Österreichs Kampfpiloten im Krisenfall allein
Darf ein entführtes Passagierflugzeug abgeschossen werden, um eine grössere Katastrophe zu verhindern - zum Beispiel während der Euro 08? Die Regierung erklärt sich für nicht zuständig.
Von Bernhard Odehnal, Wien
Eine Hitzeglocke hängt über der Stadt, und bei Temperaturen bis zu 40 Grad werden die Wiener Politiker von allerlei unheilvollen Visionen geplagt. Was wäre, wenn Terroristen während der Euro 08 eine Passagiermaschine entführten und sie in ein voll besetztes Fussballstadion steuern wollten? Das Bundesheer wird im kommenden Jahr zwar die lange umstrittenen neuen Kampfjets des Typs Eurofighter Typhoon besitzen. Aber dürfen die Piloten dann Zivilflugzeuge abschiessen, um grösseren Schaden zu verhindern?
Es war der grüne Abgeordnete Peter Pilz, der diese Frage stellte, und man könnte darin auch eine subtile Racheaktion an den beiden Regierungsparteien ÖVP und SPÖ sehen. Denn Pilz war Vorsitzender jenes parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Ankauf der Eurofighter, der von Volkspartei und Sozialdemokraten in seltenem Gleichklang abgewürgt wurde. Mit seiner Frage hatte Pilz in ein Wespennest gestochen. Schnell stellte sich heraus: Weder wusste die Regierung, ob der Abschuss eines Zivilflugzeuges durch die Verfassung gedeckt ist, noch, welcher Minister in einer kritischen Situation die Verantwortung zu tragen hat.
Während Juristen und Oppositionspolitiker meinen, dass ein Abschuss eines zivilen Flugzeuges unter keinen Umständen durch die Verfassung gedeckt sei, fand die Koalitionsregierung eine andere, typisch österreichische Lösung. Auf einer Sondersitzung beschloss der Nationale Sicherheitsrat, dass bei einem solchen Terrorangriff kein Mitglied der Regierung den Schiessbefehl geben müsse. Die Verantwortung liege alleine bei den Piloten des Bundesheeres. Sie könnten jedoch mit Rückhalt aus der Regierung rechnen und sollen vor der Euro 08 für solche Szenarien speziell geschult werden.
Heftige Kritik
Scharfe Kritik an dieser Entscheidung kam umgehend aus der Armee. In einem Radiointerview und in Leserbriefen an alle wichtigen Zeitungen des Landes kritisiert der Personalvertreter der Luftstreitkräfte, Erich Speck, die «erbärmliche Haltung» der Politiker, die Verantwortung auf junge Piloten abwälzen wollten.
In der Schweiz sei ein Waffeneinsatz gegen zivile Luftfahrzeuge im Normalfall, bei «nicht eingeschränktem Luftverkehr» nicht erlaubt, sagt ein Sprecher des VBS. Allerdings kann der Bundesrat den Luftverkehr einschränken, also für eine gewisse Zeit den Luftraum teilweise oder ganz sperren. Das geschah etwa beim G-8-Gipfel in Evian, oder es geschieht jedes Jahr beim WEF in Davos. Im gesperrten Luftraum kann, als letzte aller möglichen Massnahmen, auch ein ziviles Flugzeug abgeschossen werden. Den Befehl dazu gibt der Bundesrat für Verteidigung, er kann die Befehlsgewalt jedoch an den Kommandanten der Luftwaffe delegieren.