenn ich anfangs selbst ebenfalls sehr überrascht war, dass es ausgerechnet diese in den Endausscheid geschafft hat.
Oh je, ist das jetzt viel Text. Wird auf jeden Fall eine spannende Entscheidung.