Hallo,
Zur Erinnerung: nach der Auflösung der Sowjetunion lautete das Angebot des Westens an die ehemaligen Sowjetstaaten Abrüstung gegen wirtschaftliche Kooperation. Jelzin hat sich auf diese Abmachung eingelassen, Putin hat den Kurs gewechselt und einen neuen kalten Krieg begonnen. Die Ukraine ist dafür bestraft worden, dass sie sich an die Vereinbarung gehalten und abgerüstet hat. Hätte die Ukraine auch nur einen kleinen Teil der sowjetischen Nuklearwaffen behalten, hätte sich kein russischer Soldat getraut, auch nur die Nase über die Grenze zu halten. Status quo ist, dass Russland die Krim und den Donbass hat und beide nicht mehr hergeben wird. Putin hat bisher jeden kleinen Spielraum ausgenutzt, um dem Westen zu schaden. Die Aktion der Defender ist das Signal, dass die NATO Putin keine weiteren Spielräume eingestehen wird.
Eine in sich stimmige Sicht auf die Dinge. Sie hat den kleinen Schönheitsfehler, daß von einem anderen Standpunkt aus, eine diametral andere Sicht möglich ist, die ebenfalls in sich stimmig ist. Beispielsweise die Politik Jelzins wird von nicht wenigen Menschen als Ausverkauf durchaus negativ gesehen.
Ohne den Standpunkt "Wir sind die Guten!" ergibt sich ein deutlich komplexeres Bild. Was ist nun richtig? Dazu gibt es meistens gar keine eindeutige Antwort, verschiedene Mitspieler haben Interessen und versuchen sie Durchzusetzen. Mit mehr oder weniger Erfolg. Und diesen Erfolg bewerten verschiedene Seiten naturgemäß unterschiedlich. Weil die Interessen nicht selten diametral sind.
Was man aber machen kann, ist zu versuchen, die ganz plumpen Mechanismen von Demagogie und Propaganda zu vermeiden. Neben den schon erwähnten Signalwörtern sind sichere Indikatoren: das Dämonisieren oder Pathologisieren der anderen Seite, das reduzieren der Interessen der anderen Seite auf persönliche Eigenschaften.
Und zu den säbelrasselnden Provokationen der jüngeren Zeit ein Beispiel aus den 80er Jahren, an dem ich (als ganz kleines Rädchen) beteiligt war. NATO Herbst-Manöver. Ein wenig aufgepeppt mit einer Übung des SAC. Um es ein wenig spannender zu machen hatte man ein wenig Verwirrung darum gestiftet, ob und wieviel Nuklearwaffen wirklich mit dabei sind. Für unsereins war es eine ungeplant verlängerte Zeit im Freien. Inclusive dem extrem gespenstischen Gefühl, den "scharfen" Sprizuensatz in der Beintasche zu haben. Und keine Platzpatronen in den Gurten.
Was erst in den letzten Jahren durch offengelegte Dokumente ans Licht gekommen ist: Die sowjetische Führung hatte in diesen Jahren extreme Angst, von einem Erstschlag überrascht zu werden. Und hatte deswegen die Kommandoketten für den Zweitschlag automatisiert, um die Reaktionszeit zu verkürzen. Mitte der 80er entschieden auf sowjetischer Seite weitgehend Automaten über den "Roten Knopf".
Mich packt heute noch das kalte Grauen, wie knapp wir damals der Katastrophe entgangen sind. Aus dieser Sicht sind die aktuellen Hin- und Herprovokationen mehr als postpubertäeres Gespiele. Und auch kein vernünftiges Mittel der Politik.
gero