Moin Peter,
@HoHun Messerschmitt als Kronzeuge in eigener Sache. Genau mein Humor. Was er für ein Falschmünzer war, sieht man schon am Umgang mit den Abstürzen und Konstruktionsfehlern der M 20, M 23 und M 29, deren Vertuschung viele Menschenleben gekostet hat. Diese Nachkriegsäußerungen sind überhaupt nichts wert, zumal die 109 die erste militärische Entwicklung von Messerschmitt überhaupt war und er nur schemenhafte Vorstellungen davon haben konnte, was einen Jäger ausmacht bzw. wie man ihn konstruiert.
Wenn Messerschmitt den Auftrag unabhängig von der Leistung der Me 109 sicher in der Tasche gehabt hätte, dann hätte es auch keinen Grund gegeben, bestimmte Bedingungen der Ausschreibung - wie die bezüglich der Flächenbelastung - zu ignorieren. Im Gegenteil, es wäre sogar ein unnötiges Risiko gewesen ... eine klar definierte Vorgabe nicht zu erfüllen, die das Konkurrenzmuster einhält, kann dazu führen, dass die Entscheidung für die Me 109 in Frage gestellt wird.
Insofern ist diese Abweichung eher ein Indiz dafür, dass die Entscheidung nicht vorher feststand. Daß Messerschmitt sich vorher ein OK des Auftraggebers eingeholt hat, ist ebenfalls glaubwürdig. Quellenkritik ist natürlich wichtig, aber hier sehe ich keinen Anhaltspunkt für eine Leiche im Keller ;-)
Nach Mankau bekam Heinkel ein Schreiben, dass aus "industriepolitischen Gründen" die Entscheidung für die 109 gefallen wäre. Die Leistungen oder Fertigungsfragen spielten also keinerlei Rolle bei der Entscheidung.
Das Schreiben an Heinkel belegt nur die Begründung gegenüber Heinkel, die nicht Gründe für die Entscheidung. Ohne es gesehen zu haben, halte ich das für ein "Höflichkeitsschreiben" an Heinkel. Die echten Gründe diskutiert man hinter geschlossenen Türen, und wenn die Akten aus der Zeit weg sind (Kosin schreibt ja, "aktenkundig sind die Begründungen nicht geworden"), dann ist ein netter Brief an den Zweitplazierten kein Ersatz.
Besseres Flugzeug Bf 109: Dann ließ z.B. mal die Einschätzung von Flugbaumeister Gerhard Geike, einem Piloten der E-Stelle Rechlin, bei Kosin, Die Entwicklung der deutschen Jagdflugzeuge, S. 108. Übereinstimmend mit Heinkel schreibt er auch "In diese Zeit [Eigenschaftserprobung der 109: schlechtes Abkippverhalten, Trudelneigung] fiel überraschend vor Ablauf der Erprobung die Entscheidung zwischen He 112 und Bf 109 zugunster der letzteren."
Gerade gemacht. Vorweg: Auf S. 107 läßt Kosin ziemlich deutlich werden, daß die Flugleistungen der Me 109 entschieden überlegen waren. Auf S. 112 beschreibt er dann Heinkels mühsamen Weg, leistungsmäßig mit der He 112 gleichzuziehen, und wirft die Frage auf, ob die He 112B nach all den Änderungen noch die gleichen guten Flugeigenschaften der ursprünglichen He 112 hat.
Geike (in meiner Ausgabe steht "Geikei", aber das wird ein Druckfehler sein! :-) beschreibt erstmal den Looping ... da zieht er falsche Schlußfolgerungen. Wenn die Me 109 aus dem Looping raustrudelt, wenn er das Höhenruder bei niedriger Geschwindigkeit weit ausschlägt, dann ist das ein Zeichen, daß das Höhenruder so funktioniert, wie es soll. Es gibt Flugzeugmuster, deren Höhenruderwirksamkeit bei niedriger Geschwindigkeit nicht ausreicht, um ein Überziehen zu erreichen, aber das ist eher eine schlechte Eigenschaft, ganz besonders für Jagdflugzeuge.
Dass er dann annimmt, die Loopings ließen sich deswegen nur mit größerem Durchmesser fliegen, ist irrig ... die Loopinggröße (Durchmesser will ich nicht sagen, weil ein Looping nicht unbedingt kreisförmig sein muß) ist bei Flug mit maximalem Anstellwinkel immer gleich, egal mit welchem Höhenruderauschlag der maximale Anstellwinkel erzielt wird. Als Muster mit höherer Flächenbelastung sollte die Me 109 tatsächlich eine größere minimale Loopinggröße erfliegen können als die He 112, aber das hat nichts mit dem Höhenruderausschlag zu tun.
Dann sagt Geike, "Durch Änderung des Anstellwinkels der äußeren Tragflächen konnten die aerodynamischen Eigenschaften verbessert werden". Wenn das stimmt, dann sind die Erprobungsflüge mit dem Versuchsmuster eh nicht aussagekräftig für die Serie, da das Problem offensichtlich später verringert oder behoben wurde. Da der Flügel aller späteren Me-109-Varianten aber keine geometrische Schränkung hatte, bin ich aber skeptisch, ob Geike da die historische Situation korrekt beschreibt. Die automatischen Vorflügel der Me 109 haben ja den asymmetrischen Strömungsabriß an den Außenflächen verhindert, warum sollte man da eine leistungsmäßig nachteilige Schränkung einführen? Zumindest ist Geikes Schildung unklar und unvollständig. Leider habe ich auf die Schnelle keine Quellenangabe gefunden, aber da Kosin offensichtlich aus einem längeren Bericht zitiert, könnte sich da noch spannendes Material verbergen! :-)
Darüber die Vorflügel ist bei Radinger/Otto/Schick einiges zu lesen, unter anderem, daß die Me 109 vor dem Krieg ausgiebigen Trudererprobungen unterzogen wurde und dabei ausgesprochen gutmütige Eigenschaften erwies. Das ist auch in den alliierten Auswertungen des Musters so zu lesen - die Franzosen haben festgestellt, daß die D.520 leistungs- und wendigkeitsmäßig sehr nah an der (erbeuteten) Me 109E lag, aber in harten Kurven dazu neigte, plötzlich eine halbe Drehung rauszutrudeln, während die Me 109 sehr stabil in der Kurve lag und durch eine deutliches Rütteln des Knüppels dem Piloten den Grenzbereich anzeigte. Die Briten haben sogar festgestellt, daß selbst Piloten mit Kampferfahrung auf der Hurricane und Spitfire sich von der erbeuteten Me 109 mit RAF-Piloten am Steuer auskurven ließen, weil die Piloten auf den ihnen vertrauten RAF-Mustern vorsichtshalber den Grenzbereich mieden, um nicht in Trudelgefahr zu kommen, während ihre Kameraden, die das Feindflugzeug steuerten, so viel Vertrauen in die Me 109 hatten, daß sie die engstmögliche Kurve aus dem Flugzeug herausholten. (Und das, obwohl sowohl die Hurricane als auch die Spitfire als sehr gutmütig galten und im Grenzbereich sehr viel engere Kurven fliegen konnten als die Me 109.)
Aber ganz ungeachtet der in vielerlei Hinsicht sehr guten Flugeigenschaften der Me 109 - was einen Jäger ausmacht, sind die Flugleistungen. Und dazu sagt Geike, "Trotz einer Reihe von Mängeln hatte man ihr wegen ihrer besseren Leistungen, des geringeren Gewichtes und der billigeren Bauweise den Vorzug gegeben." Das geringere Gewicht bringt natürlich direkt bessere Leistungen. Kosin bezweifelt so ein bißchen die billigere Bauweise (ohne Belege), aber Heinkel selbst war offensichtlich in dieser Hinsicht von der Me 109 beeindruckt und hat sie mit der He 100 dann auch in dieser Hinsicht ins Fadenkreuz genommen. (Die Fw 190 hatte in scharfen Kurven übrigens deutlich schlechtere Überzieheigenschaften als die Me 109 ... das wurde so hingenommen, weil ein Jäger eben auf Leistung gebaut wird. Der Bericht von Lerche über die La-5 läßt durchblicken, daß die sowjetischen Muster da noch deutlich schlechter waren. C'est la guerre! ;-)
Die nicht direkt mit der Me 109 zusammenhängenden Punkte lasse ich aus Zeitgründen mal unkommentiert ... die fallen zugegebenermaßen auch nicht so ganz in den Bereich, in dem ich mich mehr oder weniger auskenne ;-)
Tschüs!
Henning (HoHun)