Weniger Gehalt für Gewerkschaftsmitglieder
Originalzitat von: http://onwirtschaft.t-online.de/c/42/27/32/4227324.html
Die Aufregung in der Brüsseler Zentrale der Internationalen Transportarbeiter-Gewerkschaft ETF war groß: Dass die Billigfluglinie Ryanair ihren Mitarbeitern die Gehälter nun um drei Prozent erhöht, davon aber Gewerkschaftsmitglieder ausnimmt, grenze "an Erpressung", empörte diese Woche ETF-Präsidentin Erika Young und kündigte europaweiten "harten Widerstand" an. Während auch die französische Gewerkschaft CGT von einem "Skandal" und einer unannehmbaren "Diskriminierung" sprach, wird es in Deutschland kaum zu Protesten kommen: Denn dort versuchen Gewerkschaften inzwischen mit einem ganz ähnlichen Modell, ihre Mitglieder an sich zu binden.
"Belohnung" für harte Arbeit
Ryanair hatte europaweit die Gehälter all jener Mitarbeiter rückwirkend zum 1. April aufgestockt, die direkt mit dem Unternehmen über neue Tarife verhandelt hatten. Personalchef Eddie Wilson bezeichnete die Gehaltserhöhung für die nicht organisierten Mitarbeiter als "Belohnung" für deren harte Arbeit. Diskriminiert wurden damit die Piloten in Dublin, die als einzige Gruppe bei Ryanair gewerkschaftlich organisiert sind.
Firmenleitung: Direkte Verhandlungen sind noch möglich
Die Tür zu direkten Verhandlungen mit der Firmenleitung sei noch offen, lockte Wilson die Piloten nun und warb für das Modell aus den Anfangszeiten des Kapitalismus: Die Gehaltserhöhung von drei Prozent bestätige die Überlegenheit von direkt ausgehandelten Bezügen, betonte er. Deshalb dürften sich Ryanair-Mitarbeiter insgesamt auch über höhere Einkommen freuen, als die Beschäftigten von gewerkschaftlich durchsetzten Mitbewerbern. Wilson zufolge ist die Bezahlung bei Ryanair europaweit Spitze: Rund 50.000 Euro verdiene ein Mitarbeiter bei den Iren pro Jahr. Beim Hauptkonkurrenten easyJet seien es nur 47.000, bei der Lufthansa nur knapp 42.000 und bei British Airways nur 41.400 Euro. Nicht auszuschließen, dass sich nun die Piloten mit Blick aufs Geld ihre Interessenvertretung abkaufen lassen.
Bindung an die Gewerkschaft mal anders
Die Überzeugungskraft knisternder Scheine im Geldbeutel haben in Deutschland die Gewerkschaften schon längst selbst entdeckt. Haustarifverträge der IG Metall beinhalten inzwischen vielfach eine so genannte umgekehrte Diskriminierung: "Wenn Firmen Personalkosten einsparen wollen, fordern wie sie auf, zuerst bei denen zu sparen, die nicht in der Gewerkschaft sind", sagt der Sprecher der IG-Metall in Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Nettelstroth. Die ungleiche Behandlung mit diesmal positivem Vorzeichen für Gewerkschafter funktioniert in inzwischen 45 Betrieben offensichtlich ganz gut. Dort bekommen rund 6000 bis 8000 IG-Metaller bei Sonderzahlungen wie dem Weihnachtsgeld weniger gestrichen als der Rest der Belegschaft. Zudem haben sie anders als ihre Kollegen Anspruch auf betriebliche Weiterbildung.
"Für unsere Mitglieder"
"Wir tun das aber nicht gegen die übrigen Beschäftigten, sondern für unsere Mitglieder", beteuert Nettelstroth. Dass die Zahl neuer Gewerkschaftsmitglieder in diesen Betrieben nun wächst, sei ein schöner Nebeneffekt. Die Kritik der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi an den Ryanair-Modell fiel vor diesem Hintergrund dann auch relativ verhalten aus: Die Schlechterstellung der Gewerkschaftsmitglieder bei dem Billigflieger sei "ein Verstoß gegen Sitte und Anstand", hieß es. Und vor einen Haustarifmodell à la Ryanair auch in Deutschland haben weder IG Metall noch Verdi Angst: Dazu sei der Organisationsgrad der Gewerkschaften in Deutschland viel zu hoch, beteuern ihre Vertreter.