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Interview-Protokolle mit Entscheidungsträgern der Armee unterstreichen: Schwedens Neutralität im Kalten Krieg war eine sehr spezielle
Der ohnehin angeknackste Mythos der schwedischen Neutralität während des Kalten Krieges hat weitere Dellen erhalten. Wie aus erstmals zugänglichen Interview-Protokollen mit Entscheidungsträgern der schwedischen Armee hervorgeht, gab es nicht nur einen informellen Austausch von militärischen Geheimdienstinformationen mit anderen westlichen Staaten, sondern auch ein zumindest stillschweigendes Einverständnis unter schwedischen Kampfpiloten, im Ernstfall auf gegen die Sowjetunion abgefeuerte, schwedischen Luftraum durchfliegende US-Raketen "schlecht zu zielen".
Gesprächsprotokolle als Quelle
Die einem Artikel der finnischen Wirtschaftszeitung "Kauppalehti" zu Grunde liegenden Protokolle stammen von den Arbeiten an einem Report über die schwedische Sicherheitspolitik in den Jahren 1969-89, den der ehemalige Irak-Berichterstatter der UNO, Rolf Ekeus, im Auftrag der schwedischen Regierung im Dezember 2002 vorgelegt hatte. Ekeus' Bericht kam damals trotz Hinweisen für eine enge Kooperation Schwedens mit den Westmächten zu dem Schluss, dass alle Maßnahmen der schwedischen Führung in den letzten 20 Jahren des Kalten Krieges mit dem Status als neutrales Land vereinbar waren.
Die nun zugänglich gewordenen Gesprächsprotokolle legen nahe, dass das von der schwedischen Armee vermittelte strategische Bedrohungsbild im Kalten Krieg extrem einseitig war. Der ehemalige Verteidigungsminister Eric Krönmark sagte gegenüber der Ekeus-Komission, wenn Schweden in die Situation gekommen wäre, eine auf die Sowjetunion abgeschossene, das eigene Territorium überfliegende US-Rakete abschießen zu müssen, hätten die schwedischen Abfangjäger-Piloten "schlecht gezielt". Ex-Armeechef Bengt Gustafsson berichtete, dass es bei den gelegentlich abgehaltenen Pro-Forma-Übungen gegen einen hypothetischen NATO-Angriff oft schwierig war, die Rekruten auch nur zum Abfeuern von Übungsmunition zu bewegen.
Informationsaustausch
In dem Artikel ist auch von einem "Gentlemen-Agreement" die Rede, das zwischen den Militärgeheimdiensten Schwedens und "mehreren Ländern" bestanden habe. Demnach tauschten diese Geheimdienste untereinander Informationen aus. Das Geheimabkommen habe mündlich bestanden, mit dem Zweck, es jederzeit dementieren und im Bedarfsfall auch einseitig beenden zu können.
An diesem Austausch von Geheimdienstinformationen nahm auch das ebenfalls neutrale und durch den so genannten "FZB-Vertrag" über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand mit der Sowjetunion verbundene Finnland teil. Allerdings trauten die Schweden offenbar ihren östlichen Nachbarn nicht immer: Armeechef Gustafsson ging höchstpersönlich als Tourist getarnt in Finnland in den Wald "Beeren sammeln" - um finnische Verteidigungsanlagen auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen.
Feindbild künstlich am Leben erhalten?
In den achtziger Jahren erlauschte das "Ohr" der schwedischen Armee, Försvarets Radioanstalt (FRA), Hinweise für ein Nachlassen der Schlagkraft der Sowjetarmee - und stieß damit bei der eigenen Führung auf taube Ohren. Der von der Ekeus-Kommission interviewte damalige FRA-Chef Pär Kettis glaubt, dass die USA und Großbritannien damals Druck auf die schwedische Regierung ausübten, weil sie den Mythos eines starken Feindes im Osten unbedingt aufrecht erhalten wollten.
Bereits im offiziellen Ekeus-Report von 2002 wurde aufgedeckt, dass die US-Regierung unter Präsident John F. Kennedy 1962 Schweden eine seinerzeit geheim gehaltene, einseitige Verteidigungsgarantie erteilt hatte. Diese galt dem Bericht zufolge bis 1981 und möglicherweise sogar bis 1989.
Die anderen zentral- und nordeuropäischen Neutralen der Nachkriegszeit, Österreich, die Schweiz und Finnland erhielten offenbar keine derartige Garantie. Der ehemalige Vertraute des 1986 ermordeten schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme, Ex-Verteidigungsminister Anders Thunborg, sagte, er habe einmal einen hohen US-Offizier gefragt, warum gerade Schweden in den Genuss dieser geheimen Beistandsgarantie gekommen sei. Die Antwort habe gelautet: "Wir lesen unsere Landkarten".
Quelle: http://derstandard.at/?url=/?id=1966875
Der ohnehin angeknackste Mythos der schwedischen Neutralität während des Kalten Krieges hat weitere Dellen erhalten. Wie aus erstmals zugänglichen Interview-Protokollen mit Entscheidungsträgern der schwedischen Armee hervorgeht, gab es nicht nur einen informellen Austausch von militärischen Geheimdienstinformationen mit anderen westlichen Staaten, sondern auch ein zumindest stillschweigendes Einverständnis unter schwedischen Kampfpiloten, im Ernstfall auf gegen die Sowjetunion abgefeuerte, schwedischen Luftraum durchfliegende US-Raketen "schlecht zu zielen".
Gesprächsprotokolle als Quelle
Die einem Artikel der finnischen Wirtschaftszeitung "Kauppalehti" zu Grunde liegenden Protokolle stammen von den Arbeiten an einem Report über die schwedische Sicherheitspolitik in den Jahren 1969-89, den der ehemalige Irak-Berichterstatter der UNO, Rolf Ekeus, im Auftrag der schwedischen Regierung im Dezember 2002 vorgelegt hatte. Ekeus' Bericht kam damals trotz Hinweisen für eine enge Kooperation Schwedens mit den Westmächten zu dem Schluss, dass alle Maßnahmen der schwedischen Führung in den letzten 20 Jahren des Kalten Krieges mit dem Status als neutrales Land vereinbar waren.
Die nun zugänglich gewordenen Gesprächsprotokolle legen nahe, dass das von der schwedischen Armee vermittelte strategische Bedrohungsbild im Kalten Krieg extrem einseitig war. Der ehemalige Verteidigungsminister Eric Krönmark sagte gegenüber der Ekeus-Komission, wenn Schweden in die Situation gekommen wäre, eine auf die Sowjetunion abgeschossene, das eigene Territorium überfliegende US-Rakete abschießen zu müssen, hätten die schwedischen Abfangjäger-Piloten "schlecht gezielt". Ex-Armeechef Bengt Gustafsson berichtete, dass es bei den gelegentlich abgehaltenen Pro-Forma-Übungen gegen einen hypothetischen NATO-Angriff oft schwierig war, die Rekruten auch nur zum Abfeuern von Übungsmunition zu bewegen.
Informationsaustausch
In dem Artikel ist auch von einem "Gentlemen-Agreement" die Rede, das zwischen den Militärgeheimdiensten Schwedens und "mehreren Ländern" bestanden habe. Demnach tauschten diese Geheimdienste untereinander Informationen aus. Das Geheimabkommen habe mündlich bestanden, mit dem Zweck, es jederzeit dementieren und im Bedarfsfall auch einseitig beenden zu können.
An diesem Austausch von Geheimdienstinformationen nahm auch das ebenfalls neutrale und durch den so genannten "FZB-Vertrag" über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand mit der Sowjetunion verbundene Finnland teil. Allerdings trauten die Schweden offenbar ihren östlichen Nachbarn nicht immer: Armeechef Gustafsson ging höchstpersönlich als Tourist getarnt in Finnland in den Wald "Beeren sammeln" - um finnische Verteidigungsanlagen auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen.
Feindbild künstlich am Leben erhalten?
In den achtziger Jahren erlauschte das "Ohr" der schwedischen Armee, Försvarets Radioanstalt (FRA), Hinweise für ein Nachlassen der Schlagkraft der Sowjetarmee - und stieß damit bei der eigenen Führung auf taube Ohren. Der von der Ekeus-Kommission interviewte damalige FRA-Chef Pär Kettis glaubt, dass die USA und Großbritannien damals Druck auf die schwedische Regierung ausübten, weil sie den Mythos eines starken Feindes im Osten unbedingt aufrecht erhalten wollten.
Bereits im offiziellen Ekeus-Report von 2002 wurde aufgedeckt, dass die US-Regierung unter Präsident John F. Kennedy 1962 Schweden eine seinerzeit geheim gehaltene, einseitige Verteidigungsgarantie erteilt hatte. Diese galt dem Bericht zufolge bis 1981 und möglicherweise sogar bis 1989.
Die anderen zentral- und nordeuropäischen Neutralen der Nachkriegszeit, Österreich, die Schweiz und Finnland erhielten offenbar keine derartige Garantie. Der ehemalige Vertraute des 1986 ermordeten schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme, Ex-Verteidigungsminister Anders Thunborg, sagte, er habe einmal einen hohen US-Offizier gefragt, warum gerade Schweden in den Genuss dieser geheimen Beistandsgarantie gekommen sei. Die Antwort habe gelautet: "Wir lesen unsere Landkarten".
Quelle: http://derstandard.at/?url=/?id=1966875