Jumo Entwicklungs-Kapazität

Diskutiere Jumo Entwicklungs-Kapazität im WK I & WK II Forum im Bereich Geschichte der Fliegerei; Moin, die Junkers Werke waren ja bekanntlich in der Kriegszeit der größte deutsche Luftfahrt-Konzern - und zwar mit Abstand. Wenn ich mich recht...
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Moin,

die Junkers Werke waren ja bekanntlich in der Kriegszeit der größte deutsche Luftfahrt-Konzern - und zwar mit Abstand. Wenn ich mich recht erinnere, dann finden sich im Buch von Herrn Budraß entsprechende Zahlen. Betrachtet man die Chronologie der Entwicklung der Flugmotoren bei Jumo in der Sekundärliteratur, dann scheint es aber so, dass die Größe des Gesamtkonzernes sich nicht in einer überlegenen Entwicklungs-Kapazität widerspiegelt.

Bei Jumo wurden während des Krieges die Motoren 213 und 222 neu entwickelt. Sowohl bei Gersdorff/Grasmann als auch im bezüglich des Jumo 222 überraschend informativen Dabrowski/Achs wird gesagt, dass beide Projekte mit wechselnder Dringlichkeit betrieben wurden: Zunächst hatte der 222 Vorrang, später der 213. Ab Ende 41 wurden "aus dem Kobü Brandner Leute zu Jumo 213 abgezogen" (Bomber B, S.271), durch den Jumo 213 wurden "Werkstätten und Prüfstände voll belegt" (Flugmotoren, S.86). Mit anderen Worten: Die Ausstattung mit Personal, Prüfständen usw. reichte für die parallele Entwicklung zweier Hochleistungs-Motoren nicht aus.

Nun wurden aber bei Daimler-Benz während der Kriegsjahre nicht nur der DB 605 und der DB 603 zur Serienreife gebracht, sondern auch zunächst der DB 604, später der DB 609 entwickelt, sowie an zahlreichen Varianten der Serienmotoren mit Zweistufen- und Abgasladern gearbeitet.

Muss man also daraus schließen, dass Daimler-Benz im Bereich Motorenentwicklung mehr Kapazitäten hatte als Jumo? Wieviele Mitarbeiter arbeiteten in etwa in der Motoren-Entwicklung bei Junkers? Wieviele bei Daimler? Brandner sagt: "Ich hatte nie mehr als 28 Mann" (Aerokurier 10/70) Weiß jemand mehr als ich?
 
HoHun

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Bei Jumo wurden während des Krieges die Motoren 213 und 222 neu entwickelt. Sowohl bei Gersdorff/Grasmann als auch im bezüglich des Jumo 222 überraschend informativen Dabrowski/Achs wird gesagt, dass beide Projekte mit wechselnder Dringlichkeit betrieben wurden: Zunächst hatte der 222 Vorrang, später der 213. Ab Ende 41 wurden "aus dem Kobü Brandner Leute zu Jumo 213 abgezogen" (Bomber B, S.271), durch den Jumo 213 wurden "Werkstätten und Prüfstände voll belegt" (Flugmotoren, S.86). Mit anderen Worten: Die Ausstattung mit Personal, Prüfständen usw. reichte für die parallele Entwicklung zweier Hochleistungs-Motoren nicht aus.

Nun wurden aber bei Daimler-Benz während der Kriegsjahre nicht nur der DB 605 und der DB 603 zur Serienreife gebracht, sondern auch zunächst der DB 604, später der DB 609 entwickelt, sowie an zahlreichen Varianten der Serienmotoren mit Zweistufen- und Abgasladern gearbeitet.

Muss man also daraus schließen, dass Daimler-Benz im Bereich Motorenentwicklung mehr Kapazitäten hatte als Jumo? Wieviele Mitarbeiter arbeiteten in etwa in der Motoren-Entwicklung bei Junkers? Wieviele bei Daimler? Brandner sagt: "Ich hatte nie mehr als 28 Mann" (Aerokurier 10/70) Weiß jemand mehr als ich?
Ich denke, bei Jumo lief auch noch mehr als nur die Arbeit an den beiden genannten Motoren. Der Jumo 210 war ja der meistgebaute deutsche Flugmotor überhaupt, und ich gehe davon aus, daß die fortlaufende Verbesserung ebenfalls eine Menge Entwicklungskapazität band. Auch bei den nicht verwirklichten Motoren gab es bei Jumo noch weitere, z. B. den Jumo 223. Im Zusammenhang "Lusser-Lahs-Brief" wurde die Thematik, wie aufwendig die Serienbetreuung ist, ja gerade ausführlich diskutiert, auch wenn es da vor allem um Flugzeugzellen ging. Die Frage ist sicher auch, welche Zahlen man miteinander vergleichen kann - Brandner mag nur 28 Ingenieure direkt unter sich gehabt haben, aber wurden vielleicht wichtige Anteile der Entwicklungsarbeit auch von Detailkonstrukteuren erledigt, die innerhalb von Jumo auch Aufträge von anderen Entwicklungsteams und aus der Serienbetreuung erledigten, ohne direkt zu einem Team zu gehören? Da sind ja unterschiedliche Organisationsformen denkbar, die eine Vergleich zwischen verschiedenen Firmen erschweren könnten.

Bei Pohlmann (Junkers, später Hamburger Flugzeugbau) habe ich gerade ein paar Mannstunden-Diagramme für den Flugzeugentwurf gesehen - wenn man so etwas auch für die Motorenentwicklung hätte, dann wäre das schon sehr informativ! :-) Pohlmann zeigt, daß der Konstruktionsaufwand für Zellen seit den 1930ern auf ein Vielfaches angestiegen war, z. B. von der Ju 88 zur grundlegend ähnlichen und nur wenig größeren Ju 288 um den Faktor 5 (oder so). Bei Eisenlohr ist zu lesen, daß in Deutschland der für die Entwicklung von neuen Motortypen erforderliche Aufwand im zweiten Weltkrieg systematisch und massiv unterschätzt worden ist, also ist Deine Fragestellung doppelt interessant! :-)

Tschüs!

Henning (HoHun)
 
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Ich denke, bei Jumo lief auch noch mehr als nur die Arbeit an den beiden genannten Motoren. Der Jumo 210 war ja der meistgebaute deutsche Flugmotor überhaupt, und ich gehe davon aus, daß die fortlaufende Verbesserung ebenfalls eine Menge Entwicklungskapazität band. Auch bei den nicht verwirklichten Motoren gab es bei Jumo noch weitere, z. B. den Jumo 223. Im Zusammenhang "Lusser-Lahs-Brief" wurde die Thematik, wie aufwendig die Serienbetreuung ist, ja gerade ausführlich diskutiert, auch wenn es da vor allem um Flugzeugzellen ging.
Du hast natürlich Recht, aber das war bei Daimler ja genauso: Sie hatten die Weiterentwicklung des 601 zu leisten wie Junkers die des 211, Daimler hatte schon 1940 mit dem 601C die erste Zweistufenlader-Entwicklung, es gab die Doppelmotoren 606, 610, 613, , den 608, den Diesel 607, die Zweistufen-Motoren 627, 628 und die Abgasladermotoren 621, 624, 623, 625, wobei das alles Motoren waren, die mindestens auf dem Prüfstand gelaufen sein sollen. Von ähnlichen Varianten des 211 steht in der Literatur nichts und in der Summe hat Daimler da deutlich mehr geleistet als Junkers. Das finde ich erstaunlich, weil von einem schnellen Entwicklungstempo aufgrund von "Konzentration" beim 213 z.B. ja nun wirklich nicht die Rede sein kann.

Bei Eisenlohr ist zu lesen, daß in Deutschland der für die Entwicklung von neuen Motortypen erforderliche Aufwand im zweiten Weltkrieg systematisch und massiv unterschätzt worden ist,
Besonders auch von ihm selbst...

also ist Deine Fragestellung doppelt interessant! :-)
Jepp :-) Vielleicht eine Frage lückenhafter Quellen? Ich finde ja auch die Zahl der überlieferten Zellen-Projekte bei Junkers im Vergleich zu anderen Firmen überraschend dürftig.

Rainer
 
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Du hast natürlich Recht, aber das war bei Daimler ja genauso: Sie hatten die Weiterentwicklung des 601 zu leisten wie Junkers die des 211, Daimler hatte schon 1940 mit dem 601C die erste Zweistufenlader-Entwicklung, es gab die Doppelmotoren 606, 610, 613, , den 608, den Diesel 607, die Zweistufen-Motoren 627, 628 und die Abgasladermotoren 621, 624, 623, 625, wobei das alles Motoren waren, die mindestens auf dem Prüfstand gelaufen sein sollen. Von ähnlichen Varianten des 211 steht in der Literatur nichts und in der Summe hat Daimler da deutlich mehr geleistet als Junkers. Das finde ich erstaunlich, weil von einem schnellen Entwicklungstempo aufgrund von "Konzentration" beim 213 z.B. ja nun wirklich nicht die Rede sein kann.
Mein Punkt war, daß wahrscheinlich bei beiden Firmen deutlich mehr Ingenieurskapazität vorhanden war, als für die Entwicklung neuer Motoren eingesetzt wurde. Das könnte implizieren, daß es bei einem Motor, der nicht vorankam, vielleicht wirklich an der Tiefe der Schwierigkeiten und nicht an der mangelnden Ingenieurskapazität gelegen haben könnte.

Aus der Softwareentwicklung kennt man den Effekt, daß das Hinzufügen zu mehr und mehr Entwicklern zu einem Team, das nicht vorankommt, absolut kontraproduktiv sein kann. Ich könnte mir vorstellen, daß wenn ein Motor an einem Knackpunkt hing, mehr Leute nicht die Antwort waren ... zumal aufgrund des schnellen Aufbaus der deutschen Luftfahrtindustrie auch keine große Basis an erfahrenen Ingenieuren vorhanden war, während es am Knackpunkt sicher eher an Experten mangelte denn an reiner Mannstärke.

Meiner Meinung nach gibt es eben Entwicklungen, die sich nicht abkürzen lassen. Im Projektmanagement sind das eben die kritischen Pfade, von denen der Zeitplan des ganzen Projektes abhing ... aber dieses Konzept gibt es erst seit den 1950ern. Es würde mich nicht überraschen, wenn die im 2. Weltkrieg Projektmanagementmethoden ganz allgemein der damals explodierenden Komplexität der Vorhaben einfach nicht gewachsen waren und wir (auch) deswegen so viele Stories über Mißmanagement, Verzögerungen und verpaßte Gelegenheiten zu hören bekommen.

Tschüs!

Henning (HoHun)
 
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Mein Punkt war, daß wahrscheinlich bei beiden Firmen deutlich mehr Ingenieurskapazität vorhanden war, als für die Entwicklung neuer Motoren eingesetzt wurde. Das könnte implizieren, daß es bei einem Motor, der nicht vorankam, vielleicht wirklich an der Tiefe der Schwierigkeiten und nicht an der mangelnden Ingenieurskapazität gelegen haben könnte.

Aus der Softwareentwicklung kennt man den Effekt, daß das Hinzufügen zu mehr und mehr Entwicklern zu einem Team, das nicht vorankommt, absolut kontraproduktiv sein kann. Ich könnte mir vorstellen, daß wenn ein Motor an einem Knackpunkt hing, mehr Leute nicht die Antwort waren ... zumal aufgrund des schnellen Aufbaus der deutschen Luftfahrtindustrie auch keine große Basis an erfahrenen Ingenieuren vorhanden war, während es am Knackpunkt sicher eher an Experten mangelte denn an reiner Mannstärke.

Meiner Meinung nach gibt es eben Entwicklungen, die sich nicht abkürzen lassen. Im Projektmanagement sind das eben die kritischen Pfade, von denen der Zeitplan des ganzen Projektes abhing ... aber dieses Konzept gibt es erst seit den 1950ern. Es würde mich nicht überraschen, wenn die im 2. Weltkrieg Projektmanagementmethoden ganz allgemein der damals explodierenden Komplexität der Vorhaben einfach nicht gewachsen waren und wir (auch) deswegen so viele Stories über Mißmanagement, Verzögerungen und verpaßte Gelegenheiten zu hören bekommen.

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Henning (HoHun)
Das ist sicherlich richtig, viele Gehirne denken nicht unbedingt schneller. Der Anselm Franz hat zum Beispiel gesagt, er habe zu jeder Zeit genug Mitarbeiter und Ausrüstung gehabt: Schneller ging halt die Problemlösung nicht. Aber diese richtige Feststellung erklärt immer noch nicht, warum es bei Jumo zu Schwerpunktverlagerungen kam. Wenn mehr Leute nicht die Lösung waren, warum wurden sie zunächst am Jumo 222 eingesetzt und später dann beim 213? Und bei von Gersdorff heißt es: "Bei Jumo hatte inzwischen der 12-Zylinder-V-Motor Jumo 213 die erste Priorität erhalten und damit Werkstätten und Prüfstände voll belegt." Wenn das beides zutreffend ist, dann beweist das doch, dass Kapazitätsgründe eine erhebliche Rolle spielten. Und zwar nicht im Konstruktiven, sondern beim Bau und beim Testequipment. Und es bleibt doch dabei, dass - wenn man der Literatur Glauben schenkt - Daimler deutlich mehr Motorvarianten entwickelte als Junkers.

In Bezug auf das Jumo 004 habe ich Folgendes gefunden:
"Franz war initially given a few people from his supercharger department, but his group grew steadily to about 500 people in 1944." ("The Development of the Junkers Jumo 004B": Journal of Engineering for Gas Turbines and Power 1997, S. 785)
500 Leute ist dann schon mal eine andere Ansage als Brandners angebliche 28 Mann.

Rainer
 
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