Konferenz bei Göring am 14.10.1943

Diskutiere Konferenz bei Göring am 14.10.1943 im WK I & WK II Forum im Bereich Geschichte der Fliegerei; Hallo zusammen, im Rahmen einer weiteren Ausarbeitung bin ich auf neue Details gestoßen. Im Thread "Darum wurden Me 261 und 264 nicht gebaut!"...

HolgerXX

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Hallo zusammen,

im Rahmen einer weiteren Ausarbeitung bin ich auf neue Details gestoßen. Im Thread "Darum wurden Me 261 und 264 nicht gebaut!" zitiert Junkers-Peter in Posting #17 Lutz Budraß, Luftrüstung, S.863, mit "Der Führer ist darüber ungehalten, dass die weitreichende Maschine von der Luft noch nicht aufgegriffen wurde." Das Zitat ist vom 11./12.09.1943. Beim Nachschauen habe ich mich verguckt und erst auf Seite 864 gesucht. Dabei ist mir das Zitat 1055 aufgefallen, das auf eine Konferenz bei Göring am 14.10.1943 verweist:



Im selben Posting zitiert Junkers-Peter "eine vernichtende Stellungnahme zur 264, verfasst vom KdE bzw. der E-Stelle Rechlin", unterlegt durch eine Fotokopie. Die direkte Autorenschaft des Kommandanten der Erprobungsstellen, Oberst Edgar Petersen, war nicht ganz sicher, konnte aber im Thread "Bez. Me 264-Entwicklung: Fragen an Junkers-Peter" bestätigt werden. Die Stellungnahme ist enthalten in einem mit "Technische Bemerkungen zur Studie 1036..." überschriebenen Text. Diese "Studie 1036" bzw. das gesamte Schreiben interessierte mich. Letzteres ist jetzt auch mit Hilfe von Junkers-Peter lokalisiert worden. Auf der Suche bin ich aber auf eine weitere Fundstelle gestoßen, nämlich auf S. 130 in der bekannten Doktorarbeit von Ernst Stilla, "Die Luftwaffe im Kampf um die Luftherrschaft." Hier heißt es zum Zitat 676: "So waren beispielsweise die Entwicklungsarbeiten am Fernbomber Me264 auf Befehl Milchs bereits am 24.10.1942 offiziell eingestellt worden. Nach einem Treffen mit Hitler (Stilla nimmt hier höchst-wahrscheinlich Bezug auf die Besprechung, auf der der o.a. Ausspruch vom 11./12.09.1943 gefallen ist), bei dem die Möglichkeiten der Bekämpfung der ostamerikanischen Küste besprochen worden waren, konnte Messerschmitt die Me264 gegenüber Göring wieder thematisieren und auf diese Weise Milch umgehen." Übrigens die einzige Stelle in der Arbeit von Stilla, in der die Me 264 erwähnt wird. Zitat 676 verweist auf "Mitschrift der Besprechung Görings mit Prof. Messerschmitt am 14.10.1943, in: BA-MA ZA 3/194".

Also verweisen zwei Autoren auf diese eine Konferenz. Was hat es damit nun wirklich auf sich?

Es sind zwar RL 3/61 und ZA 3/194 verschiedene Konvolute des Bundesarchivs (eine Änderung der Signatur von RL 3/61 auf ZA 3/194 schließe ich aus, da die Schrift von Stilla die jüngere ist und RL 3/61 s.u. fortexistiert), aber dass sich Messerschmitt und Göring am selben Tag zu zwei Konferenzen zum selben Thema trafen, halte ich für ausgeschlossen. Jedenfalls ist RL 3/61 beim Bundesarchiv über die Firma Selke erhältlich. Daraufhin beschloss ich, mir das Protokoll dieser Konferenz zu besorgen (RL 3/61 Seiten 6240 - 6274, siehe o.a. Zitat 1055), es liegt inzwischen bei mir vor. Leider darf ich es aus rechtlichen Gründen nicht veröffentlichen.

Bei der eingangs erwähnten Ausarbeitung geht es darum, dass ich Generalfeldmarschall Erhard Milch beschuldige, die Entwicklung diverser Flugzeugmuster bzw. ihre Einführung bei der Luftwaffe sabotiert zu haben. Und zwar mindestens durch Schlechtreden und Schleifenlassen, wenn nicht durch echte Fehlentscheidungen. Sein Diskussionskreis, mit dem er sich häufig traf, hat ihn nicht daran gehindert. Sabotage war zur damaligen Zeit nichts Ungewöhnliches. Mit seiner desaströsen Kriegführung war Hitler selbst der größte Saboteur von allen. Auch Görings, sagen wir mal so, zurückhaltender Arbeitsstil kann als Sabotage gewertet werden. Insofern war das Zitat 1055 von Budraß, welches Milch entlasten soll, für mich besonders interessant nachzuprüfen.

Aufgrund der Unterschiedlichkeit der o.a. Fundstellen kann ich jetzt nicht genau wissen, was Stilla vorlag. Aber so weit es sich um denselben Text wie bei Budraß handelt, muss ich sagen, beide Autoren missverstehen den Inhalt der Konferenz völlig. Warum, begreife ich kaum. Womöglich standen sie für die Fertigstellung ihrer Doktorarbeit bzw. Habilitationsschrift unter Zeitdruck, was zu Fehlern führte. Der Vorwurf der Sabotage gegen Milch wird überhaupt nicht erhoben, also kann er davon auch nicht entlastet werden (so zu Budraß). Da er selbst an der Konferenz teilnahm, konnte Messerschmitt ihn auch nicht gegenüber Göring umgehen (so zu Stilla).

Stilla zitiert kurz vorher Budraß, S. 864: "Der [Messerschmitt] sagt einfach: ‚Ich gehe zum Führer, was interessiert mich der Feldmarschall überhaupt noch‘“, fasste Milch die Verhältnisse zusammen." Aber weder Stilla noch Budraß thematisieren, dass das besondere Verhältnis Messerschmitts zu Hitler keine entsprechenden Folgen hatte. Seine und andere Projekte, auch wenn das nicht für jede Maschine zutrifft, scheiterten am hinhaltenden Widerstand von Milch und Konsorten.

Die Konferenz als solche besteht aus drei Teilen, wobei ich die 34 Seiten Schreibmaschinen-Stenoabschrift auf 5 Seiten DIN A 4 zusammenfassend eingedampft habe. Sie hängen hier an. Eine inhaltliche Bewertung meinerseits erfolgt später. Am ehesten trifft wohl die Überschrift "Alle gegen Messerschmitt" zu.

Teilnehmer sind, so weit sie sich zu Wort gemeldet haben: Göring, Messerschmitt, Milch, dessen Amtschef Friebel, Generalingenieur Mahnke, die Offiziere Vorwald, Diesing, Petersen, Peltz und Knemeyer sowie die Industriellen Frydag und Werner.

Bei den o.a. drei Teilen handelt es sich um:

S. 6240 - 6260: Die Situation bei der Me 264

S. 6261 - 6266: Die Situation im Arbeitskräftebereich

S. 6266 - 6274: Möglichkeit der Ausrüstung der Bf 109 mit dem Jumo 213

Ein weiteres, bisher [nur mir?] unbekanntes Flugzeugprojekt ist auch enthalten, es wird Euch sicher auffallen. Auf die Idee, die in der Konferenz konsequent mit "Me" bezeichnete 109 mit dem Jumo auszurüsten hätte ich im Nachhinein auch selbst mal kommen können. Das war mir aber nicht ver- gönnt. Persönliche Bemerkungen stehen in eckigen [] Klammern.

Dann hoffe ich, Ihr findet das angehängte PDF interessant.
 
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HolgerXX

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Wie ist nun diese Konferenz einzuschätzen?

Es kommt nichts dabei heraus, zu keinem der drei Themen. Ergebnislos wird herumdiskutiert, ob nun die Me 264, die Ta 400 oder die Ju 390 nun das bessere Flugzeug wäre. Wobei ich sage, im Zweifel müssten aber all drei gebaut werden. Und dass für sie keine Kapazitäten da sind, ist doch klar! Die müssten ja erst geschaffen werden! Und nicht nur für sie, es befindet sich ja noch eine weitere, große Zahl von Projekten, die man vielleicht brauchen könnte, nur auf dem Reißbrett!
Aber dafür fühlt sich niemand verantwortlich, nicht einmal Messerschmitt, der keine Planzahlen vorlegt, weil er an die Realisierung ohnehin nicht glaubt. Milch wieder schiebt alles auf die "Arbeiterzuteilungsbehörden", obwohl er selbst [das ist jetzt kein Konferenzteil] nicht nur in der Luftwaffe, sondern auch in der Rüstungssteuerung ein hohes Tier ist, denn er ist nicht nur Görings, sondern auch Speers Stellvertreter (Milch wurde im Frühjahr 1942 Chef des Speer direkt unterstellten "Zentralen Planungsamtes", das sich auch mit Arbeitskräftefragen befasste (Eichholtz, Geschichte der deutschen Kriegs-wirtschaft, Band II S. 80ff), er hätte also aktiv eingreifen können,).

Am Ende wird über ein Flugzeug diskutiert, das den geforderten Motor nie bekommen wird. Das, obwohl hier (was bei sonstigen mir bekannten Konferenzen praktisch nie der Fall ist) eine gewisse realistische Dringlichkeit durchscheint, wird diese "für die Luftwaffe entscheidende Frage" (so Werner) nicht positiv beantwortet werden. Stattdessen erfüllt sich die Voraussage von "10.000" untelegenen 109.

Und wenn Milch sagt, es ist zu spät, und Göring dem nicht widerspricht, was soll das bitte heißen?

Grüße, Holger
 
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