Freitag, der 13. — als wäre was dran an dem Aberglauben
Entsetzen nach Flugzeugabsturz bei Wiesmoor — Tornado knapp hinter Häusern aufgeprallt
Von Arne Hildebrandt
Wiesmoor/Sanderbusch. „Ich hörte einen Knall. Dann sah ich plötzlich Funken und Rauchwolken, darin kam ein Fallschirm hervor. Ich war geschockt." Der Maurer Bernhard Beck (31) aus dem idyllischen 800-Seelen Ort Hinrichsfehn, vier Kilometer südlich von Wiesmoor, steht der Schrecken noch ins Gesicht geschrieben. Wie allen Bewohnern des Dorfes am Nordgeorgsfehnkanal, die gestern einer Katastrophe nur knapp entkommen sind.
Freitag, der 13, gilt abergläubischen Menschen als Unglückstag. Den Bewohnern von Hinrichsfehn schien es gestern, als sei an diesem Aberglauben etwas dran. Noch Stunden nach dem Flugzeugabsturz der beiden Milltärmaschinen, sitzt der Schock tief. „Eine Augenzeugin: „Es ist unfassbar, mir fehlen die Worte. Ein Wahnsinn. Ich habe nicht gedacht, dass ein Absturz so schlimm ist. Als ich den Knall hörte, duckte ich mich nur. Dann rannte ich aus dem Haus."
Im Garten ihres Einfamilienhauses liegen kleine Wrackteile des abgestürzten britischen Tornados. Einige hundert Meter dahinter, jenseits einer Nebenstraße auf freiem Feld der Rumpf des Flugzeuges, weiträumig abgesperrt von Bundeswehrsoldaten.
Die Engländer, Pilot und Waffenleitoffizier, fanden beim Absturz den Tod. Der Pilot des Alpha-Jets, der 39 Jahre alte Hauptmann Hermann Spät, konnte sich mit dem Schleudersitz retten. Spät gilt als erfahrener Luftfahrzeugführer. Er wurde unterkühlt auf einer Wiese in der Nähe des abgestürzten Alpha-Jets gefunden. Ein Notarzt versorgte ihn. Anschließend brachte ihn der ADAC-Rettungshubschrauber „Christoph 26" ins Nordwest-Krankenhaus Sanderbusch.
Er hatte Verletzungen an der Lendenwirbelsäule erlitten und hegt auf der anästheologischen Intensivstation unter Betreu¬ung von Chefarzt Dr. Hermann Kassel. Gestern Abend war der Pilot außer Lebensgefahr.
Ein Augenzeuge will gesehen haben, dass die Unglücksmaschinen im spitzen Winkel aufeinander zuflogen und offenbar kurz vor der Kollision noch abzudrehen versuchten.
Zerschmetterte Wohnzimmerfenster an einem Einfamilienhaus an der Ortsdurchfahrt von Hinrichsfehn: Unmittelbar über dem Haus sollen die Flugzeuge zusammengeprallt sein. Die entsetzte Bewohnerin sieht ihre beiden jungen Töchter an. Dann die Frage, die niemand beantwortet: „Was wäre, wenn die Kinder draußen gewesen wären?"
Der elfjährige Sascha Küster hörte von dem Unglück; als er in der Grundschule gerade Deutschunterricht hatte, in der Schule, in der 180 Kinder unterrichtet werden und die nur einige Hundert Meter von der Absturzstelle entfernt ist! „Ich hatte Schiss, dachte an meine Mutter und meine Geschwister und hoffte, dass unser Haus noch steht. Ich zitterte vor Angst, konnte den Füller nicht mehr halten."
Seine Mutter Annemarie spricht vielen aus der Seele, ist wie alle Dorfbewohner lärmgeplagt von den Flugzeugen: „Sie donnern hier immer rüber. Da wackeln die Teetassen im Schrank. Manchmal kann man den Piloten im Cockpit sehen, so tief fliegen sie.
Empörung, als sogar gestern nach dem Unglück immer noch Kampfmaschinen über Hinrichsfehn donnerten. Die Erklärung, die ein Bundeswehroffizier der „Wilhelmshavener Zeitung" gab, hörten die Hinrichsfehner nicht: „Sie vermessen die Unglücksstelle aus der Luft."
Die Menschen, die beinahe zu Opfern geworden sind, blieben zumindest nach außen hin ruhig. Keine Proteste, kaum Schaulustige. Lediglich Polizei, Feuerwehr und Bundeswehrangehörige waren auf der Straße zu sehen. Sie sperrten die Absturzstellen ab.
Die Wilhelmshavenerin Katja Fuhrmann (27), fuhr mit ihren beiden Kindern Swen (3) und Katrin (5) und Freund Rolf Schneider nach Hinrichsfehn. Vor der Absperrung beschriftete Rolf Schneider auf die Schnelle ein Transparent: „So wollen wir nicht leben."
Eine Bewohnerin des Ortes könnt es Stunden später immer noch nicht fassen. „Wir haben Glück gehabt. Eigentlich sollten wir jetzt feiern, dass wir mit dem Leben davongekommen sind."
Reaktionen der Politiker
ah Wiesmoor/Hannover. Das
Unglück hat sofort die Politiker auf den Plan gerufen. Niedersachsens Innenminister Josef Stock (CDU) erklärte, die Halbierung der Zahl der Tiefflüge in der Bundesrepublik sei ein „realistisches Ziel". Es gebe noch viel Spielraum zur Beschränkung der Tiefflüge über bewohntem Gebiet.
Der Obmann der Arbeitsgruppe Verteidigungspolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Klaus Francke, meinte, so bedauerlich dieser Unfall sei, so müsse doch zur Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft der Luftwaffe und zum Schutz von Piloten „an Tiefflügen auch in unserem Lande festgehalten werden."
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Charlotte Garbe (Jever) und das Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden der Grünen, Michael Golizbrzuch (Wittmund) sagten gestern: „Die unannehmbaren Risiken des militärischen Flugbetriebes haben sich erneut bestätigt. Abstürze wie der heutige sind nicht der Preis für die Freiheit', sondern Folge einer offensiven militärischen Option von NATO und Bundesluftwaffe.
Charlotte Garbe: „Keinerlei militärische Aufgaben rechtfertigen den Verlust von Menschenleben. Es muss endlich Schluss sein mit diesem Wahnsinn“
545 Flugzeuge verloren
Mit diesem Unglück hat die Bundesluftwaffe seit ihrem Bestehen 545 Flugzeuge durch Abstürze verloren, davon 92 außerhalb der Bundesrepublik. Darüber hinaus sind mit dem britischen Tornado 234 alliierte Luftfahrzeuge über dem Bundesgebiet abgestürzt. Allerdings sind die Abstürze der verbündeten Luftstreitkräfte erst seit 1973 genauer erfasst.
Theilen fordert: Beim Tiefflug nicht weiter wursteln
me Friesland. Mit tiefer Betroffenheit vor allem für die Opfer reagierte Landrat Bernd Theilen auf die Nachricht über die Flugzeug-Katastrophe in Wiesmoor.
Er nahm das Unglück zum Anlass, erneut mit Nachdruck auf eine politische Entscheidung aus Bonn zu drängen. „Die Sorge der Bevölkerung um die Tiefflüge wächst. Die explosive Stimmung lässt das Vertrauen in die Bundeswehr immer mehr schwinden. Ich bin erschüttert, in welcher Form der Bundesverteidigungsminister die Tiefflüge wieder aufgenommen hat."
Um die Belastung endlich abzubauen, fordert der friesländische Sozialdemokrat von den Bonner Regierungsver-antwortlichen ein Konzept, um in gemeinsamem Konsens Tiefflüge einzuschränken oder besser ganz überflüssig zu machen.
Bernd Teilen: „Nach den Unfällen und Katastrophen kann der Verteidigungsminister doch nicht einfach über alles wegwursteln. Es darf doch nicht sein, dass erst nach den traurigen Ereignissen etwas geschieht." Dieses Verhalten belastet auch das gute Verhältnis zum Jagdbombergeschader 38 „Friesland" in Upjever.