AGO Scheer
Space Cadet
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Hallo Kollegen,
in der historischen Recherche kommt man nicht um sie herum: die Zeitzeugen. Und da ich auch schon in die Falle "Wahrheitsgehalt" tappte, hier einige Überlegungen:
Das erste grundsätzliche Problem bei der "Nutzung" dieser Quellen ist deren Glaubwürdigkeit. Damit ist keinesfalls gemeint, dass man in Interviews bewusst "die Hucke vollgelogen" bekommt. Keinesfalls!
Das Riskante bei der Verwertung dieser Quellen ist vielmehr, dass Zeitgenossen einer historischen Epoche unbewusst (!) in Gesprächen Gehörtes als eigenes Erleben darstellen. Das ist keine Böswilligkeit, das ist ein "Streich" des Hirns begünstigt durch die Zeit des Abstands zwischen dem Ereignis und der Befragung:
Gehörtes wird schlichtweg in das eigene Erleben integriert.
Zweiter Risiko-Faktor: "selektives Erinnern"- das Hirn schaltet unangenehmes Erleben gern ab.
Drittens: Je näher der Zeuge am Geschehen, desto realer die Aussicht auf verwertbare Informationen. Doch auch da muss man gegenprüfen.
Ich gebe mal einige Beispiele:
Zum ersten: In Oschersleben kursiert noch heute unter der älteren Bevölkerung die Geschichte, der Einflieger Kirsch hätte die Einflug-Halle durchflogen. Dafür gibt es Augenzeugen. Nur, abgesehen davon, dass er reinfliegen könnte, durchfliegen ging nicht, hinten war eine Mauer.. Nur die Endmontagehalle hatte vorn und hinten Rolltore. Da wäre es theoretisch möglich, praktisch aber aus naheliegenden (!) Gründen ebenso unmöglich, hindurch zu fliegen...
Anderes Beispiel: Ein Ex-Lehrling wollte von seinem Arbeitsplatz zum Absturzort eines Einfliegers gelaufen sein und beschrieb sehr anschaulich die Absturzstelle.. Die lag aber lt.offizieller Schadenmeldung ca. 40 km weit ab.
Zu Zweitens: Ein in höherer Position mit der Einrichtung der Untertage-Fertigung betrauter Zeitzeuge konnte sich nicht an die üblen und tödlichen (!) Zustände erinnern. Weder im Schacht Hadmersleben, wo KZ-Häftlinge und IMIs eingesetzt waren, noch bei der Errichtung der Anlage "Lachs" bei Kahla: O-Ton: "Das gab es bei uns nicht."
Und nun zum letzten Punkt ein Beispiel: Es gibt sie wirklich: Die Superhirne. Die Sekretärin Frau H., angestellt beim Chef der Einfliegerei Friedrich Ritz, konnte Flugunfälle aus dem Gedächtnis aufrufen, die, verglichen mit den offiziellen Schadenmeldungen, auf den Tag genau stimmten und auch die genannten Namen tätsächlich als Beteiligte erschienen. Gleiches galt für die ehemaligen Flugzeugführer, aber deren Gedächtnis half immerhin das Flugbuch auf die Sprünge...
Wichtig finde ich in jedem Fall die Gegenprüfung der Aussagen, soweit möglich.
Denn die Zeugen "lügen" meiner Meinung nach nicht, sie erinnern fehlerhaft.
Nun würde mich interessieren, welche Erfahrungen konntet ihr mit der Zuverlässigkeit sog. "Oral History" machen und ob ihr noch Ergänzungen zu den "Kategorien" habt.
in der historischen Recherche kommt man nicht um sie herum: die Zeitzeugen. Und da ich auch schon in die Falle "Wahrheitsgehalt" tappte, hier einige Überlegungen:
Das erste grundsätzliche Problem bei der "Nutzung" dieser Quellen ist deren Glaubwürdigkeit. Damit ist keinesfalls gemeint, dass man in Interviews bewusst "die Hucke vollgelogen" bekommt. Keinesfalls!
Das Riskante bei der Verwertung dieser Quellen ist vielmehr, dass Zeitgenossen einer historischen Epoche unbewusst (!) in Gesprächen Gehörtes als eigenes Erleben darstellen. Das ist keine Böswilligkeit, das ist ein "Streich" des Hirns begünstigt durch die Zeit des Abstands zwischen dem Ereignis und der Befragung:
Gehörtes wird schlichtweg in das eigene Erleben integriert.
Zweiter Risiko-Faktor: "selektives Erinnern"- das Hirn schaltet unangenehmes Erleben gern ab.
Drittens: Je näher der Zeuge am Geschehen, desto realer die Aussicht auf verwertbare Informationen. Doch auch da muss man gegenprüfen.
Ich gebe mal einige Beispiele:
Zum ersten: In Oschersleben kursiert noch heute unter der älteren Bevölkerung die Geschichte, der Einflieger Kirsch hätte die Einflug-Halle durchflogen. Dafür gibt es Augenzeugen. Nur, abgesehen davon, dass er reinfliegen könnte, durchfliegen ging nicht, hinten war eine Mauer.. Nur die Endmontagehalle hatte vorn und hinten Rolltore. Da wäre es theoretisch möglich, praktisch aber aus naheliegenden (!) Gründen ebenso unmöglich, hindurch zu fliegen...
Anderes Beispiel: Ein Ex-Lehrling wollte von seinem Arbeitsplatz zum Absturzort eines Einfliegers gelaufen sein und beschrieb sehr anschaulich die Absturzstelle.. Die lag aber lt.offizieller Schadenmeldung ca. 40 km weit ab.
Zu Zweitens: Ein in höherer Position mit der Einrichtung der Untertage-Fertigung betrauter Zeitzeuge konnte sich nicht an die üblen und tödlichen (!) Zustände erinnern. Weder im Schacht Hadmersleben, wo KZ-Häftlinge und IMIs eingesetzt waren, noch bei der Errichtung der Anlage "Lachs" bei Kahla: O-Ton: "Das gab es bei uns nicht."
Und nun zum letzten Punkt ein Beispiel: Es gibt sie wirklich: Die Superhirne. Die Sekretärin Frau H., angestellt beim Chef der Einfliegerei Friedrich Ritz, konnte Flugunfälle aus dem Gedächtnis aufrufen, die, verglichen mit den offiziellen Schadenmeldungen, auf den Tag genau stimmten und auch die genannten Namen tätsächlich als Beteiligte erschienen. Gleiches galt für die ehemaligen Flugzeugführer, aber deren Gedächtnis half immerhin das Flugbuch auf die Sprünge...
Wichtig finde ich in jedem Fall die Gegenprüfung der Aussagen, soweit möglich.
Denn die Zeugen "lügen" meiner Meinung nach nicht, sie erinnern fehlerhaft.
Nun würde mich interessieren, welche Erfahrungen konntet ihr mit der Zuverlässigkeit sog. "Oral History" machen und ob ihr noch Ergänzungen zu den "Kategorien" habt.